Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1816 - Otto von Kotzebue, russischer Weltumsegler
Ross, die russische Niederlassung in Kalifornien

 

Die Niederlassung Ross, welche in der Breite von 38° 33' auf einer Anhöhe am Meeresufer und an einem unbedeutenden Strom liegt, ist im Jahre 1812 gegründet, und zwar mit Bewilligung der Eingebornen dieser Gegend, die auch bei der Anfuhr des Baumaterials und bei dem Aufführen der Gebäude sehr bereitwillig und zuvorkommend Hülfe leisteten. Die Absicht bei dieser Ansiedelung war, den Fang der See-Ottern an der Küste von Californien mit mehr Bequemlichkeit zu betreiben, da dieses Thier bei den nördlichen Etablissements schon selten wurde.
   Die Besatzung bestand bei meiner Anwesenheit aus 130 Mann, wovon nur der kleinere Theil Russen und die Uebrigen Aleuten waren. Anfänglich hatten die Spanier nichts gegen diese Niederlassung und versorgten sie im Gegentheil noch mit Ochsen, Kühen, Pferden und Schaafen; als sie aber bemerkten, daß sie, trotz des minder fruchtbaren Bodens und des ungünstigeren Clima's, besser gedieh, als die ihrigen, regte sich der Neid und die Furcht, daß die Russen ihnen gefährlich werden könnten. Sie verlangten, daß sie abziehen sollten, behaupteten, ihre Grenze auf der Westküste von Amerika erstrecke sich bis zum Eismeer, und droheten ihre Forderung durch Gewalt der Waffen geltend zu machen. Der Gründer und damalige Befehlshaber der Festung Ross, Herr von Kuskoff, ein einsichtsvoller, nicht leicht zu schreckender Mann, ertheilte die sehr bestimmte Antwort, daß er sich auf Befehl seiner Oberen in einer Gegend etablirt habe, die vor ihm von keiner Macht eingenommen gewesen und auf die nur die Eingebornen ein Recht haben konnten, das sie ihm freiwillig cedirt hatten, daß er daher keinem so ungegründeten Verlangen weichen und der Gewalt, Gewalt entgegensetzen werde. Die Spanier sahen ein, daß sie den Russen nicht gewachsen seyn dürften, gaben ihre lächerliche Forderung auf, knüpften selbst wieder freundschaftliche Unterhandlungen an, und es herrscht hier jetzt die größte Einigkeit zwischen beiden Nationen. Ross ist übrigens den Spaniern von sehr großem Nutzen. In ganz Californien ist kein Schmied und kein Schlosser. Alle ihre Geräthschaften von Eisen lassen die Spanier hier für gute Bezahlung verfertigen oder ausbessern. Auch die uns begleitenden Dragoner hatten eine Menge verdorbener Flintenschlösser zur Reparatur mitgebracht.
   Damit die Russen ihre Ansiedlung nicht bis zum nördlichen Ufer der Bai St. Francisco ausdehnen möchten, errichteten die Spanier dort schnell die Missionen St. Gabriel und St. Francisco Solona. Es ist sehr zu bedauern, daß wir ihnen nicht zuvor gekommen sind. Die Vortheile eines Besitzes an der schönen Bai sind unübersehbar, besonders da wir nur den schlechten Hafen Bodega oder Port Romanzov haben.
   Mit den Eingebornen leben die Bewohner von Ross in der größten Eintracht. Die Indianer kommen zahlreich in die Festung und arbeiten für Tagelohn. Nachts halten sie sich gemeiniglich außerhalb der Pallisaden auf. Sie verheirathen ihre Töchter gern an Russen und Aleuten. Dadurch sind eine Menge Verwandtschaften entstanden, die das gute Vernehmen noch mehr befestigen. Die Bewohner von Ross gehen einzeln weit ins Land auf die Jagd, um Hirsche und anderes Wild zu schießen, und bringen die Nächte unter verschiedenen Indianerstämmen zu, ohne daß ihnen je etwas zu Leide gethan würde. Das dürften die Spanier nicht wagen. Je auffallender der Kontrast zwischen ihrer Behandlung der Indianer und der hiesigen ist, um so mehr muß sich der Menschenfreund beim Eintritt ins russische Gebiet erfreuen. Die russisch-griechische Kirche dringt ihre Lehre nicht gewaltsam auf. Frei von Fanatismus, predigt sie Duldung und Liebe. Sie erlaubt sich selbst keine Ueberredung, sondern überläßt es ganz der freien, inneren Ueberzeugung, sich mit ihr zu vereinigen, und wen sie wo in ihren Schooß aufnimmt, dem bleibt sie eine liebende Mutter.
   Wie ganz anders sind die katholischen Priester und die protestantischen Missionare verfahren...
   Die Spanier sollten in Ross von Herrn von Schmid Unterricht in der Landwirthschaft nehmen. Er hat alles, was dieses Fach schlägt, zu einem Grade der Vollkommenheit gebracht, der bewundernswürdig ist. Die Ackergeräthe und Werkzeuge werden unter seiner Anleitung alle hier verfertigt, und stehen den besten europäischen eben nicht nach. Unsere spanischen Reisegefährthen waren auch von Bewunderung durchdrungen; was aber ihr Erstaunen aufs höchste steigerte, war der Anblick einer Windmühle. Eine so künstliche und zweckmäßige Maschine hatten sie noch nie gesehen.
   Roß hat Ueberfluß an dem schönsten Bauholz, welches die [russisch-amerikanische] Compagnie auch benutzt. Es waren hier schon zwei Schiffe vom Stapel gelaufen. Das Meer liefert die schmackhaftesten Fische, und das Land die besten Gattungen von Wild in unerschöpflicher Menge. Bei allen diesen Vorzügen fehlt nur ein guter Hafen. Indessen werden, ungeachtet dieses Mangels, bei einer guten Verwaltung die nördlichen Niederlassungen einst von hieraus mit allen ihren Bedürfnissen versehen werden können.
   Die Indianer, welche wir hier sahen, waren denen in den Missionen sehr ähnlich, und man kann wohl behaupten, daß sie alle zu derselben Race gehören, wenn sie sich gleich durch Verschiedenheit der Sprache unterscheiden. Freilich waren sie hier nicht so stupid, und sahen heiterer und zufriedener aus, als in den Missionen, wo immer der tiefste Ernst auf ihren Gesichtern ruht, und ihre Blicke stets auf den Boden geheftet sind; das ist aber natürlich Folge der Verschiedenheit ihres Schicksals. Ohne bleibende Wohnstellen wandern sie auch hier nackt umher, und ihre einzige Beschäftigung, wenn sie nicht als Tagelöhner der Russen arbeiten, ist die Jagd. In der Auswahl ihrer Nahrung sind sie nicht schwierig. Sie verzehren die ekelhaftesten Dinge mit gutem Appetit, allerlei Insecten und Gewürm nicht ausgenommen. Nur vor giftigen Schlangen wissen sie sich zu hüten. Zum Winter sammeln sie sich einen Vorrath von Eicheln und wildem Roggen, der hier in großem Ueberfluß wächst. Wenn letzterer reif ist, zünden sie ihn an, das Stroh verbrennt und die gerösteten Körner bleiben übrig. Diese werden dann zusammengescharrt und, mit Eicheln vermischt, und ohne alle weitere Zubereitung gegessen. Von Hazardspielen, deren sie mehrere erfunden haben, sind die hiesigen Indianer große Freunde. Sie treiben sie so leidenschaftlich, daß sie oft das Letzte, was sie besitzen, verspielen.
   Wenn sich einst der Segen der Civilisation unter die rohen Bewohner dieser Gegend verbreitet, so wird er von den russischen Niederlassungen und gewiß nicht aus den spanischen Missionen hervorgehen. Gesittete Völker werden hier einst ihr Erwachen zur Vernunft den Russen verdanken, wozu die Aleuten bereits den Anfang gemacht haben.

 

Kotzebue, Otto von
Entdeckungsreise in die Südsee und nach der Beringstraße …  unternommen in den Jahren 1815, 1816, 1817 und 1818 …
Weimar 1821

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