1630 - Jean-Baptiste Tavernier, französischer Edelsteinhändler
Über die Schätze von Dresden
Ganz Deutschland ist wohl bekannt, so daß es unnötig ist, mich lang mit der Beschreibung Dresdens, wo der Kurfürst [Johann Georg I.] gemeiniglich Hof hält, aufzuhalten. Ich will nur dieses anmerken, daß die Stadt, obschon von keinem großen Umkreis, doch sehr schön und wohlbefestigt ist, und daß die Elbe, über welche eine große steinerne Brücke gebaut, die alte Stadt von der neuen trennt. Der kurfürstliche Palast ist einer von den prächtigsten in ganz Deutschland, nur daß ihm vorne ein schöner Platz fehlt, denn sein vornehmster Eingang ist in einem dunklen Loch gelegen. Die Schatz- und Kunstkammern, deren bei sechzehn an der Zahl, stehen allen vornehmen Reisenden offen; auch hat man ein Register von allen raren Sachen, die sich darin befinden, in deutscher und anderen Sprachen aufgesetzt. Der Herr Abt von Chapes und der Herr von Sankt Liebau, wurden vom Kurfürsten, des jetzt regierenden Herrn Vater, sehr wohl empfangen, bei der Tafel behalten und mit vielen Gunstbezeugungen geehrt.
Man hatte selbigen Abend ein groß Thresur, dessen Stücke von einem sehr schönen und hell glänzenden Stein, der in den sächsischen Silbergruben gefunden wird, aufgerichtet; in dem untersten Fach waren viele übergoldete Becher von allerhand Größe. Ihre Durchlaucht gedachte den beiden Herren ihres Königs Gesundheit zu bringen, deswegen erlaubte sie ihnen, einen Becher nach Belieben auszuwählen unter der Bedingung, ihn nach Landesart auszuleeren. Der Herr Abt ließ sich einen bringen, der dem Ansehen nach nicht groß war, und der andere Herr forderte einen etwas größeren. Aber der gute Herr Abt war nicht wenig bestürzt, als er wahrgenommen, daß der von ihm gewählte Becher durch eine verdeckte Feder, als er ihn anrührte, sich unter seinen Händen vergrößerte und wie eine Tulipan an der Sonne auftat, sich in einem Augenblick in einen großen, halbmäßigen Kelch verwandelte, doch wurde er nicht gezwungen, ihn auszutrinken, denn der Kurfürst verfuhr gnädig mit ihm und vergnügte sich mit der gehabten Kurzweil wegen dessen Bestürzung.
Tavernier, Jean-Baptiste
Beschreibung der sechs Reisen …
Band 1, Genf 1681