1835 - Anonymus
Mit dem ersten Eisenbahnzug von Nürnberg nach Fürth
Auf dem eingehegten Platze, welcher zu dem Verwaltungslokal der Eisenbahn-Gesellschaft gehört, war natürlich halb Nürnberg versammelt. Alle Bauten, die Eisenschienen, die neuen, zum Teil eleganten Wagen, vor allem aber die Lokomotive, wurden gebührend bewundert. Überdies nahm das ruhige, umsichtige, zutrauenerweckende Benehmen des englischen Wagenlenkers uns völlig gefangen. Welches Bewußtsein seiner äußersten Wichtigkeit sprach aus allen seinen Handlungen. Jede Schaufel Kohle, die er nachlegte, brachte er mit Erwägung des rechten Maßes, des rechten Zeitpunktes und der gehörigen Verteilung auf den Herd. Keinen Augenblick müßig, auf alles achtend, die Minute berechnend, da er den Wagen in Bewegung zu setzen habe, erschien er als der regierende Geist der Maschine und der in ihr zu ungeheurer Kraftwirkung vereinigten Elemente. Ein Böllerschuß verkündete den Abgang des ersten Zuges. Der Wagenlenker ließ die Kraft des Dampfes nach und nach in Wirksamkeit treten. Aus dem Schlot fuhren nun die Dampfwolken in gewaltigen Stößen, und die neun aneinandergeketteten Wagen, die etwa zweihundert erwartungsfreudige Menschen faßten, begannen sich unter den Klängen der Festmusik langsam in Bewegung zu setzen. Bald aber wiederholten sich die Dampfstöße immer schneller, die Wagen rollten dahin und waren schon nach kurzer Zeit den Augen der Nachschauenden entschwunden. Die Menschenmenge jauchzte und jubelte und winkte den Vorüberfahrenden zu. In der Tat, es gewährte der Anblick des vorbeirollenden Wagenzuges fast ein größeres Vergnügen als das Selbstfahren.
Die Fahrt wurde an diesem Tage noch zweimal wiederholt, das zweitemal bin ich auch mitgefahren, und ich kann versichern, daß die Bewegung durchaus angenehm, ja wohltuend ist. Wer zum Schwindel neigt, muß es freilich vermeiden, die vorüberfliegenden Gegenstände näher ins Auge zu fassen. Auch das Schnauben und Qualmen des ausgestoßenen Dampfes verfehlte seine Wirkung nicht. Pferde auf der nahen Chaussee sind beim Herannahen des Ungetüms scheu geworden, Kinder haben ein leichtes Beben nicht unterdrücken können. Ja, es möchte wohl keiner, der nicht völlig phantasielos ist, ganz ruhigen Gemütes und ohne Staunen beim Anblick dieses dampfspeienden Ungeheuers geblieben sein.
Stuttgarter Morgenblatt
8. Dez. 1835