1769 - Georg Zimmermann, schweizer Arzt
Essen und Trinken wie in London und Paris
Hannover
Ich muß immer lachen, wenn ich an die gute Base K. denke, die uns wegen dem Biere bedauerte, das wir werden trinken, und wegen dem Schmalz, das wir auf schwarzem Brodte werden essen müssen. Ich habe hier noch kein Bier gesehen, als auf der Tafel des Herrn Premierministers, wo man mir neben zwanzigerley Arten der kostbarsten Weine ein Bier zu kosten anbot, das aus England kommt, und nach meinem Geschmack alle diese kostbaren Weine übertraf. Man ißt und trinkt hier so gut als in London und Paris; Gartengewächse findet man in einem erstaunenden Ueberfluß; ich habe, so lange ich hier bin, noch kein anderes Gemüse gegessen als Artischocken und Blumkohl; der letztere mehrentheils mit Krebsstielen gekocht. So leben freilich hier die Schneider und die Schuster nicht, aber Sie sehen doch auch, und sagen sie es der lieben Base zum Trost, daß wir weder auf Bier noch auf Schmalz und schwarzes Brodt herabgesetzt sind.
Äußerst theuer ist es freilich hier zu leben: die Louisd'ors gehen mir aus den Fingern, wie in Brugg die Fünfbätzler; aber dagegen ist der Gewinn auch proportionirt. Ich sehe hier Aerzte, die vor zehen Jahren blutarm hierher gekommen sind, und die itzt so gut logiert sind, als Herr Frölich der Engländer, und eine so gute Tafel haben, als immer ein reicher Mann in Bern; die ihre Kinder vortreflich auferziehen lassen, und kurz alles nöthige im Ueberflusse haben. Aber freilich für dieses alles muß man auch arbeiten wie ein Pferd, welches aber auch billig und recht ist. In Brugg lebt man ruhig und stille, aber dabey ist wenig oder gar nichts zu gewinnen; hier hat man Geld genug, wenn man arbeiten will und kann. In Brugg wird man durch die Langeweile ausgezehrt; hier beklagt man sich über den allzuheftigen Wirbel von Geschäften und Vergnügungen. Jeder Ort hat also seine Vortheile und seine Nachtheile; wir wären ungerecht gegen Gott, wenn wir nicht allenthalben seine Weisheit in Austheilung unsers Loses bewunderten, wenn wir nicht glaubten, daß man in Brugg so glücklich seyn kann, als in Hannover, und in Hannover so glücklich als in Brugg …
Meine Praxis ist seit vier Monaten ganz ungemein gestiegen: sie hat insbesondere bey Vornehmen sehr zugenommen, und diese schicken zu dem Medicus, wenn ihnen blos eine Mücke über die Nase geflogen ist. Ich besuche jeden Morgen eine nicht geringe Zahl von Damen, die ich dennzumahl auf einem Sopha von himmelblauem Sammet, und in einem Nachtkleide von weißem Atlas, das über und über mit Flanderischen Spitzen besetzet ist, nach ihrer ganzen Länge liegen sehe, indeß da sie ihre schönen Finger mit Verfertigung von résaux und entoilages (ihrer einzigen Arbeit) beschäftigen, und mir die allerliebste Geschichte ihrer vapeurs erzählen: aber von allen diesen kranken Dame ist des Nachmittags bis um neun Uhr des Nachts keine einzige zu Hause, alle sind in Assembleen, und erinnern sich nicht, daß sie krank sind, bis ich den künftigen Morgen wiederkomme. - Ausser diesen sehe ich eine ganze für Sie unbegreifliche Anzahl von Kranken aller Art, von eben so vielen werde ich schriftlich um Rath gefragt, und schriftlich muß ich ihnen antworten.
Mit meiner Gesundheit geht es ungleich besser als noch im letzten Sommer; dieses macht mich freudig, und zuweilen so muthwillig, als ich es jemals in Brugg gewesen bin. Ich habe daher itzt sehr vielen Umgang mit Frauenzimmern, ich besuche des Abends ihre Assembleen, sobald meine Geschäfte abgethan sind, oder ich suche die Gesellschaft einzelner Damen, von denen ich weiß, daß sie an diesem Abend nur ihre Männer nach der Assemblee schicken. Diese Assembleen sind alles was Sie sich freudiges denken können. Letzten Freitag, als ich Ihren Brief empfieng, kam ich aus einer solchen Gesellschaft von achtzig Personen, die jede Woche gehalten wird, und wohin ich nebst meinen Frauen für immer eingeladen bin. Man versammelt sich da in vier großen prächtigen Zimmern, die in einer Reihe nacheinander folgen, und mit einigen hundert Wachslichtern erleuchtet sind. Von diesen achtzig Personen spielen zwanzig, dreißig bis vierzig; die übrigen sitzen und machen entoilages und resaux, indeß da sie sich von uns andern schöne Sachen vorplaudern lassen, oder man geht Hand in Hand und Arm in Arm von einem Zimmer ins andere und von einem Sopha zum andern. Am Ende dieser Zimmer ist ein Vorzimmer, wo sich insgemein eine Musik findet. Herren und Damen erscheinen da in der äussersten Pracht, die Damen itzt alle in Kleidern von Atlas, die über und über mit blondes und Spitzen besetzet sind, und in mantilles von Flanderischen Spitzen, die aber von einer Achsel zur andern, und von dem Kinn bis an das Herzgrüblein offen sind; in den Haaren, an den Ohren und am Halse tragen sie alle Diamanden; alle sind nach der neuesten Pariser Art frisirt; keine trägt ein Kleid, das nicht nach dem neuesten aus Paris gekommenen Muster geschnitten ist; kein anderes Wort wird gesprochen als französisch; auf französisch wird coquetirt, auf französisch gescherzt, und französisch geküßt. Unmöglich würden Sie sich, mein lieber Rathherr Schmid, in einer solchen Assemblee einbilden können, daß wir alle zusammen Unterthanen des Königs in England sind. Ich (erlauben Sie, daß ich auch etwas von mir sage) sehe bey allen diesen Leuten so aus, daß weder die Frau Hauptmännin Z., noch die Frau B., noch die Jgfr. F. mir das Glück ausschlagen würden, ihnen die Hände zu küssen. Eine Pariserperücke mit einem äusserst petitmaitrischen Toupé, ein Kleid von schwarzem Sammet mit einem Unterfutter von weißem Atlas, eine Weste von Silberstoff, Schnallen von falschen Diamanden, einen langen Pariser Degen mit einer weißen Scheide, Manchetten von Flanderischen Spitzen, ein seidenes, durch und durch parfümirtes Schnuptuch und in der Hand die Tabatiere von Braunschweig mit ihren 57 Diamanden …
Im Ganzen betrachtet findet man in Hannover gewiß ein freundlicheres, gütigeres, liebreicheres und insbesondere auch höflicheres Wesen, als bey der größern Anzahl in der Schweiz. Diese allgemein herrschende Sittlichkeit wird aber hauptsächlich nicht durch mehr Tugend, sondern durch das Exempel der Großen bewirket, die man zwar auswärtig als stolz beschreibet, die es aber anders nicht als auf eine edle und geziemende Art sind, und mit denen der Umgang unendlich leichter, angenehmer und freudiger ist, als mit Leuten vom Mittelstande in den Hauptstädten der Schweiz.
Zimmermann, Johann Georg
Brief an einige seiner Freude in der Schweiz
Hg. von Albrecht Renger
Aarau 1830