1880 - Oskar Lenz, Afrikaforscher
Timbuktu, Mali
Der 1. Juli des Jahres 1880 wird mir für immer unvergeßlich bleiben. Vielleicht wird man bald mit Dampfschiffen den Niger befahren, wohin Eisenbahnen den Reisenden von der atlantischen Küste herbringen; dann wird man lächeln, daß es eine Zeit gegeben hat, wo die Erreichung dieses Ortes als ein schwer errungener Erfolg angesehen wurde. Vorläufig ist man noch auf die beschwerliche Wüstenreise angewiesen, und das wird wohl auch noch längere Zeit so fortdauern; es werden daher für die nächste Zeit nur wenige das Glück haben, die Grenzstadt zwischen Sahara und Sudan, das ehemals große und berühmte Timbuktu zu betreten.
Rasch durcheilten wir die unfruchtbare Zone, welche die Stadt von dem Mimosenwalde trennt. Mauerreste und Schutthaufen deuten darauf hin, daß Timbuktu ehemals eine größere Ausdehnung besessen hat; zur Rechten sehen wir einen glänzenden Wasserspiegel mit Herden von Rindern, Schafen, Ziegen, Eseln und Kamelen; dazwischen bewegen sich einzelne Gestalten, zur Stadt gehend oder von da kommend. Es ist eine Daya, ein Teich, wie sie für die nun folgende subtropische Sudanlandschaft charakteristisch sind.
Wir nähern uns immer mehr der vollständig offenen, von keiner Mauer umgebenen Stadt; ein Trupp Menschen zu Pferd und zu Fuß kommt uns entgegen, meist dunkle Gestalten, mit verhülltem Gesicht und einige mit Speeren in der Hand. Wir wurden freundlich begrüßt und beglückwünscht zu der glücklichen Vollendung der Wüstenreise. Der ganze Zug bewegte sich nun durch eine Menge Straßen bis an das Haus des Kahia, gewissermaßen des Bürgermeisters des Ortes. Die zahlreich in den Straßen hockenden Negerweiber, welche Viktualien verkauften, begrüßten uns mit lautem Zuruf und jenem charakteristischen Geschrei, das man bei allen festlichen Gelegenheiten bei ihnen vernimmt. Es drängte sich eine Masse Volks um uns herum, einige riefen, als sie mich erblickten: Jhudi (ein Jude), aber sonst kam nicht die geringste Störung vor. Nirgends begegneten wir den trotzigen und gehässigen Blicken irgendeines fanatischen Heiligen, wie es in Marokko vorkommt, oder jenen Pöbelmassen, wie sie sich in Tarudant auf so unangenehme Weise bemerkbar gemacht haben.
Nach einer kurzen Vorstellung beim Kahia, der uns in schwülstigen aber wohlgemeinten Worten begrüßte und beglückwünschte und uns seines Schutzes versicherte, ritten wir davon und wurden in ein nicht weit gelegenes hübsches Haus geführt, wo wir uns in bequemer Weise von den Strapazen der Wüstenreise ausruhen, zugleich aber auch uns zu neuen Unternehmungen rüsten konnten.
Das mir angewiesene Häuschen liegt mitten in einer ziemlich breiten Straße und besteht aus einem Hofe, in welchen eine Anzahl kleiner Räume münden, die wir zum Aufbewahren des Gepäcks benutzten; von da führt eine kleine Treppe in den nicht hoch gelegenen ersten Stock, woselbst sich ein recht großes hübsches Zimmer befindet, und von hier gelangt man durch einige Stufen auf die Terrasse; dort war ein Aufbau, der ein recht hübsches Zimmer enthielt mit einem Fenster nach dem Hofe und einem zweiten nach der Terrasse. Dieses Zimmer nahm ich in Anspruch und richtete mich daselbst ein; es war das am meisten luftige und am besten erhaltene des Hauses. Hadsch Ali nebst Abdallah bewohnten das Zimmer Im Halbstock und Kaddur nebst Faraschi richteten sich in den Hofmagazinen ein. Dort hielten sich auch beständig einige junge Burschen des Kahia auf, teils um als Diener zu fungieren, teils auch um Bericht zu erstatten über alles, was im Hause vorging.
Das Haus ist aus Tonziegeln errichtet, die Fußböden bestehen aus festgestampftem harten Ton, einfache Ornamente an den Toren sind auch vorhanden. Die Türen und Fenster sind von Holz; letztere, oft recht hübsch geschnitzt, zeigen die maurische Hufeisenform. Von der Terrasse des Hauses aus hatte ich einen Blick über einen sehr kleinen Teil der Stadt; von einer Brüstung aus sah man in den Hof hinab. Dem schon von Barth gerügten Übelstande, daß man besonders In den für Fremde bestimmten Häusern die Terrasse als eine Art Abort benutzt, war hier insofern abgeholfen, als ein besonderes Bauwerk auf der Terrasse selbst errichtet worden war.
Wir wurden die erste Zeit natürlich von Besuchern überlaufen, und die Zimmer oder die Terrasse waren oft voll Menschen aus aller Herren Länder. Da sah man den reichen Händler aus Rhadames neben dem Tarki, dessen Litham (ein blaues Tuch) das Gesicht bedeckt, so daß nur die Augen frei sind. Der maurische Kaufmann aus Marokko kam gemeinsam mit dem schöngewachsenen Fulbe, der mit seinem fanatisch-schwärmerischen Gesicht mißtrauisch die Fremden betrachtet; Leute vom Senegal treffen hier zusammen mit den Bewohnern von Bornu, und unter den Negersklaven sind zahllose Volksstämme vertreten.
Am interessantesten waren mir natürlich die Tuarek, die zurzeit einen größeren Einfluß in Timbuktu hatten als die Fulbe von Moassina. Sie haben etwas überaus Wildes in ihrem Erscheinen: das verdeckte Gesicht, die dunkelblaue Tobe und die starke Bewaffnung: ein großes Schwert, einen kürzeren Säbel und einige Lanzen, die sie stets bei sich tragen und nie ablegen, dazu die rauhe polternde Sprache und das selbstbewußte Auftreten, das alles machte einen etwas unheimlichen Eindruck. Die einzelnen Scheichs, welche kamen, verstanden auch Arabisch, ebenso wie die Fulbe, wie das erklärlich ist, wenn drei Völker dicht aneinandergrenzen und in beständigem, friedlichen sowohl als kriegerischen Verkehr miteinander stehen.
Am ersten Tage meines Aufenthalts war der Besuch geradezu kolossal. Ein Trupp löste den andern ab, und wir mußten da lange Zeit als Schaustücke dienen, während Hadsch Ali durch seine rhetorischen Leistungen die Besucher unterhielt. Mir war es peinlich, da mein Unwohlsein noch immer anhielt und ich mich lieber in mein Zimmer zurückgezogen hätte. Gegen vier Uhr endlich schickte uns der Kahia eine Mahlzeit, und jetzt fanden es die massenhaft anwesenden Besucher doch angezeigt, allmählich zu verschwinden und ihre Meinungen über uns sich außerhalb des Hauses mitzuteilen. Die Leute hatten sich übrigens nicht bösartig aufgeführt, es war eine Neugierde, die in etwas derber Form zum Ausdruck gebracht wurde.
Man sieht hier ausschließlich die weite sudanesische blaue Tobe als Kleidungsstück, entweder aus einfachem, schlechterem europäischen Baumwollstoff oder aus einheimischem Zeug. Dieses letztere ist ein etwas grober, aber sonst vortrefflicher Stoff, der aber nur in handbreiten Streifen gewebt wird, die aneinander genäht werden. Die aus solchem Stoffe, der mit Indigoblau gefärbt ist, verfertigten Toben werden häufig mit einer sehr bunten und originellen Seidenstickerei versehen, und zwar auf beiden Seiten, rückwärts sowohl wie vorn. Es sind diese Art Toben infolgedessen sehr teuer und sehr gesucht; es ist üblich, wenn man genötigt ist, jemand Geschenke zu machen, daß man derartige Toben mit verwendet.
Das Mahl, welches uns Kahia geschickt hatte, war im Vergleich zu unseren Diners in der Wüste lukullisch zu nennen. Es bestand aus gutem Weizen-Kuskus mit Gemüse, gebratenem Rindfleisch und gebratenen Hühnern, und zwar in vollkommen genießbarer Weise zubereitet; dazu kam ein lange entbehrter Genuß, frisches Weißbrot von ganz vorzüglicher Qualität, wie wir es in Fas und Marrakesch nicht besser gehabt haben. Als Getränk hatten wir freilich nur Wasser; geistige Getränke irgend welcher Art gibt es hier absolut nicht. Das Wasser stammt aus den dicht bei der Stadt befindlichen Dayas, kleinen Teichen, die bei sehr hohem Wasserstande in regenreichen Jahren mit dem Niger durch flache natürliche Kanäle in Verbindung stehen. Das Wasser war nicht schlecht zu nennen, im Vergleich zu unserem bisherigen Trinkwasser sogar sehr gut; es war aber auffallend weich, ohne alle mineralischen Bestandteile. Man benutzt zum Trinken die im ganzen Sudan üblichen Calabassen, entweder die natürlichen Fruchtschalen oder künstlich aus Holz geschnittene. Das Essen wird in irdenen Schüsseln aufgetragen, und das ganze Arrangement ist vollkommen so wie in Marokko. Wir haben während unseres Aufenthaltes in Timbuktu nie Auslagen für das Essen gehabt, täglich wurden wir in reichlicher und trefflicher Weise versorgt; unser gefälliger Wirt, der Kahia, hielt es für seine Pflicht, uns mit der nötigen leiblichen Nahrung zu versehen, und gleichzeitig schickten uns späterhin andere befreundete Leute, die wir im Laufe der Zeit kennen gelernt hatten, das Essen ins Haus, so daß wir stets Überfluß hatten und an ärmere Leute verteilen konnten. Arme Leute und Bettler scheint es hier sehr wenig zu geben, und man sieht nicht, wie in Marokko, die krüppelhaften, halb verhungerten Bettler zu Dutzenden auf den Straßen liegen. Die geringen Bedürfnisse der Leute zu befriedigen, dazu findet sich offenbar leicht Gelegenheit; ein gewisser Wohlstand ist in Timbuktu nicht zu verkennen.
Man speist in Timbuktu täglich dreimal. Früh gegen neun Uhr erhielten wir zugeschickt einige Schüsseln voll Honig und flüssiger Butter, dazu ein Dutzend oder mehr der kleinen flachen Brotlaibe, frischgebacken ein ganz treffliches Frühstück. Man ißt dieses Gericht in der Weise, daß man das Brot in Stücke teilt und dann mit der rechten Hand ein Stück in die Schüssel taucht. Gegen drei Uhr nachmittags kam die Hauptmahlzeit, gewöhnlich zwei, manchmal auch drei Gänge, bestehend aus Kuskus, Gemüse, frischem Hammel- oder Rindfleisch, oder Hühnern und Tauben. Alles ist in Butter gebraten und in schmackhafter Weise zubereitet. Fisch habe ich nie erhalten, obgleich der nicht weit entfernte Niger Fische enthält. Es gilt nämlich nicht für besonders anständig, Fische zu essen, und fast ausschließlich Negersklaven und die ärmere Bevölkerung genießen dieselben. Der Fischmarkt soll insofern schrecklich sein, als die Tiere in bereits stark verfaultem Zustande zu Markte gebracht und in übelriechendem Zustande verkauft werden, der feine marokkanische Maure genießt aber so etwas nicht. Das Abendgericht, welches gewöhnlich ziemlich spät, zwischen neun und zehn Uhr kam, besteht in der Regel aus Reis mit kleinen Fleischstücken darin, auch ein vollkommen genießbares Essen. Aus diesem Menü erkennt man schon, daß Timbuktu ein großes Kulturzentrum inmitten der Negerbevölkerung des Sudan und der Tuarek der Wüste ist; der Einfluß der Marokkaner ist ein bedeutender gewesen, das sieht man nach den verschiedensten Richtungen hin.
Bei einer derartigen guten Ernährung und ruhigem Leben erholten wir uns bald; mein Zustand besserte sich allmählich, aber dafür traten hin und wieder Fieberanfälle auf; Barth hat in Timbuktu viel an Fieber gelitten. Die Nähe des Niger mit seinen Überschwemmungen ist fühlbar, und wenn wir hier etwas vermißten, so war es die gesunde, reine und trockene Wüstenluft.
Da wir noch Kaffee, Tee und Tabak reichlich hatten, führten wir in Timbuktu eine vollkommen erträgliche Existenz.
Ungeheuer reich an Vögeln ist Timbuktu, sowohl innerhalb wie außerhalb der Stadt. Zahllose schwarze Störche stolzieren an den Dayas umher; eine kleine reizende Finkenart ist so häufig wie bei uns die Sperlinge. Tauben kommen massenhaft vor und fliegen in großen Schwärmen über die Stadt. Häufig sind verschiedene Arten von Raben, Krähen und Staren, und dazwischen sieht man die beutegierigen Falken und Adler. Es ist ein hübsches Bild, wenn man nach einer langen Wüstenreise diese reiche Tierwelt sieht. Herden von Buckelrindern, wollfreien Schafen und Ziegen, ganze Züge von Kamelen und Eseln, auch Pferden sieht man zur Tränke ziehen, und dazwischen schreiten zahme, ihres Federschmucks beraubte Strauße, häßliche Tiere in diesem abgerupften Zustande. In den Häusern aber leben zahlreiche große und buntfarbige Eidechsen, Chamäleons, Geckos und andere zwar harmlose, aber als Hausgenossen uns Europäern doch wenig sympathische Tiere. Auf den Mauern der Veranda meines Hauses konnte ich eine förmliche Jagd anstellen nach Amphibien aller Art, die in der Sonne lagen und auf Insekten lauerten.
Wie erwähnt, gibt es hier bereits Pferde. Es ist eine kleine Rasse, aber ausdauernd und schnell; man pflegt die Tiere nicht zu beschlagen, einmal des sandigen Terrains wegen und dann auch wegen der Teuerung des Eisens, besonders des bearbeiteten; es kommt meistens aus dem Süden, den Bambaraländern, deren Bewohner aus Laterit-Brauneisenstein das Metall herzustellen verstehen.
Sehr bedeutend ist übrigens die Straußenzucht nicht, und die Mehrzahl der Straußfedern kommt von wilden Tieren, welche mit Pferden gejagt werden, die Federn der wilden Strauße sollen um vieles schöner und wertvoller sein als die von halbzahmen Tieren. Das Buckelrind wird sowohl als Schlachttier verwendet, wie es auch als Transporttier dient, zum Tragen von Lasten wie zum Reiten. Es ist eine nicht sehr hohe, aber hübsche kräftige Rasse mit ziemlich großen, voneinanderstehenden Hörnern, und zwischen Hals und Rücken mit einem Fettbuckel versehen; sein Fleisch ist nicht schlecht, aber im allgemeinen habe ich in diesen Ländern, schon von Marokko angefangen, das Schaffleisch um vieles besser gefunden als das Rindfleisch.
Die Stadt bildet gegenwärtig ein Dreieck, dessen Spitze nach Norden zugekehrt ist. Wenn man, wie ich, von Norden kommt, so hat man eine Zone von verwüstetem, mit alten Bauresten, Schutt usw. versehenen Landes von einigen tausend Schritt Breite zu überschreiten, die wohl die frühere Ausdehnung der Stadt nach Norden zu andeuten mag; zur Linken hat man das Grabmal von Faki Mahmud, welches früher noch inmitten der Häuser gestanden haben soll. Es ist also keine Frage, daß die Stadt heutzutage auch nicht im entferntesten mehr das ist, was sie zur Blütezeit des Sonrhayreiches war.
Wie erwähnt, ist die Stadt offen, denn die frühere Mauer haben die Fulbe bei ihrem Einrücken in die Stadt (1826) zerstört; ein Kranz von runden Hütten zieht sich um einen Teil derselben herum. Die Mattenhütten werden von Negern bewohnt, und an ihnen vorbei gelangt man erst in die Straßen - tidjeraten - der Stadt. Die aus Ton errichteten Häuser sind alle ziemlich gleich wie das von mir bewohnte und besprochene, ihr Erhaltungszustand ist ein recht guter.
Barth gibt für Timbuktu 950 Häuser und mehrere 100 Mattenhütten an und schätzt die Zahl der Bewohner auf 13 000. Stark vermehrt wird sich die Bevölkerung bisher nicht haben; nach dem Leben und Treiben, das da herrschte, schätze ich doch gegen 20.000 Einwohner. Freilich waren viel Tuarek und auch Fulbe anwesend, während vom Norden zurzeit nur wenige fremde Händler in Timbuktu waren. Mein Begleiter Hadsch Ali will in einem Buche, das er in Timbuktu sah, gelesen haben, daß die Stadt 3.500 Häuser besitzt; daß es sich hierbei um das alte Timbuktu handelt, wollte er sich nicht einreden lassen.
Die südliche, breitgestreckte Seite ist der am stärksten bevölkerte Teil. Das Terrain, auf welchem die Stadt errichtet ist, bildet keine vollständige Ebene, sondern hat in der nördlichen Hälfte eine tiefe Einsenkung, und zwar ist es das Quartier Bagindi, welches bei dem großen Hochwasser des Niger im Jahre 1640 überschwemmt gewesen sein soll.
Die Stadt wird in sieben Quartiere geteilt; erstens: Sanegungu, der südöstliche Teil der Stadt; es ist der schönste Teil und wird besonders von Rhadameser Kaufleuten bewohnt. Zweitens: Quartier Yubu, mit dem Marktplatz Yubu und einer Moschee, westlich von dem vorhergenannten; hieran schließt sich auch nach Westen zu an das dritte Quartier Sangereber (oder Dschingere), so genannt nach der Moschee gleichen Namens. Nördlich vom Quartier Sanegungu ist das vierte Quartier, Sarakaina. Hier wohnte zu Barths Zeiten der Scheich el-Bakay, und auch dessen Sohn Abadin hält sich jetzt hier auf, wenn er in Timbuktu ist. Der Kahia wohnt ebenfalls hier, und in diesem Quartier wurde auch ich untergebracht. Nördlich hiervon liegt fünftens das Quartier Yubu-Kaina mit dem Fleischmarkt; hieran schließt sich sechstens das bereits erwähnte Quartier Bagindi, und den nördlichsten Teil der Stadt, den ich zuerst durchzog, bildet siebentens das Quartier Sankore, welches als das älteste und vorherrschend von Sonrhay bewohnte Quartier gilt.
Die einzigen öffentlichen Gebäude sind die Moscheen. Caillé gibt deren sieben an, Barth meldet, daß zu seiner Zeit nur drei große Moscheen existierten: 1. die »große Moschee«, Dschingere-ber, arabisch Dschema-el-Kebira, die bereits im Jahre 1327 vom König von Meile, Mansa-Musa, zu bauen angefangen wurde. 2. Die Moschee Sankore, im Quartier gleichen Namens (»Stadt der Vornehmen, der Weißen«). Diese Moschee soll auf Kosten einer reichen Frau erbaut worden sein, enthält fünf Schiffe und ist 120 Fuß lang und 80 Fuß breit. 3. Die Moschee Sidi Yahia. Die anderen Moscheen hießen Sidi Hadsch Muhammed, Msid Belal und Sidi el-Bami. Seit dieser Zeit haben die aus Fas und überhaupt aus Marokko kommenden Händler, vor allem die erwähnte große Familie der Rami, eine neue große Moschee errichtet, ich habe dieselbe aber nicht gesehen.
Von diesen Moscheen bildet die »große« Dschingere-ber, ein recht stattliches Bauwerk. Wie Barth richtig bemerkt, wird man dieses bedeutendste Gebäude nicht an der äußersten Peripherie der Stadt, da, wo vor kurzem noch die westliche Stadtmauer sich befand, errichtet haben, sondern offenbar inmitten der einst großen und blühenden Stadt. Jetzt liegt dieselbe effektiv völlig nach außen zu, und gewiß hat früher die Stadt nach Westen sowohl wie nach Norden hin eine bedeutend größere Ausdehnung gehabt, so daß sie mindestens noch einmal so groß war, als sie sich heute präsentiert. Natürlich hat noch nie ein Fremder diese Moschee betreten, außer wahrscheinlich Caillé. Es ist ein umfangreiches Gebäude, mit einem sehr großen Hof, der den größeren Turm umgibt. Die Türme sind viereckig, wie in Marokko, aber da sie nicht aus Ziegeln gebaut sind, sondern nur aus Ton, so verengen sich die Türme nach oben etwas und bilden oben eine kleine quadratische Plattform. Auch kann man mit solchem Material die Türme nicht sehr hoch herstellen. Der Hauptteil der Moschee enthält neun Schiffe von verschiedener Größe und Bauweise; die westliche Hälfte der Moschee, mit drei Schiffen, ist die ältere und stammt wahrscheinlich noch aus der Zeit Mansa-Musas, des Königs von Meile, wie aus einer kaum noch leserlichen Inschrift hervorgehen soll. Die Länge des Gebäudes beträgt 262 Fuß und die Breite 194 Fuß.
Von den ehemaligen Palästen der Könige von Sonrhay ist nichts mehr zu sehen, ebensowenig von der Zitadelle. Barth meint, der alte Königspalast Ma-dugu habe da gestanden, wo jetzt der Fleischmarkt sich befindet, während die Zitadelle später im Quartier Sane-gungu gewesen sein soll.
Die zahlreichen Eroberungen der Stadt durch die verschiedensten Völker haben viel zerstört; gegenwärtig ist Timbuktu vollkommen offene Stadt, ohne Qasbah (Zitadelle), ohne Mauern, und jedermann kann die Stadt betreten, die Einwohner sind ganz passiv und zahlen bald den Fulbe, bald den Tuarek, je nachdem, wer gerade von diesen beiden die Oberhand hat.
Mit den Moscheen sind Schulen verbunden, auch befinden sich hier Sammlungen von Manuskripten, vielleicht darunter noch manches, was für die Geschichte dieser Länder von Interesse wäre, obgleich Barth schon das Wichtigste darüber gesammelt und mitgeteilt hat.
Wenn nun Timbuktu auch nicht mehr der Sitz großer Gelehrsamkeit ist, so ist doch die Bevölkerung gebildet, d. h. die große Mehrzahl derselben kann lesen und schreiben, weiß große Teile des Koran auswendig und versteht darüber zu disputieren. Es gibt einige Leute dort, die im Rufe großer Gelehrsamkeit stehen, und einer derselben war unser stehender Gast. Hadsch Ali hat von ihm ein Manuskript juristischen Inhalts erhalten und ihm versprochen, das in Kairo drucken zu lassen! Hätte ich Mittel gehabt, so würde ich vielleicht verschiedene Manuskripte haben erwerben können, aber unter den gegebenen Verhältnissen mußte ich für mein Weiterkommen bedacht sein und konnte an solche Ausgaben nicht denken. Für besonders gelehrt gilt auch, wie schon erwähnt, der junge Scheich Abadin.
Die Bevölkerung von Timbuktu ist keine einheitliche, sondern besteht aus den verschiedensten Elementen. Marokkanische Arbeiter bilden den wesentlichsten und besseren Teil; sie sind größtenteils von dunkler Hautfarbe infolge der durch Generationen fortgesetzten Verheiratungen mit Negerinnen; aber es gibt noch solche, die ebenso licht von Farbe sind wie die Mauren von Fas oder Marrakesch. Weiße Frauen dagegen sind äußerst selten und, wenn es echte Maurinnen sind, für niemand sichtbar. Daneben wohnen noch zahlreiche Nachkommen der alten Sonhrayneger in der Stadt und eine Menge Negersklaven aus den entlegensten Teilen des Suan. Wangaraua- (Mandingo) Neger, Assuanik-Fulbe, Tuarek, Leute aus Bornu und Sokoto, Araber von den Kabylen der westlichen Sahara, aus Algier, Tunis, Tripolis, Neger aus den Bambaraländern, Futa, alles das trifft man hier zur Zelt der Karawanen. Timbuktu ist eigentlich nur ein großer Markt, ein Sammelpunkt von Händlern, die die Erzeugnisse des Nordens gegen die Produkte des Südens austauschen. Es gehört eigentlich keinem Staate an, denn zu Moassina, dem großen Fulbestaat, kann man es doch nicht rechnen. Es ist ein Entrepôt für Waren, und Tuarek und Fulani streiten sich immer nur um das Recht, Steuern zu erheben, ohne die Stadt zu regieren. Letzteres geschieht durch den jeweiligen Kahia, den man mit nichts anderem als mit einem Bürgermeister vergleichen kann.
Der Mangel von Zitadelle, Stadtmauern, Besatzung bringt es mit sich, daß Timbuktu nicht als mächtige Hauptstadt eines Reiches angesehen werden kann, und die Bevölkerung muß sich mit dem jeweiligen Machthaber abfinden.
Lenz, Oskar
Timbuktu
Band 2, Leipzig 1884