1853 - Ida Pfeiffer, Weltreisende
Die Zeremonie des Zahnfeilens
Makassar, Sulawesi / Celebes
Indonesien
Musik und wiederholte Böllerschüsse verkündeten endlich das Erscheinen der Königin. Mit langsamen, gemessenen Schritten, mit beinah geschlossenen Augen wankte sie unter dem Baldachin, gleich einer zu opfernden Dulderin, ihrem Platz zu. Sie war in zwei purpurrote Sarongs gekleidet, von welchen der eine den oberen, der andere den unteren Teil des Körpers deckte. In den Haaren trug sie Kränze von Melati (der gefüllte Jasmin; er ist die Lieblingsblume der Malaien und Chinesen und riecht angenehm, aber etwas stark) nebst künstlich gearbeiteten Blumen von Gold, außerdem Ringe, Armbänder und anderes Geschmeide.
Die Königin blieb stumm und bewegungslos sitzen und schlug den Blick kein einziges Mal auf. In ihrer Nähe bildeten ein Dutzend Mädchen ein halbes Viereck und sangen ein religiöses Lied. Man brachte hierauf eine alte, abgenutzte Matratze, breitete ein Tuch darüber und legte einige Polster nebst einer Decke darauf zurecht. In diesem Augenblick entstand plötzlich an der Eingangstüre ein heftiger Lärm, große Bewegung; es schien mir, daß Leute mit Gewalt eindringen wollten und abgewehrt wurden. Ich dachte schon, daß dieser Aufstand mir gelte, daß es das Volk übelnähme, mich als Fremde dieser großen Feierlichkeit beiwohnen zu lassen. Die Ruhe wurde indes bald wieder hergestellt; ich konnte leider die Ursache dieser Unruhe nicht erfahren, und auch mein Tolk vermochte nicht, mir darüber Auskunft zu geben. Letzterer war überhaupt sehr mit Dummheit geschlagen, denn ich mochte ihn fragen was ich wollte, er war beinahe nie imstande, meine Fragen zu beantworten.
Man führte nun einen ältlichen Mann ebenfalls unter dem Baldachin an das Bett, stellte an seine Seite ein mit Wasser gefülltes Becken und legte verschiedene Instrumente daneben. Die Königin schob sich in sitzender Stellung nach dem Bett. Die Duenna (Anstandsdame) nahm ihr die Blumen aus den Haaren und reichte eine kleine goldene Untertasse einer nahe sitzenden, sehr alten Frau (der ältesten Königin aus der Verwandtschaft), welche darein einen ganzen Mundvoll blutroten Speichels spuckte. Mit diesem kostbaren Saft salbte sie die Königin an den Schläfen und an der Stirne, goß auch etwas davon auf einen Riemen, den sie nach ihr schnellte, um ihren Körper von allen Seiten zu besprengen. Hierauf nahm sie eine Räucherpfanne mit Rauchwerk, reichte sie dreimal von der rechten zur linken Seite um die Königin, ein viertes Mal in umgekehrter Richtung. Die Königin mußte sich nun der Länge nach niederlegen, wurde leichthin mit der Decke bedeckt und mit Melati bestreut. Die Duenna hockte sich rechts zu ihrem Kopfe, der Arzt nahm die linke Seite ein, und mich setzte man neben die Duenna, ebenfalls der Königin ganz nahe, welche mich bei der Hand faßte und diese während der ganzen Operation nicht mehr losließ. Sie sah überaus betrübt aus, drückte nur zeitweise die Hand und blickte mich dabei so wehmütig an, als wollte sie Hilfe von mir erheischen. Fast mit Angst harrte ich der kommenden Dinge.
Der Arzt warf drei Feilen von verschiedener Größe in das Wasserbecken, schob der Königin eine kleine Walze von Palmkohl zwischen die Zähne, nahm die größte der Feilen und fing damit so kräftig an, auf die Zähne loszuarbeiten, als hätte er einen Holzblock unter den Händen. Mit einer zweiten, kleineren Feile setzte er die Operation fort. Bevor er an die kleinste kam, nahm er die Walze aus dem Mund und schob an deren Stelle ein um die Hälfte dünneres Röllchen von Betelblättern. Im ganzen machte er seine Sache gut und schnell, besonders wenn man die plumpen Instrumente betrachtete, deren er sich bediente. Was aber die arme Königin dabei gelitten haben mag, wissen die Götter! Dennoch verzog sie keine Miene: Ich fühlte nicht einmal ihre Hand erzittern.
Als die Operation vorüber war, reichte man dem Arzt einen Hahn; er riß ihm ein Stückchen von dem Kamm los und bestrich mit dem herausquellenden Blut die Zähne und Lippen der Dulderin. Zu Ende wiederholte die Duenna mit drei angebrannten, zusammengebundenen Kerzen dieselbe Zeremonie, die sie mit der Räucherpfanne vorgenommen hatte, worauf die Königin wieder auf ihren alten Platz zurück rutschte.
Wenn Zahnfeilungen bei hohen Häuptern statthaben, gibt es in den Zwischenräumen von mehreren Monaten drei Feste. Bei dem ersten werden die Zähne bezeichnet, wie weit sie zu feilen sind, bei dem zweiten werden die unteren, bei dem dritten die oberen Zähne gefeilt.
Pfeiffer, Ida:
Die Reise 1851 durch Borneo, Sumatra und Java
hrg. von Gabriele Habinger
Wien 1993
Titel der Originalausgabe:
Meine Zweite Weltreise, Wien 1856