Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1104 - Albert von Aachen, Chronist
Akkon wird an die Kreuzfahrer übergeben

 

Es kam eine Botschaft des Königs Balduin [I. von Jerusalem] zu den Genuesern und Pisanern und entbot ihnen des Königs herzlichste Grüße. Und dann überbrachte sie ihnen auch die innigste Bitte des Königs, sie sollten um Gottes und der Heiligtümer von Jerusalem willen die Stadt Ptolemais, die jetzt Akkon heißt, vom Meer aus mit ihrer Flotte belagern und bestürmen, indes der König selbst mit Gottes Hilfe und mit den Truppen der Christgläubigen vom trockenen Land aus die Belagerung führen werde. Da sie des Königs Bitten und Mahnung hörten, freuten sich alle und unverzüglich fuhren sie mit ihrer Flotte und Streitmacht vor Akkon. Der König aber schlug auf trockenem Lande rings um die Mauern sein Lager auf. Und so bekämpften sie einige Tage lang die Stadt mit Steinschleudern und Sturmmaschinen und dann berannten sie die mauern mannhaft und fochten schonungslos auf allen Seiten wider die Bewohner, bis schließlich die Sarazenen im Widerstand erlahmten und nichts mehr zu unternehmen wagten.
   Als nun der Emir der Stadt sah, daß die Seinigen von der Verteidigung abließen und an jeder Hilfe verzweifelnd nicht mehr wagten, wider das Heer des Königs zu stehen, bat er um Frieden und Waffenstillstand, damit er beraten könne, wie er dann die Stadt unter Schonung der Bürger in die Hände des Königs ausliefere. Und so ward auf Bitten des Emirs Friede geschlossen und man gab sich die Rechte und das Volk ruhte vom Kampfe. Und nun berief der Emir alle sarazenischen Bürger zu einer Versammlung zusammen und beriet ängstlich mit ihnen und redete folgendermaßen vor allen Bürgern:
   „Lange haben wie die Stadt, ja bis aufs Blut, verteidigt. Jetzt aber erhoffen wir keine Hilfe mehr, weder von unserem König von Babylon noch von den anderen Städten, woher sie sonst wohl zu kommen pflegte, wegen der Belagerung vom Meer her durch die feindliche Flotte. Und darum, wenn wir all die Unsrigen retten wollen, müssen wir in dieser höchsten Not die Stadt dem König Balduin öffnen und überliefern, ehe wir unter unseren Waffen sterben und sterbend weder die Stadt noch unser Leben retten können. Darum, wenn mein Rat euch gut dünkt und kein besserer gefunden werden kann, soll, ehe ihnen die Stadt geöffnet wird, zwischen uns und dem König ein Vertrag geschlossen werden, daß wir unversehrt mit unseren Weibern und Kindern und all unserer Habe die Stadt verlassen und überall hin ziehen dürfen, friedlich und ohne Angriff oder Nachstellung von den Seinigen.“
   Alle stimmten dem Rat des Emirs bei und alsbald ward auch dem König hinterbracht, daß nämlich untergegebenem Treuwort den Bürgern ein friedlicher Auszug aus der Stadt vergönnt sein sollte, dann wollten sie ohne weiteren Widerstand dem König die Tore öffnen. Der König nun und der Patriarch Ebermar berieten sich mit den Ihrigen über diesen Vorschlag: wenn sie nämlich ihre Bitte abschlügen und ihnen Geleit und Vertrag verwehrten, so würden die Bürger in ihrer Furcht nicht wagen, die Stadt zu verlassen, und sie selber könnten dann die Stadt nicht ohne eigene Lebensgefahr erobern. Und darum sollten sie ihren Bitten nachgeben, so zwar, daß die Stadt den Christen ausgeliefert und geöffnet würde, die Sarazenen aber mit alle ihrer Habe friedlich und ungefährdet auswandern dürften. Aber die Pisaner und Genuesen, von Gier nach dem Gut der Heiden entbrannt, gaben zur Antwort, sie würden keineswegs dulden, daß die Reichtümer der Stadt und ihre unermeßlichen Schätze friedlich weggeschleppt würden. Schließlich aber wurden sie vom König und dem Herrn Patriarchen dieses Widerspruchs wegen zurechtgewiesen und besänftigt und so willigiten sie in alles ein, was ihnen zum Nutzen der Christen das Beste schien. Und so ward vom König den Sarazenen endlich Friede versprochen und gewährt und am Tag und Fest der Himmelfahrt (26. Mai 1104) wurden die Stadt und ihre Tore den Christen geöffnet.
   Nun wurden der König und Sein Heer eingelassen; der Fürst der Stadt aber und die anderen Einwohner zogen friedlich mit ihren Weibern und Kindern, mit ihrem Vieh und all ihrer Habe heraus. Als nun aber die Pisaner und Genuesen sahen, wie diese Leute mit all ihrem Hausgerät auszogen und ihre unermeßlichen Schätze mit sich schleppten, wurden sie ganz verblendet von Geiz und Habsucht und vergaßen der Treue und des Vertrags, den sie mit dem  König geschlossen, und plötzlich brachten sie mitten in die Stadt ein, erschlugen die Bürger und raubten ihnen Gold, Silber, Purpurstoffe aller Art und viele Kostbarkeiten. Das französische Volk aber, das vom trockenen Land aus mit dem König in die Stadt eingezogen war, sah, wie die Pisaner durch die Stadt liefen, Bürger erschlugen und unglaubliche Schätze erbeuteten, und wurden nun gleichfalls ovn der Flamme der Habsucht erfaßt, vergaßen ihren Eid und machten ungefähr 4.000 Bürger mit Dem Schwert nieder und raubten ihre Schätze, Kleider und Vieh und all ihre unzähligen Reichtümer. Als dieser ungerechte Auflauf schließlich zur Ruhe gebracht war, erzürnte der König gar gewaltig des Unrechts wegen, das ihm die Pisaner und Genuesen durch ihren Eidbruch angetan. Und deshalb, daß man nicht glauben sollte, mit seiner hinterlistigen Zustimmung seien Treue und Vertrag gebrochen worden, rief er seine Genossen und seine ganze Gefolgschaft zusammen und war bereit, schwer dieses Verbrachen zu rächen, wäre nicht der Herr Patriarch dazwischengetreten und hätte sich immer wieder ihm zu Füßen geworfen und hätte er ihn nicht durch klugen Rat schließlich besänftigt und so auf beiden Seiten Frieden und Vertrag wiederhergestellt.

 

Albert von Aachen (Albericus Aquensis)
Geschichte des Ersten Kreuzzuges
Übersetzt und eingeleitet von Herman Hefele
2. Band, Jena 1923

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