1184 - Ibn Gubair
Aufenthalt in Tyros
Sur [Tyros], eine ob ihrer starken Befestigung sprichwörtlich gewordene Stadt, die noch keinem, der sie belagert hatte, sich unterworfen, war von den Freng [Franken] in guten Stand gesetzt worden, aus Furcht vor den frühern Vorfallen; sie hatten daraus einen Stützpunkt der eigenen Sicherheit gemacht, ihre Strassen und Gassen waren reinlicher als die von Akka, seine Bewohner milder von Gemütsart und Unglauben, ihre Sitten gefügiger, die Wohnungen geräumiger und luftiger; die Lage der Muslime dort war erträglicher und behaglicher. Akka aber war grösser, ketzerischer und ungläubiger; seine [Surs] Verschanzungen und seine Widerstandsfähigkeit musste Erstaunen erregen; denn sie beschränkten sich auf zwei Tore, deren eins zu Land und das andere zur Seeseite auslief. Das Meer bespülte sie von drei Seiten, und zur Landseite musste man durch drei oder vier Tore, deren jedes von starken Verschanzungen umgeben war, passieren. Am Seetore war ein Eingang zwischen zwei starken Forts nach dem Hafen hin angebracht, es gab an der ganzen Küste keinen ähnlich befestigten Ort; denn von den drei Seiften lief eine Mauer um die Stadt, und an der vierten Seite lag eine mit Gips aufgeführte Mauer; die Schiffe liefen unterhalb der Mauer ein und ankerten dort; zwischen den beiden Forts war eine schwere Kette ausgespannt, die das Ein- und Auslaufen hinderte, so dass den Schiffen nichts übrig blieb, als davon abzustehen. Darüber befand sich ein Tor mit Wächtern und Sicherheitsbeamten, ohne deren Erlaubnis Nichts aus- noch einlaufen konnte. Die Lage des Hafens war zum Erstaunen schön, ähnlich war es auch bei Akka, in Bezug auf Lage und Einrichtung, der Fall. Schiffe grösseren Tiefganges legten sich ausserhalb vor Anker, während kleinere Fahrzeuge einlaufen konnten, doch der Hafen von Sur ist in jeder Hinsicht vorzuziehen. Unser Aufenthalt dort dauerte elf Tage, bis Donnerstag (Sonntag) den 22. Gumada II, d. h. den letzten Oatanbir (30 Sept.), weil wir das zur Fahrt gewählte Schiff für zu klein und darum nicht geeignet erachteten. Unter den Sehenswürdigkeiten befand sich ein Brautaufzug, wie wir ihn an einem der Tage in Sur zu beobachten Gelegenheit hatten. Die Christen, Männer und Weiber, waren zur Wohnung der Braut, in der Nähe des Hafens, hingeeilt und hatten sich in zwei Reihen aufgestellt, Handtrommeln liessen sich vernehmen, ebenso Flöten und andere Musikinstrumente, bis die Braut, von zwei Männern geleitet, welche gleich Anverwandten sie rechts und links stützten, heraus kam. Sie erschien in glänzendem Anzuge und Schmuck, seidene, mit Goldfäden durchflochtene Fransen hingen herab, ganz nach der Mode gemacht; um den Kopf trug sie einen goldenen Schmuck mit einem goldenen Netz umwunden; ähnlich war auch der Busen verziert; in diesem herrlichen Costüme schritt sie langsam zierlich einher, gleich einer Taube, oder so wie Wolken dahin ziehen; wir nahmen unsere Zuflucht zu Gott von der Aufregung dieses Schauspieles; vor ihr schritten Männer von den Christen, ebenfalls schön gekleidet, hinter ihr folgten ihre Gespielinnen und Freundinnen unter den Christinnen in feierlicher Tracht; die Musikanten mit den Instrumenten waren dem Zuge vorausgeschritten. Die Muslime und die übrigen Christen, welche nicht Teil nahmen, bildeten Spalier, und Niemand fand darin etwas Anstössiges; die Prozession führte die Braut in das Haus ihres Mannes, worauf man sich zum Hochzeitsmahle niedersetzte; uns gestattete man diese Feierlichkeit mit anzusehen.
Goergens, Ernst Peter
Arabische Quellenbeiträge zur Geschichte der Kreuzzüge
Band 1, Berlin 1879; Nachdruck 1975