9 n. Chr. - Florus
Die Niederlage des Varus in Germanien
Schwerer ist, Provinzen zu behaupten als zu erobern. Macht erringt sie, Gerechtigkeit sichert ihren Besitz. Diese Freude war also kurz. Die Deutschen waren mehr besiegt als gezähmt, und achteten unter dem Oberfeldherrn Drusus mehr unsere Sitten als unsere Waffen. Nach dessen Tode aber fingen sie an, die Willkür und den Hochmut des Quintilius Varus nicht weniger als seine Grausamkeit zu verabscheuen.
Dieser unterfing sich, Versammlungen abzuhalten, und saß im Lager zu Gericht, gleichsam, als könnte er dem Ungestüm der Barbaren mit den Liktorstäben und dem Rufe seiner Herolde Einhalt tun. Jene aber, die sich schon längst nach ihren verrosteten Schwertern und ihren mäßigen Pferden umsahen, sobald sie der Togen und einer Gerichtsbarkeit, die noch strenger denn die Waffengewalt schien, gewahr wurden, griffen unter Anführung des Arminius zu den Waffen. Varus vertraute indessen dem Frieden so sicher und fest, daß ihn selbst eine vorhergesagte und von Segestes, einem Fürsten, entdeckte Verschwörung nicht aus der Ruhe bringen konnte. Und so überfallen sie unerwartet den Unvorsichtigen und nichts der Art befürchtenden, gerade wie er – o Sicherheit! – Leute vor Gericht laden läßt, brechen von allen Seiten herein, nehmen das Lager im Sturme weg, und machen drei Legionen nieder. Dem allgemeinen Untergang folgte auch Varus mit gleichem Sinn und Geschick, wie Paulus am Tage [der Schlacht] bei Cannae. Nichts war blutiger als jenes Gemetzel in den Sümpfen und Wäldern, nichts unerträglicher als der Spott der Barbaren, vorzüglich gegen die Sachwalter. Einigen stachen sie die Augen aus, anderen schnitten sie die Hände ab. Einem wurde der Mund vernäht, vorher aber die Zunge ausgeschnitten, und ein Barbar, der sie in der Hand hielt, sprach: „Endlich, Viper, hast du aufgehört zu zischen!“ Sogar der Leichnam des Konsuls, den die Liebe der Soldaten in der Erde Schoß verborgen, wurde ausgegraben. Die Barbaren besitzen noch Feldzeichen und zwei Adler. Den dritten riß der Fahnenträger, ehe er in Feindes Hände geraten sollte, aus, steckte ihn in die Öffnungen seines Wehrgehenkes und verbarg sich damit in dem blutigen Sumpfe.
Diese Niederlage hatte zur Folge, daß unsere [römische] Herrschaft, welche sich durch die Küsten des Ozeans nicht begrenzen ließ, an dem Ufer des Rheinstromes ihr Ziel fand.
Florus
Römische Geschichte
Übersetzung Pahl, Stuttgart 1835