Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1850 - Ferdinand Maximilian von Österreich (später Kaiser Maximilian von Mexiko)
Athen: Ein Palast zum Hineinwachsen
Griechenland

 

Das Leben wird immer bewegter, je mehr man sich dem großen Platze nähert, an dem der königliche Palast auf einer Anhöhe steht; auf der linken Seite hat ein Triestiner ein schönes Gebäude im griechischen Geschmacke gebaut; die rechte Seite ist leer und läßt einen Blick auf den neuen Theil der Stadt offen, in dem sich einige recht nette Häuser befinden. In der Ferne glänzt das Meer und auf demselben zeichnen sich in klarer Luft die herrlichen Säulen des Jupiter-Tempels ab; auf dem Platze selbst sind große, regelmäßige Pflanzungen von Cactus, Aloën und Cypressen angelegt, in deren Mitte ein Weg, mit breiten Marmorstiegen zum Palaste hinan führt; rechts und links sind Alleen mit Fahrwegen. Diese Pflanzungen stehen im Einklange mit den architektonischen Linien des Palastes, der in ziemlich schmucklosem, griechischen Style dasteht; nur leuchtet an den Wänden, Fenstern, Balconen und Terrassen der weiße griechische Marmor statt aller Zierrath hervor. Der ganze Bau ist ein längliches, zweistöckiges Viereck; an der Front, gegen die Stadt, tragen dorische Säulen einen Balcon über der Einfahrt; von dieser führt eine herrliche freischwebende Marmorstiege in das obere Stockwerk. Auf der Meeresseite wird eine Terrasse von Säulen gestützt, die zu ebener Erde einen offenen Gang bilden, von dem aus breite Stufen zur Straße hinabführen; jenseits derselben liegt der mit den herrlichsten südlichen Gewächsen geschmückte Garten der Königin; auf der Rückseite, gegen die Gebirge zu, schwebt wieder ein Balcon über der hinteren Einfahrt, von der aus eine Wendeltreppe aus Marmor und Bronce hinaufsteigt. Da das Aeußere des Palastes wenig verziert ist, so hat er von weitem leider ein kasernenartiges Ansehen, welches der Reichthum des Materials erst in der Nähe mildert; auf jeden Fall ist er aber viel zu groß für die kleine Stadt, ja sogar für das kleine Land. Augenblicklich merkt man den leitenden Geist des Königs Ludwig von Baiern, welcher die Bauten nicht dem Bedürfniß anpaßte, sondern sie um ihrer selbst willen hinstellte. So müssen auch das griechische Reich und seine Hauptstadt, sein Hof und seine Dynastie, erst in diese Palasträume hineinwachsen.

 

Ferdinand Maximilian von Österreich
Mein erster Ausflug – Wanderungen in Griechenland
Leipzig 1868

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