1851 - Joseph Heco, japanischer Schiffbrüchiger
Rettung aus Seenot durch fremde Wesen; genaue Position unbekannt
Während der Nacht hatten wir schönes Wetter mit stiller See, und der Morgen brach schön und klar an. Einer unserer Leute stand früh auf, um sich zu waschen und zu beten, und zwar noch vor Sonnenaufgang. Während er sich wusch und dabei nach Westen wandte (unserem Lande zu, denn wir waren immer nach Osten getrieben worden) und seine Gebete an unsere Landesgötter verrichten wollte, bemerkte er plötzlich etwas Weißes gerade voraus, das aussah wie ein Felsen mit schneebedecktem Gipfel. Der Mann berichtete sofort, als wir noch fast alle im Bett waren, er sähe einen Felsen oder eine Insel gerade voraus; nach seiner Meinung mußten wir dieselbe in der Nacht passiert haben. Sobald wir dies hörten, stürzten wir alle an Deck um selbst zu schauen; es war aber weder Felsen noch Insel, sondern die schlanken Masten und weißen Segel eines großen Schiffes, das sich uns näherte. Die Sonne stieg gerade empor und das Licht ließ die Segel klar und weiß erscheinen. Während wir das sich nähernde Schiff betrachteten und erörterten, was es sein könne, woher es komme und wohin es gehen möge, kam es allmählich unserer Dschunke näher und näher, bis sein schwarzer, tief im Wasser liegender Rumpf auftauchte und in kurzer Zeit an unserer Seite war. Die Leute an Bord schienen aber sehr wenig Notiz von uns zu nehmen. Jetzt konnten wir auch die Bauart genau unterscheiden und entdeckten, daß es drei hohe Masten und eine große Anzahl von Rahen hatte, an denen eine große Menge von Segeln hingen, außer dreikantigen Segeln, die an verschiedenen Stellen an den Masten angebracht waren, alle Segel waren gesetzt. Offiziere und Mannschaft waren alle an Deck, und sie erschienen uns gänzlich verschieden von irgendwelchen Menschen, die wir bisher gesehen oder von denen wir gehört hatten. Die ungeheure schwarze Erscheinung des unbekannten Schiffes und die fremdartigen Wesen, die vielleicht, wie wir annehmen konnten, gar nicht einmal menschliche Wesen waren, erschreckten uns nicht wenig. Trotzdem durften wir diese Aussicht auf Rettung doch nicht vorübergehen lassen; wir riefen den Fremdling daher in unserer Sprache an: „Rettet uns! Rettet uns!“ und machten ihm mit einigen an Bambusstäben befestigten alten Kleidern Zeichen. Man bemerkte diese auch schnell genug, und die Leute an Bord winkten mit den Händen, zu ihnen zu kommen. Währenddessen hatte das Schiff unser Heck passiert, und es mochte ungefähr 500 bis 600 Yards entfernt sein, als es nach Norden wendete und stille lag.
Als wir sahen, daß es bereit, uns zu retten, trafen wir Anstalten, unsere Dschunke für immer zu verlassen. Jetzt fingen aber einige von der Mannschaft an, davon zu sprechen, daß, wenn die Fremdlinge solche Leute wären, von denen wir in alten Geschichtsbüchern gelesen, es nicht ratsam sein würde zu gehen, und erhoben allerlei törichte Einwendungen dagegen. Einer von unseren Leuten jedoch, der in Nagasaki gewesen war, wo er die schwarzen Schiffe der Holländer gesehen, sagte, das fremde Fahrzeug müsse ein solches sein und entweder von Holland nach Nagasaki oder von dort nach Holland bestimmt sein. Andere aber meinten, es sei gleichgültig, ob es ein Holländer sei oder nicht; unser Schiff könne höchstens noch 7-8 Tage zusammenhalten, und wir müßten diese Rettungschance ergreifen und an Bord gehen.
Selbst unser bis dahin so mutiger Kapitän gab jetzt jede Idee auf, an Bord seine Schiffe länger zu bleiben und seine Verantwortlichkeit erst im Tode aufzugeben; eine über fünfzig Tage lang dauernde Schreckenszeit, wie wir sie durchgemacht, war freilich genügend, um jede sich uns bietende Rettung hochwillkommen zu heißen.
Nach einer halben Stunde war denn auch, nach den nötigen Vorbereitungen, unser Boot zu Wasser gelassen, und wir trafen Anstalten, unser altes Schiff zu verlassen. Die Mannschaft bestand darauf, daß der Kapitän als der älteste und ich als der jüngste zuerst im Boot Platz nehmen mußten. In der Eile nahm ich nichts mit mir als die Kleider, die ich gerade trug, und einige Münzen, die in meiner Kami-ire [Tasche] steckten. Der Neffe des Kapitäns, der zweite Steuermann, hatte etwas Bettzeug und einige Kleidungsstücke für den ersteren bereit gemacht. Als diese rund ich im Boote waren, folgten die übrigen sofort, mit Ausnahme einiger habsüchtiger Leute, die in die Kajüte gegangen waren und alles zusammenrafften, was sie fassen konnten; andere versuchten sogar, die Schiffsluken zu öffnen, um an die Kisten mit den Goldmünzen zu gelangen. Wir wurden aber so ungeduldig, da das Boot gegen die Schiffseite gedrückt wurde und in Gefahr geriet, zertrümmert zu werden, daß wir ihnen drohten, sie im Stich zu lassen, wenn sie nicht gleich kämen. Das wirkte, und sie kamen dann auch mit ihren Effekten ins Boot, worauf wir von unserem Schiff abstießen und auf den Fremden zusteuerten.
Als wir uns näherten, wendete das Schiff, um unserem Boot nahe zu kommen, und man warf uns dann ein Tau vom Bug zu, das einer unserer Leute auffing. Dadurch gelang es uns, an seine Leeseite zu kommen. Jetzt bemerkten wir, daß das fremde Schiff stille stand (beilegte), gerade als wenn es im Hafen vor Anker läge. Uns schien es, als ob die Vordersegel so gesetzt seien, um den Wind vor vorn zu fangen, während die andern (am Großmast) den Wind von hinten fingen. Auf diese Weise stand es im Ozean vollständig still. Dies Art, ein Schiff zu dirigieren, erschien uns höchst wunderbar, und wir konnten zur Zeit und auch später uns nicht genug darüber unterhalten.
Als wir längsseits waren, kletterten wir einer nach dem andern an Bord. Oben empfingen uns der Kapitän und die Offiziere. Wir knieten nieder, falteten die Hände und beugten die Köpfe nach unserer Begrüßungsweise, indem wir ihnen für unsere Rettung dankten. Sie führten uns nach dem Hinterdeck, und dort machte der Kapitän uns Zeichen, die wir als die Frage auffaßten, ob wir irgend Waren, Kuriositäten, Wasser oder Edelmetalle in unserem Fahrzeug zurückgelassen hätten. Wir antworteten gleichfalls durch Zeichen „Sehr viel“. Er schien zu verstehen, was wir meinten, denn er beriet sich mit den anderen Offizieren, und nach kurzer Zeit stiegen einer derselben und zwei Matrosen in unser Boot und ruderten auf unsere Dschunke zu. Sie kamen ungefähr eine Drittelmeile weit, konnten aber das Boot dann nicht weiter bringen, da sie nicht gewohnt waren, ein so großes Fahrzeug in japanischer Art mit Heckrudern fortzubewegen. Da sie weder vor- noch rückwärts konnten, sondern auf derselben Stelle lange lieben blieben, so wurde der Kapitän ungeduldig und folgte dem Boot. Wenige hundert Yards davon entfernt, ließ er ein Tau mit einem Holzstück ins Wasser, und als die Bootsleute dies aufgefangen, ließ er sie an Bord ziehen, ohne daß sie nach der Dschunke gelangten. Der Kapitän ließ die Ruder, lose Planken etc. aus dem Boot herausnehmen und warf letzteres dann los. Dann wurden alle Segel vor den Wind gesetzt, die Barke nahm ihren östlichen Kurs wieder auf, und da allmählich eine gute Brise aufsprang, glitten wir schnell durch das Wasser.
Ich habe erzählt, daß das Schiff drei Masten hatte. Zwei derselben hatten Rahen, der dritte aber nur eine Kreuzrahe mit einer Art dreieckigem Segel (Besansegel). Das Schiff ging tief zu Wasser, war schwarz angestrichen und hatte eine Besatzung bestehend aus dem Kapitän, zwei Steuerleuten, sechs Matrosen, einem Jungen und dem Koch. Das Äußere der Offiziere und der Mannschaft erschien uns ganz gleichartig; die meisten waren bebärtet, trugen Flanellhemden, (dunkel und rot), schwarze Beinkleider, von Hosenträgern gehalten. Der Kapitän trug hohe Stiefel mit den Beinkleidern in denselben; die meisten der Leute trugen Schuhe, einige aber waren barfuß, selbst bei kaltem Wetter.
Der Kapitän war mager und groß, hatte sandiges Haar, Bart und Schnurrbart; er schien ungefähr 40 Jahre alt zu sein und unterschied sich in der Kleidung kaum von der Mannschaft. Er hatte immer etwas im Mund, eine Zigarre, aus der er beständig qualmte, und manches Mal, wenn er auf Deck hin und her ging, ließ er den Dampf aus seinem Munde wehen.
Der erste Steuermann war ein großer Mann, 6 Fuß 2 Zoll [1,88 m] hoch, ungefähr 35 Jahre alt. Er hatte schwarzes Haar, trug aber keinen Bart, war sehr weiß mit roten Lippen und hatte mehr das Aussehen einer Frau als eines Mannes. Er war wie der Kapitän gekleidet, nur trug er Schuhe. Er hatte immer etwas im Mund, worauf er kaute (Tabak), und er spie immerfort aus. Der zweite Steuermann war klein, ca. 5 Fuß 8 Zoll [1,72 m] groß, mit rotem Haar und sandigem Voll- und Schnurrbart. Er war wohl 40 Jahre alt und ging gekleidet wie der Kapitän und der erste Steuermann. Er war sehr schnell in seinen Bewegungen, und wir fanden bald, daß er ausnehmend gütig, gesprächig und neugierig war.
Der Kajütenjunge war ungefähr 17 Jahre alt. Er war dunkelhaarig und hatte ein angenehmes, reines, bartloses Gesicht; er war wie der Rest der Mannschaft gekleidet, nur trug er keine Hosenträger und Schuhe. Auch er sah mehr als wie ein Mädchen als wie ein Junge. Im Klettern war er groß, denn er war immer auf den obersten Rahen bei den Segeln.
Die Mannschaft sah ebenso aus wie die Steuerleute. Der Schiffskoch war aber völlig verschieden von den übrigen, sowohl im Anzug wie in Haartracht, und er sah unseren Landsleuten ähnlicher. Er trug weite Hosen und ein weitärmeliges kurzes Oberkleid. Sein Kopf war bis zur Schädelspitze ganz geschoren, nur vom Mittelpunkt des Kopfes wuchs das Haar lang herunter und immer geflochten rund um den Kopf gebunden. Er sprach auch eine andere Sprache als die anderen. Er war kurz von Statur und ungefähr 40 Jahre alt.
Alle diese Leute erschienen uns sehr wild und eigentümlich; und wir hatten etwas Furcht vor ihnen, obschon wir an Zahl stärker waren als sie und sie sich gut und aufmerksam gegen uns zeigten. Denn wir hatten solche Wesen nie früher gesehen noch selbst von ihnen gehört; und ihr Aussehen und ihre Kleidung waren so fremdartig und so gänzlich on der unseren verschieden.
Nachdem die Bark ihren richtigen Kurs wieder aufgenommen, und die Aufregung, die unser An-Bord-kommen hervorgerufen, sich gelegt hatte, rief der Kapitän den Koch aufs Quarterdeck, wo wir uns befanden. Er brachte Schreibpinsel, Tusche und Papier mit und schrieb auf des Kapitäns Befehl etwas in chinesischen Charakteren nieder, was wir als „Goldberg“ lasen. Er schreib dann noch einiges nieder; außer den Worten „Reis“; „Interesse“ und „Ka“ (?) konnten wir aber nicht verstehen, was er fragen wollte.
Als er „Goldberg“ schrieb, zeigte er auf das Schiff. Einige von uns meinten, er wolle damit den Namen desselben andeuten; daß er damit sagen wollte, es sei nach Kalifornien, dem Land der Goldberge, bestimmt, konnten wir natürlich nicht erraten, und dies wurde uns erst klar, als wir lange nachher San Francisco erreichten.
Als der Koch seine Schreiberei beendet hatte, ging der Kapitän auf den unseren, als dem ältesten von allen (er war 61 Jahre alt) zu und machte Zeichen, ihm zu folgen. Wir gingen alle mit, und er führte uns nach der Hauptluke, die mit Persenningen bedeckt war. Darauf zeigend und die Bewegung des Essens machend, sagte er „Plenty“ (viel); dann führte er uns nach der Kochkombüse, wo mehrere mit Tauen befestigte Fässer sich befanden; er klopfte an dieselben, tat, als ob er tränke, und wiederholte das obige Wort. Er lachte, und zur Antwort verneigten wir uns. Diese Zeichen und seine ganze Art und Weise schienen uns andeuten zu wollen, daß das Schiff genügend Proviant und Wasser für uns alle an Bord habe, und daß wir uns wegen des Essens und Trinkens keine Sorgen zu machen brauchten.
Wir kehrten dann auf das Hinterdeck zurück. Hier ließen wir uns nieder und blickten zurück auf unsere alte Dschunke, in der Meinung, daß das Schiff, auf dem wir uns befanden, schon am Abend seinen Bestimmungsort erreichen werde; denn da wir auf unserem Wrack über 51 Tage zugebracht hatten, so glaubten wir, viele tausend Meilen fortgetrieben worden zu sein. Nach einer Weile winkte uns der Kapitän, ihm in die Kajüte zu folgen; es war das erste Mal, daß wir eine so hübsche, reinliche, gemütliche kleine Kajüte zu sehen bekamen. Sie war aus schönem Holz gebaut, mit Holz und lackierten Wandfüllungen; die Seitensitze hatten Samtkissen; wir wunderten uns aber sehr, eine große Anzahl vollgepackter Kisten in derselben aufgestapelt zu sehen. Er forderte uns auf, uns zu setzen; einige taten es, andere bleiben stehen, und der Rest hockte am Boden nieder. Der zweite Steuermann, der eine Karte vor sich auf den Tisch gebreitet hatte, begann darauf, uns etwas zu erklären. Aber von allen den Orten, die er nannte, konnten wir nur den einen „A-me-ri-ka“ ausmachen und verstehen. Denn einige von unseren Leuten erinnerten sich gehört zu haben, daß vor mehreren Jahren (ungefähr 1846) die amerikanischen Kriegsschiffe „Columbus“ und „Vincennes“ nach Uraga gekommen waren, und der Name des Landes, von dem sie gekommen waren, war ihnen im Gedächtnis geblieben.
Zuerst wies der Steuermann auf ein großes Landgebiet, wobei er „Amerika“ sagte, und zeigte dann auf das Schiff; das sollte unserer Ansicht nach meinen, daß es zu jenem Lande gehöre. Das nächste Land, auf das er deutete, war nur ein ganz kleiner Flecken; er sagte „Japan“ und „Jedo“ und wies auf uns. Wir verstanden nicht recht, was er damit sagen wollte, wir vermuteten indes, daß er damit unser Land meinte, obschon der von ihm gebrauchte Name falsch war und das kleine Stück auf der Karte uns viel zu winzig für Dai-Nippon erschien, da wir gelernt und stets gehört hatten, unser Land sei groß. Dann zeigte er auf ein großes Land westlich von „Japan“, das er „China“ nannte; was er damit meinte, war uns ganz unerklärlich, denn von einem Land „China“ hatten wir noch nie gehört; unter dem gewöhnlichen Volk, und in der Tat bei allen Japanern, war „China“ nur unter dem Namen „Kara“, „Nanking“ oder „To-goku“ bekannt.
Er zeigte alsdann auf eine Menge kleiner Inseln südlich von China, und machte Zeichen, daß deren Bewohner Menschenfresser seien. Als wir dies sahen, wurde es uns doch etwas ungemütlich, und wir hatten Furcht vor den Fremden, um so mehr, als einige von uns die Frage aufwarfen, ob dies nicht vielleicht eine Warnung für uns sein könne, da es doch nicht ausgeschlossen sei, daß, falls bei einer langen Reise der Proviant ausginge, man uns selbst zu verzehren beabsichtige? Dies machte manchen von unseren Leuten nachdenklich, die darauf die Kajüte verließen, um an Deck die Möglichkeit eines solchen Falles unter sich zu besprechen. Einige meinten, sie könnten uns verspeisen, andere aber waren der Ansicht, daß das Schiff Proviant genug führe, da der Kapitän selbst erst vor kurzem in den Raum gezeigt hatte, und da wir selbst über 50 Tage auf See getrieben hätten, könne es nicht mehr lange dauern, bis wir Land erreichten.
Nachdem der Steuermann die Karte erklärt, gingen wir alle an Deck. Wir gingen alsdann umher, um alles genau zu betrachten, denn für uns war es ja neu und fremdartig. Andere hockten nieder und schauten nach unserer alten Dschunke aus, und unterhielten sich über die große Wandlung, die wir seit dem Verlassen derselben auf dem fremden Fahrzeug durchmachten.
Wir bewunderten die Konstruktion des Kompasses und mit welcher Leichtigkeit das Schiff gesteuert wurde – nur durch einen Mann; besonders gefiel uns die hübsche und genaue Einteilung des ersteren in 32 Teile, während unserer nur 12 aufweist. Was uns aber noch besonders auffiel, war der große Unterschied in der Anzahl der Mannschaft auf diesem Schiff und dem unseren. Letzteres war bedeutend kleiner und durfte nicht unter 16 Mann einschließlich der Offiziere führen, wobei stets 3 und bei hoher See selbst 5 Mann am Ruder sein mußten, während jenes nur eine Besatzung von 11 Mann alles in allem führte, wobei nur ein Mann am Ruder genügte. Die Masten und Segel erregten gleichfalls unsere Verwunderung; unsere Dschunke hatte nur einen Mast und eine einzige Rahe mit einem großen, schwerfälligen Segel, das zeitweilig sehr schwer zu regieren war, währen die Barke mehrere Masten und eine Anzahl kleiner Rahen hatte, die viele kleine hübsche Segel führten, die mit Leichtigkeit regiert werden konnten.
Einer unserer Leute ging auf den Mann am Steuer zu und fragte durch Zeichen, wie viele Tage die Barke wohl noch bis zu ihrem Bestimmungsort brauche. Der Mann schien auch die Frage zu verstehen und antwortete ihm mit den Fingern, dem Arm und dem Kopf. Er ließ seinen Kopf auf dem Arm ruhen, wodurch er die Zahl der Nächte (schlafend) andeutend wollte, und zählte dann an den Fingern 42, was wir so auffaßten, als ob wir noch so lange an Bord schlafen müßten, ehe wir in den Hafen kämen. Damals konnten wir dies nicht glauben, aber es hat genau die angegebene Zeit gedauert, ehe wir San Francisco erreichten. Da wir selbst über 50 Tage auf unserem Wrack gewesen waren und nach unserer Rechnung Tausende von Meilen unserem Lande fortgetrieben waren, so glaubten wir natürlich, daß wir weit von demselben entfernt und in der Nähe eines fremden Landes seien, wo ein Küstenfahren uns aufgenommen habe. Wir dachten nicht, daß ein Schiff so viele Tage segeln könne, ohne je Land zu sehen, und glaubten, dies daher bald zu erreichen.
Bald war auch unser altes Schiff, die Dschunke, außer Sicht. Etwas vor Mittag erschienen der Kapitän und der Steuermann mit einem Instrument an Deck, durch welches sie verschiedenemale gegn Süden blickten. Bald darauf rief letzterer dem Mann am Steuer einige Worte zu, der sofort achtmal mit der Glocke anschlug; die große Glocke auf dem Verdeck erwiderte dies in gleicher Weise, worauf die beiden sich mit ihren Instrumenten entfernten.
Natürlich rief dies unter uns lebhafte Besprechungen hervor, um herauszufinden, was dies bedeute. Einige meinten, man könne durch die Instrumente das Land erblicken; andere behaupteten das könne nicht sein, denn sie hätten in die Sonne gesehen, um die Entfernung zu messen, und daß die Zeit dadurch bestimmt werde. Wir schlossen endlich, das müsse das richtige sein, da der Befehl zum Anschlagen der Glocke gleich darauf erfolgt war; sicher waren wir natürlich nicht, denn wir hatten ja keine Ahnung davon, daß sie die Sonnenhöhe aufgenommen hatten, um die Breite zu bestimmen.
Die Mannschaft ging darauf zum Essen und der Mann am Steuer wurde abgelöst. Um 12 ½ Uhr kam der Kajütenjunge auf das Hinterdeck, wo wir uns alle befanden, und machte mir ein Zeichen, ihm in die Kajüte zu folgen. Er führte mich in einen kleinen Raum, die Geschirrkammer. Dort gab er mir eine kuchenartige Schnitte (Weißbrot), auf welche er eine ölige Substanz (Butter) strich und mit braunem Zucker bestreute. Er forderte mich zum Essen auf, indem er mit gleichzeitig einen Teller Suppe vorsetzte, und dann ging er nach vorn zur Schiffsküche, um das Mittagessen für den Kapitän und Steuermann in die Kajüte zu bringen. Ich nahm das Brot und fing an, es zu verzehren; aber ein starker und unangenehmer Geruch ließ mich bald aufhören, und ich steckte das Brot in den Ärmel meiner Jacke. Ich machte mich nun an die Suppe, die mir sehr gut schmeckte, da sie den unangenehmen Geruch des Brotes nicht hatte. Sie bestand aus Bohnen, Salzfleisch und kleinen, würfelförmigen gerösteten Brotstückchen, die ihr einen sehr „ko-ba-shi-i“ (angenehmen Geruch) gaben.
Als der Kajütenjunge zurückkam, fragte er mich, ob ich das Brot gegessen, und ich antwortete mit Knopfnicken. Ich ging darauf schnell an Deck, um das mir widerliche Stück ins Meer zu werfen, und dies gelang mir auch, ohne daß jemand es merkte. Meine Gefährten umringten mich sofort mit Fragen nach dem Begehren des Jungen. Ich erzählte ihnen, was er mir zu essen gegeben, daß ich aber das Brot wegen seines unerträglichen Geruchs (salziger Butter) habe fortwerfen müssen, während die Suppe außerordentlich gut gewesen sei. Als mich darauf einer fragte, was darin gewesen, und ich die Bestandteile beschrieb, meinte er, daß die fleischartigen Bestandteile wahrscheinlich Rindfleisch gewesen seien, und ich mich in diesem Fall einer großen Sünde schuldig gemacht habe; ich dürfe infolgedessen weder zu unseren Göttern beten noch ihnen meine Verehrung bezeigen, da uns gelehrt worden sei, daß jemand, der von dem Fleisch vierfüßiger Tiere genösse, sich für die Dauer von 75 Tagen des Gebets, des Besuchs des Tempels oder irgendeines Opfers an die Götter zu enthalten habe, da Tierfleisch bei uns allgemein als unrein gilt.
Als ich dies hörte, wurde ich sehr betrübt, und dachte bei mir: Was soll ich tun? Die guten Götter haben mich aus einem nassen Grabe errettet, und ich soll nicht zu ihnen beten oder ihnen meine Dankbarkeit bezeugen und erkenntlich dafür sein dürfen? Da die Sache aber nun nicht ungeschehen gemacht werden konnte, so blieb nichts anderes übrig, als mich des Gebets an die Götter zu enthalten, wie der Mann gesagt hatte. Mein Gewissen wollte sich aber dabei nicht beruhigen, und ich zerbrach mir den Kopf, um aus diesem Dilemma herauszukommen, als mir plötzlich ein glücklicher Gedanke einfiel und ich mich eines Spruchs erinnerte, den ich häufig von alten Leuten zu Hause gehört hatte: „Shira-nu-ga-hoto-ke“, das heißt, „der Unwissende sei gesegnet“ oder „was man unwissentlich tut, kann nicht schlimm gemeint sein“. Ich hatte ja auch nicht gewußt, was ich gegessen; hätte ich es geahnt, würde ich es nicht gegessen haben. Mit diesen Gedanken ging ich nach vorn, zog mir einen Eimer Salzwasser herauf, wusch mir die Hände und spülte den Mund aus, und mich gegen unser Land (nach Westen) kehrend, betete ich zu den Göttern von Dai-Nippon (Groß-Japan), mir die unwissentlich begangene Sünde zu verzeihen. Nachdem ich dies vollbracht, fühlte ich mich in meinem Gewissen erleichtert, und es wurde mir wieder besser zu Mut.
[Heco landete in San Franzisco, lebte jahrelang in den USA, arbeitete in Japan für die US-amerikanischen Diplomaten; er war der erste Japaner mit amerikanischer Staatsbürgerschaft.]
Heco Joseph
Erinnerungen eines Japaners. Schilderungen der Entwicklung Japans vor und seit der Eröffnung bis auf die Neuzeit.
Stuttgart o.J. (1898)