1804 - Adam Johann von Krusenstern
Japanische Diplomatie
Nagasaki (Nangasaky)
Die beleidigende Vorsicht, mit welcher Fremde in Japan behandelt werden, ist hinlänglich bekannt. Obgleich wir nicht hoffen durften, dass man uns viel günstiger als andere Völker aufnehmen würde, so glaubten wir doch gewiss, da wir einen Gesandten an Bord hatten, den der Monarch einer mächtigen Nation [Russland], Nachbarin dieses in seiner Politik so ängstlichen Volkes, bloß mit Freundschaftsversicherungen abschickte, nicht nur keine ganz ungünstige Aufnahme finden würden; sondern wir erwarteten, dass uns manche Freiheiten würden zugestanden werden, die uns unsern dortigen Aufenthalt einigermaßen erleichtern, und für die lange Untätigkeit (da wir wenigstens sechs Monate hier zubringen mussten) durch die Gelegenheit entschädigen würden, Nachrichten über dieses so wenig bekannte Land zu sammeln, von welchem die einzigen Europäer, die dieses zu tun im Stande sind, es sich seit 200 Jahren zum Gesetz gemacht haben, nicht das geringste der Welt mitzuteilen.
In einem Zeitraum von 100 Jahren haben zwei Reisende ihre Bemerkungen über Japan durch den Druck bekannt gemacht; und obgleich sich beide verhältnismäßig nur eine kurze Zeit in diesem Lande aufhielten, so sind ihre Nachrichten unstreitig wichtig, da sie seit der Periode der Ausrottung der christlichen Religion in Japan, mit welcher die Nachrichten der Jesuiten aufhören, die einzigen sind. Beide aber waren nicht Holländer. Dieser Nation verdankt also Europa, was die Kenntnis des Japanischen Reichs betrifft, nichts. Ist es Furcht, dass die Japaner eine solche Freiheit scharf ahnden würden? Ist es Indolenz oder Politik? Nur der erste Grund könnte sie entschuldigen, wenn man wüsste, dass die Japaner die Schriften von Kämpfer und Thunberg, welche die holländischen Dolmetscher, die Spione der Japanischen Regierung, sehr gut kennen, missbilligt, und den Holländern ausdrücklich verboten hätten, über ihr Land zu schreiben. Dies ist aber nicht der Fall. Man hat nicht einmal eine erträgliche Bestimmung der Lage von Firando und Nangasaky von ihnen erhalten. Kämpfers Kopie von einem schlechten japanischen Plan ist der einzige, den man kennt. Ebenso wenig hat man von ihnen die Lage der Inseln in der Nähe von Nangasaky, geschweige denn von denen zwischen Nangasaky und Formosa erfahren, einer Gegend, die jährlich von zwei Schiffen zwei Mal befahren wird. Unmöglich würden ihnen die Japaner die Bekanntmachung der richtigen Lage dieser Gegenden zum Verbrechen gemacht haben.
Man kann also nicht umhin, diese Zurückhaltung der Holländer nur einer lächerlichen, kleinlichen und auf alle Fälle zwecklosen Politik, welche dem Geiste eines philosophischen Jahrhunderts ganz zuwider, und einer republikanischen Verfassung unanständig ist. zuzuschreiben. Hat der Handel der Engländer durch die Liberalität ihrer Minister etwas gelitten? Oder hat der Handel der Holländer durch ihre empörende Geheimniskrämerei gewonnen? Der Zustand des englischen und holländischen Handels ist jedem zu sehr bekannt, als dass ich diese Vergleichung weiter ausführen sollte.
Man verzeihe mir diese unwillkürliche Digression; ich komme jetzt auf unsere Aufnahme in Nangasaky zurück.
Obgleich wir gewiss erwarteten, mehr Freiheit zu bekommen, als man den Holländern zugesteht, so fanden wir uns doch sehr getäuscht. Diese geringe Freiheit, der man diesen Namen nur dann beilegen konnte, wenn man sie mit unserer gepressten Lage auf dem Schiffe verglich, und die uns im Anfange so verächtlich schien, dass wir sie mit Unwillen von uns gestoßen hätten, wäre sie uns unter der Bedingung angeboten worden, nicht mehr zu fordern; selbst dieses wenige wurde uns ganz versagt, und die Zeit unseres Aufenthalts war im buchstäblichen Sinn eine Gefangenschaft, von welcher der Gesandte eben so wenig wie der geringste Matrose auf dem Schiffe ausgeschlossen war.
Man sieht leicht, dass es schon dadurch besonders denen, die auf dem Schiff wohnten, unmöglich war, auch nur unvollkommene Nachrichten zu sammeln; da die einzigen Quellen derselben, die holländischen Dolmetscher, das Schiff, so lange der Gesandte am Lande wohnte, nie betreten durften. Der Leser wird folglich keine befriedigenden Nachrichten über Japan von mir erwarten können, obgleich unser Aufenthalt dort über 6 Monate währte.
Nur diejenigen Begebenheiten will ich hier chronologisch anführen, die dann und wann unsere Monotonie unterbrachen. Zwar sind die meisten von keiner Wichtigkeit; ich habe sie aber nicht auslassen wollen, sowohl weil alles, was sich in einem so wenig bekannten Lande zuträgt, schon einiges Interesse hat, als auch weil sich aus einer obgleich trockenen, doch ganz getreuen Darstellung von Tatsachen einige allgemeine Resultate werden ziehen lassen.
Der erste strenge Beweis vom japanischen Misstrauen wurde uns dadurch gegeben, dass man uns sogleich alles Pulver und Gewehr, selbst die Jagdgewehre der Offiziere, unter denen einige sehr kostbar waren, abnahm. Erst nach viermonatlichen Bitten und Vorstellungen erlaubte man, dass uns die Flinten der Offiziere zum Reinmachen abgeliefert wurden; die meisten davon waren aber schon unverbesserlich verdorben, als wir sie zurück erhielten. Den Offizieren ließ man indes ihre Degen, eine Begünstigung, welche den Holländern nie zugestanden worden ist. Auch die Soldaten durften ihr Gewehr mit dem Bajonett behalten. Die letzte Begünstigung haben die Holländer nie fordern können, da sie von jeher zu vorsichtig gewesen sind, um sich hier mit einem ähnlichen militärischen Apparat zu zeigen. Was mir aber in der Tat unbegreiflich schien, war, dass man dem Gesandten erlaubte, nicht nur seine Wache mit ans Land zu nehmen, sondern ihm auch zugestand, dass die Wache ihr Gewehr mitnehmen durfte. Freilich ward ihm diese Begünstigung nur mit dem größten Widerwillen zugestanden, und die Dolmetscher gaben sich mehrere Tage hindurch alle Mühe, den Gesandten zu bewegen, von dieser Forderung abzustehen. Sie stellten ihm vor, es sei nicht nur wider die Gesetze des Landes, sondern das Volk selbst würde Anstoß nehmen, bewaffnete Soldaten einer fremden Nation in seinem Lande zu sehen. Ein solcher Fall hätte sich nie vorher ereignet, und es wäre gefährlich, die verlangte Forderung zu gestatten.
Da diese Vorstellungen den Gesandten nicht bewegen konnten, seiner Ehrenwache zu entsagen, so baten sie ihn, wenigstens nur die Hälfte seiner Wache mitzunehmen. Aber auch hiezu verstand er sich nicht. Nicht dulden zu wollen, dass fremde, bewaffnete Soldaten ihr Land beträten, dies war vielleicht die verzeihlichste von allen ihren Forderungen; denn selbst in den aufgeklärtesten Ländern Europas ist dieser Gebrauch unerhört, und noch nie hat ein Gesandter es für schimpflich gehalten, den fremden Boden ohne eigene Soldaten zu betreten. Die Sache war indes zu wichtig, als dass der Gouverneur darüber hätte entscheiden können, und da während dieser Unterhaltung mehr als ein Monat verging, ehe der Gesandte ans Land geführt wurde, so war wahrscheinlich ein Kurier deshalb nach Jeddo oder Miaco geschickt worden.
Nach diesem kleinen Triumph über die Japaner komme ich wieder auf die Demütigungen zurück, die sie uns im vollen Maße erdulden ließen. Man durfte nicht nur nicht ans Land gehen, sondern es war nicht einmal erlaubt, in einer geringen Entfernung um das Schiff herum zu fahren. Eine Unterhandlung von wenigstens 6 Wochen ging voraus, ehe ein Platz zum Spazierengehen nicht weit vom Schiffe, und zwar mit Rücksicht auf das vorgebliche Übelbefindens des Gesandten, abgesteckt wurde. Dieser Platz befand sich dicht am Ufer des Meeres in einer eingeschlossenen Bucht und war nach der Landseite mit einer hohen Wand von Bambusrohr umzogen. Obgleich seine ganze Länge nicht viel über 100 und seine Breite höchstens 40 Schritte betrug, so waren doch in seiner Nähe zwei Wachthäuser errichtet. Ein einziger Baum, aber kein Grashalm zierte diese Promenade, der Boden bestand aus felsigem Grunde. Man sieht leicht, dass dieser Ort seiner Bestimmung wenig entsprach, und auch dazu nicht gebraucht wurde. Nur für unsere astronomischen Beobachtungen, welche die Japaner nicht hinderten, war er von größtem Nutzen. Sobald nach diesem Orte, der den Namen Kibatsch führte, ein Boot vom Schiffe fuhr, so setzte sich sogleich eine Flotte von 12 bis 15 Fahrzeugen in Bewegung, welche das Boot von allen Seiten umgaben, und in eben dieser Ordnung auch wieder zurück begleiteten.
Die Bekanntschaft, die ich am ersten Tage unserer Ankunft mit den Kapitänen der Holländischen Schiffe gemacht hatte, machte eine Fortsetzung derselben für mich wünschenswert. Es ward mir indes nie erlaubt, sie besuchen zu dürfen, eben so wenig gestattete man es irgend einem Holländer, an Bord unsers Schiffs zu kommen. Die barbarische Intoleranz der japanischen Regierung ging sogar so weit, dass man es uns versagte, Briefe durch die nach Batavia gehenden Schiffe abzuschicken, und wir wurden daher der Freude beraubt, unseren Familien von uns Nachrichten geben zu können. Nur dem Gesandten erlaubte man, dem Kaiser einen Rapport zu schicken; doch musste er sich den Befehl gefallen lassen, in seinem Berichte nichts anderes als eine kurze Relation unserer Fahrt von Kamtschatka bis Nangasaky zu machen, und Se. Majestät von dem Wohlsein aller auf dem Schiffe befindlichen Personen zu benachrichtigen. Dieser an den Kaiser geschriebene Brief musste durch die Dolmetscher ins Holländische übersetzt, ja sogar eine Kopie des Originals beim Gouverneur niedergelegt, und die Kopie genau so geschrieben werden, dass jede Zeile sich mit dem nämlichen Buchstaben wie im Originale endigte. Diese Kopie wurde dem Gouverneur eingehändigt, und das Original, nachdem er es mit der Kopie verglichen, durch zwei von seinen Sekretären an Bord geschickt, in deren Gegenwart es erst versiegelt werden durfte. Als endlich die holländischen Schiffe absegelten, so wurde uns der Befehl mitgeteilt, auf keinen Fall ein Boot zu ihnen an Bord zu schicken; und als ich den Kapitänen Musquetier und Beimark im Vorbeisegeln eine glückliche Reise wünschte und mich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte, so bestand die Antwort, die ich erhielt, in einer Bewegung mit dem Sprachrohre: welches der Chef der Holländischen Faktorei in einem Briefe an den Gesandten dadurch entschuldigte, dass es den Kapitänen aufs strengste verboten sei, irgend einen Laut auf unsere Fragen von sich zu geben. Man kann nicht leicht Ausdrücke finden, welche das Schimpfliche, das Barbarische einer solchen Begegnung stark genug darstellen. Wie sehr ist es zu bedauern, dass eine gebildete europäische Nation, welche der Liebe zur Freiheit ihre politische Existenz verdankt, und sich durch große Taten glänzenden Ruhm erworben hat, bloß aus Liebe zum Gewinn sich so weit erniedrigen kann, die gehässigsten Befehle von Sklaven mit so viel Demut und Ergebenheit anzunehmen! Empörend, unbeschreiblich empörend ist der Anblick, brave Männer mehrere Minuten in der verworfensten Lage vor einem Banjos, der oft zum niedrigen Pöbel gehört, zu sehen, während dieser Banjos die ihm gezollte demütige Ehrfurcht nicht einmal mit einem Kopfnicken erwidert.
Als endlich der Gesandte die Erlaubnis erhielt, ans Land zu gehen, wies man ihm zwar eine sehr anständige Wohnung an; schwerlich sind indes die sieben Türme in Konstantinopel so wohl verwahrt wie das Megasaky unsers Gesandten: denn dies war der Name des Dezima (die kleine Insel, auf der die Holländer ihre Faktorei etabliert haben) der Russen. Das Haus stand auf einer Landspitze so nahe am Ufer des Meeres, dass nach Süden und Osten zu das Wasser zur Zeit der Flut bis unter die Fenster stieg. Wenn ich von Fenstern spreche, so wähle ich wohl einen unrichtigen Ausdruck; denn dieses Wort schickt sich eben nicht für Quadrate von einem Fuß Größe, die mit einem doppelten Gitterwerk versehen waren, und daher nur ein schwaches Licht in die Zimmer sandten. Eine hohe Wand von Bambusrohr umgab das ganze Gebäude, nicht nur von der Landseite, sondern auch von der See her, ungeachtet der Wellen, deren Schutz den Japanern nicht hinlänglich schien. Außerdem waren zwei Reihen von Bambusrohr von der Pforte so weit ins Meer geführt, wie das Wasser während der Ebbe zurücktrat, damit die Boote vom Schiffe nur zwischen den Bambuswänden fahren könnten, wenn sie ans Land kämen: eine Vorsicht, die kaum einen Zweck haben konnte. Eine große Pforte mit doppelten Schlössern bildete den Eingang von der Wasserseite. Von dem Schlosse außerhalb hatte ein wachhabender Offizier, dessen Posten in der Nähe des Schiffs war, den Schlüssel und von dem Schlosse der inwendigen Seite ein anderer Offizier, der in Megasaky wohnte. Fuhr nun ein Boot ans Land, so musste erst der Verwahrer des äußeren Schlüssels mitfahren, um seine Seite aufzuschließen, und darauf wurde die innere Seite geöffnet. Ebenso musste, fuhr jemand vom Lande an Bord des Schiffs, nachdem der Pförtner von Megasaky sein Schloss aufgeschlossen hatte, das beim Schiffe liegende Fahrzeug an Land kommen, um ebenfalls das äußere Schloss zu öffnen. Die Pforte selbst blieb nie über fünf Minuten offen, und wusste man gleich, dass man nach einigen Minuten zurückfahren würde, so gaben sich die Pförtner lieber die Mühe zweimal zu verschließen und zu öffnen, als die Pforte so lange offen zu lassen. Die Landseite war mit der nämlichen Vorsicht verwahrt. Eine stark verschlossene Pforte war die Grenze eines sehr kleinen, zum Hause des Gesandten gehörigen Hofes. Da uns aber Packhäuser eingeräumt wurden, die jenseits dieses Hofes lagen, so fiel den Wächtern das beständige Auf- und Zuschließen zu beschwerlich, und sie blieb zuletzt ganz offen; eine Reihe von Wachhäusern umgab indes diesen zweiten Hof vor den Packhäusern. Zwölf Offiziere mit ihren Mannschaften lösten sich täglich ab, um diese Wachen zu besetzen. Drei ganz neue Gebäude wurden aufgeführt, die als Wohnungen anderer Offiziere dienten, welche kein anderes Geschäft haben konnten, als ein wachsames Auge auf uns oder auch auf ihre eigenen Offiziere zu haben. In geringen Entfernungen auf dem Wege nach der Stadt zu waren Pforten, die nicht nur verschlossen waren, sondern auch noch durch Wachen gehütet wurden. Zuletzt ließ man zwar die ersten zwei Pforten offen, allein die Wachen verließen sie nicht auf einen Augenblick. Man überzählte jedes Mal die Personen, welche an Land kamen, und das Boot durfte nicht eher wieder abfahren, als bis es die nämliche Anzahl wieder eingenommen hatte. Wollte einer von den Offizieren des Schiffes die Nacht über in Megasaky bleiben, so musste jemand von den am Lande Wohnenden an seiner Stelle an Bord gehen; und eben so, wenn einer von den Offizieren, die zur Suite des Gesandten gehörten, am Bord des Schiffs schlafen wollte, so musste einer von den Matrosen an seiner Stelle ans Land geschickt werden: denn die bestimmte Menge der am Lande Wohnenden durfte weder vermindert noch vermehrt werden, und man sah in dieser Rücksicht nie auf den Rang, sondern auf die Anzahl.
Da alle Boote des Schiffs eine Reparatur nötig hatten, und ich auf der Barkasse ein Verdeck machen und sie mit Kupfer beschlagen lassen wollte, so bat ich um einen Platz, wo man sie ans Land ziehen könnte. Dieser Platz wurde zwar zugestanden; der, den sie uns anwiesen, war aber so wenig geräumig, dass zur Zeit der hohen Fluten nicht gearbeitet werden konnte. Überdies war er so wie Kibatsch ganz mit Bambus eingezäunt, und zwei Boote hielten beständig die Wache, so lange die Zimmerleute sich dort aufhielten. Nie war es jemandem erlaubt, den geringsten Spaziergang zu machen. Eine Stelle für ein Observatorium wurde ebenfalls abgeschlagen, und man konnte selbst den Anblick des Himmels, das einzige, wohin ihre Bambusrohre nicht reichten, aus Mangel eines schicklichen Beobachtungsortes nicht benutzen.
Wenn ich hier eine lange Reihe von Klagen gegen die misstrauische Behandlung der Japaner anführe, so darf ich auf der anderen Seite eben so wenig verschweigen, dass alle meine Forderungen in Betreff der Materialien, die wir zur Reparatur des Schiffs brauchten, immer aufs genaueste bewilligt wurden; auch veranstaltete man die Versorgung der Mannschaft mit Provision nicht nur außerordentlich pünktlich, sondern man lieferte uns durchgängig immer das Beste, was in Nangasaky zu haben war, und zwar genau die Quantität, die ich verlangte.
Krusenstern, Adam Johann von
Reise um die Welt in den Jahren 1803, 1804, 1805 und 1806
1. Band, St. Petersburg 1810