Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1187 - Imad ad-din, Schreiber am Hofe Saladins
Saladin erobert Jerusalem

 

Als der Sultan [Saladin] mit seiner Armee sonntags den 15 Ragab (21 Septemb.) westlich von Jerusalem Aufstellung genommen, rühmte die mit allem Kriegsbedarf wohl versehene Besatzung in der Stärke von 60.000 Mann zu Pferd und zu Fuss, dass Einer es mit 20 Muslimen, und 10 es mit 200 aufnehmen würden; diesseits der Kumame [Auferstehungskirche] finde die Auferstehung statt. Innerhalb 5 Tagen hatte er den einzelnen Corps ihre Angriffsstellen angewiesen, die Maschinen aufgestellt, und der Kampf entbrannte heftig auf allen Seiten. Freitags den 20 Ragab (26 Septemb.) leitete er von der nördlichen Seite, wo eine leichter zu übersehende Fläche sich dem Auge darbot, die Belagerung. Samstags morgens (27 Sept.) waren die Maschinen schon aufgestellt. Häufige Ausfälle, sowie fast ununterbrochene Reiterkämpfe gaben den Unseren Gelegenheit, ihre Tapferkeit zu bekunden; für die im Kampfe Fallenden, wie der Emir lzz ad-din Isa, gab es kein Hindernis zum Eintritt in das Paradies. Während unsere Reiter die feindlichen Reiter zurückschlugen, waren die Muslime bis an die Gräben herangerückt und hatten Breschen in die Mauer geschlagen, so dass die Belagerten durch ihre Anführer den Sultan um freien Abzug ersuchen liessen. Dieser schlug die Bitte ab mit den Worten: „Ich will die Stadt so erobern, wie jene sie vor 91 Jahren von uns genommen haben; die Männer werde ich töten, Frauen und Kinder wegführen“; überhaupt lag es in seiner Absicht, keinen, der dieses Jahr zum Besuche dorthin gekommen, entweichen zu lassen. Als nun Barizan [Balian II von Ibelin]auf freiem Abzuge bestand, rief jener: „Ich traue Euch nicht und gehe nicht auf diese Bedingung ein; so lange ich da bin, soll Euch nichts Gutes blühen; wir nehmen Euer Reich mit Gewalt, dehnen die Metzelei und Gefangenschaft auf Alle aus, vergiessen das Blut der Männer, nehmen Alles, Weiber und Kinder.“ Als er nun bei der abschläglichen Antwort beharrte, und jene besorgten, dass diese Drohungen sich bald erfüllen würden, entgegneten sie ihm: „Wir geben nun die Hoffnung auf Rettung auf und erwarten keinen Frieden noch Gnade, aber darum wollen wir uns auch auf Tod und Leben verteidigen und unser Blut so teuer als möglich verkaufen. Keiner von uns wird verwundet sein, es sei denn, er habe zuvor 10 von Euch Wunden beigebracht. Die Häuser werden wir anzünden, die Türme zerstören und Euch einen Schutthaufen zur Plünderung überlassen. Die Sahra [den Felsen, von dem der Prophet Mohammed in den Himmel gefahren ist] wollen wir zertrümmern und dann sehen, wie Ihr es bedauert, auch den Turm über der Sahra einstürzen und die Quelle Sulvan verstopfen. Die 5000 muslimischen Gefangene in unserer Mitte, hohe und niedere, reiche und arme, werden wir vorher noch umbringen. Geld und Wertsachen werden wir vernichten, unsere Weiber und Kinder vorher sterben und keinen Stein auf dem andern lassen, und welcher Vorteil wird Euch alsdann aus der Ruine erwachsen?".
   Hierauf hielt der Sultan sofort Kriegsrat, und das Interesse für die Kriegsgefangenen machte sich geltend, so dass man den freien Abzug gegen Entrichtung einer Kopfsteuer von 10 Dinar für einen Mann, 5 für eine Frau und 2 für jedes Kind bestimmte; hinzugefügt wurde, dass, wer innerhalb 40 Tagen die Taxe nicht bezahlt habe, über die Klinge springen solle. Diese Bedingungen fanden die Billigung des Ibn Barizan, des Patriarchen und der beiden Grossmeister, der Templer und Hospitaliter. Ersterer der Genannten deponierte sofort 30.000 Dinar als Lösegeld für Unbemittelte.
   Freitag, den 27 Ragab (den 3. Octob.) kapitulierte die Stadt bei einer Bevölkerung von über 100.000 Seelen. Eine Commission, an deren Spitze ein Emir. stand, überwachte an den einzelnen Toren den Loskauf, konnte aber nicht verhindern, dass in mancher Weise die Bedingungen der Übergabe umgangen wurden, so wenn einige sich mittels Stricken über die Stadtmauer hinabliessen, oder heimlich hinausgetragen wurden; wieder andere erlangten die Freiheit durch Verkleidung, Bestechung oder Fürsprache. Muzaffar ad-din Kukburi entliess 1.000 Gefangene, weil sie Armenier aus Ruha seien; der Herr von Bira (am Euphrat) befreite ebenfalls 500 Landsleute, welche nur nach Kuds [Jerusalem] zur Wallfahrt gekommen seien; in gleicher Weise hatten auch andere gehandelt. Adil hatte dieses Verfahren gemissbilligt, und so war eine gemischte Aufsichtsbehörde, aus Ägyptern und Syrern bestehend, eingesetzt worden, welche Billete austeilte, und wer einen solchen Zettel am Tore vorzeigte, durfte frei ausgehen. Mir erzählte ein glaubwürdiger Mann, dass diese Commissionen vielfach die eingenommenen Summen in ihre Taschen statt in den Staatsschatz steckten, und gleichwohl erreichten die Loskaufgelder immer noch die ansehnliche Summe von nahezu 100.000 Dinar. Eine griechische Fürstin, welche in einem Kloster sich der Verehrung des Kreuzes hingab, erhielt vom Sultan die Erlaubnis, mit allen ihren Wertsachen und ihrem ganzen Gefolge die Stadt zu verlassen. Die Gattin des gefangenen Königs Ki, die Tochter des Königs Amari, hatte das gleiche Los getroffen; ihr Wunsch war, mit ihrem Manne in Nabulus weilen zu dürfen; auch ihr wurde der Ausgang mit Kostbarkeiten und sämtlichem Gefolge gestattet, ebenso wie einer anderen Prinzessin, der Mutter Hunferis, Tochter Filibs, Gemahlin des Prinzen, der am Tage von Hittin das Leben verlor. Sie, die Herrin von Karak und Saubak, hatte die Freilassung ihres Sohnes, Al-Ani ibn hunferi b. hunferi von Damascus unter der Bedingung erwirkt, dass sie ihr Schloss dem Sultan zur Verfügung stellen sollte. Einige Emire begleiteten sie, um Festungen zu übernehmen, allein die Besatzungen liessen sich nicht darauf ein, so dass sie unverrichteter Sache abziehen musste und Sur zum Aufenthaltsorte sich erkor. Bezüglich ihres Sohnes hatte sie das Versprechen des Sultans, dass ihr Sohn sofort in Freiheit gesetzt werden solle, sobald jene Burgen den Muslimen die Tore geöffnet hätten.
   An demselben Tage liess Salah ad-din in seinem Zelte ausserhalb Kuds die Deputationen von Emiren, Richtern und Theologen zur Beglückwünschung antreten, sein Blick verriet Mässigkeit und Bescheidenheit inmitten des Glückes. Vorlesungen über den Kuran wechselten mit Vortrag von Gedichten und Recitationen sowie mit Dankergüssen gegen Allah. Der schwarze Stein verneigte sich vor dem weissen. Alles jauchzte auf vor Freude über die Einnahme einer durch Ibrahim und der Propheten Aufenthalt so denkwürdigen Stätte. Von allen Seiten pilgerten die Muslime nach Kuds und setzten von hier die Wallfahrt nach Mekka fort.

 

Goergens, Ernst Peter
Arabische Quellenbeiträge zur Geschichte der Kreuzzüge
Band 1, Berlin 1879; Nachdruck 1975

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