Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1896 - Caecilie Seler-Sachs, Mexikanistin

Guatemala City

 

Staub und Sonne waren tagelang unsere steten Begleiter gewesen, und staubig und sonnig war auch die lange, breite Vorstadtstraße, durch die wir bei unserer Ankunft nach Guatemala hineinreiten mußten. Erst bei dem kleinen Fort, das so aussieht, als wäre es aus Pappe für den Weihnachtstisch gemacht, beginnt die eigentliche Stadt. An dieser Stelle ist ein großer Markt, und wir mußten erst durch sein Gewühl hindurch unseren Weg finden. Was war uns in Oaxaca und auch unterwegs nicht für Rühmens gemacht worden von der eleganten Stadt! Vorderhand schauten wir vergeblich nach irgend etwas aus, was nicht in jeder größeren mexikanischen Provinzstadt ebenso gewesen wäre, ja bedeutend schöner und besser, zum Beispiel das Pflaster. Die Leute auf den Straßen machten einen merkwürdig europäisch langweiligen Eindruck. Keine Reiter in der kleidsamen mexikanischen Tracht, auf reichen Sätteln, mit hohen, breitkrempigen Hüten, sondern englische Sättel, europäisch korrekte Kleidung.

Durch lange, gerade Straßen, von einstöckigen Häusern eingefaßt, ging es dem Mittelpunkt einer jeden spanisch-amerikanischen Stadt, der Plaza, zu. Ein paar Herren, die wir deutsch sprechen hörten und um Auskunft baten, musterten uns mißtrauisch und fertigten uns sehr kurz ab. Das war uns auch noch nicht begegnet. Aber wir sahen freilich heruntergekommen und fremdartig genug aus auf unseren müden Gäulen, mit großen mexikanischen Hüten, mein Mann mit verwildertem Haar und Bart. Einen vertrauenerweckenden Eindruck werden wir kaum gemacht haben, denn als wir endlich das Hotel erreicht hatten, verweigerte man uns die Aufnahme, zuerst unter dem Vorwande, daß man den uns begleitenden Hund nicht im Hause dulden könne. Und als wir versicherten, daß er bei den Pferden bleiben würde, hieß es kurzweg, man habe kein Zimmer frei. Also zogen wir vor ein deutsches Haus, wo unser Äußeres nicht solchen Anstoß erregte, als bei dem stolzen Spanier. Aber ich empfand eine lebhafte Schadenfreude, als ich diesen nach einigen Tagen auf der Straße traf, nachdem ich mich wieder ein wenig zivilisiert hatte, und er mich ebenso erstaunt als höflich grüßte. - Das waren unsere ersten Eindrücke in Guatemala.

Wir empfanden bald den Wunsch, die laute Ungemütlichkeit und das schlechte Essen des teuren Hotels mit behaglicheren Verhältnissen zu vertauschen, und fanden, was wir suchten, in einer französischen Familie, die aus Mann, Frau und deren Schwester bestand.

Sie hatten ein hübsches neues Haus, nicht weit von der Plaza de Armas, gerade gegenüber dem im Bau begriffenen neuen Regierungspalast, gemietet und eine Pension darin eingerichtet. Das Haus war in dem üblichen Stil, der für warmes Klima der bewährteste ist: es gruppierte sich um zwei Höfe. Um den vorderen, der mit Büschen und Blumen geschmückt war, zogen sich offene Säulengänge, auf die sich die Türen der Zimmer öffneten, die an Fremde vermietet wurden. Im Querflügel befand sich die Sala, die hier als Speisesaal diente, und um den hinteren Hof, in dem der laufende Brunnen das nötige Wasser spendete, lagen die Wirtschaftsräume und die Zimmer der Wirtsleute.

Keine Hausform kann sich wohl einer solchen Verbreitung und Langlebigkeit rühmen wie diese. Nachdem sie sich das ganze Mittelmeergebiet erobert hatte, begleitete sie die Spanier auch in die Neue Welt. Und wenn man versuchen wollte, für städtisch-europäische Bedürfnisse in warmen Ländern eine Hausform zu finden, so müßte es gerade diese sein. Es ist bedauerlich, daß die Nordamerikaner, in völliger Verkennung der gegebenen Verhältnisse und in ihrem Streben nach Gleichartigkeit, auch nach tropischen Städten ihre Bauart, die auf möglichste Raumausnutzung berechnet ist, zu übertragen versuchen.

Monsieur Berger machte Geschäfte - manchmal machte er auch keine -, die Frauen besorgten die Wirtschaft so gut oder schlecht sie konnten. Ein Dienstmädchen fand manchmal sogar Zeit, unser Zimmer aufzuräumen. Aber es war entschieden besser, sich darauf nicht zu verlassen. Im ganzen war es ein behaglicher Aufenthalt, zu dem wir nach größeren Unternehmungen gern wieder zurückkehrten und wohin wir, wenn es uns unterwegs schlecht ging, sogar mit gewissen Heimatsgefühlen zurückdachten, trotz der Legionen von Flöhen, die einem das Leben schwer machten, und trotz der Gerüche nach Bacalao (Stockfisch), mit dem unsere Wirte und ein Teil ihrer Gäste einmal die Woche ihre südfranzösischen Gaumen erlabten.

Da wir zu verschiedenen Malen, und stets einige Wochen, in Guatemala weilten, bekamen wir ein Bild von der Stadt und lernten das Leben kennen, das die Fremden dort zu führen pflegen, während wir mit den Einheimischen wenig in Berührung kamen. Das pflegt ja auf Reisen häufig so zu sein, in den Städten ist der Fremde auf Gasthausleben angewiesen, wo er eben auch wieder Fremde trifft. Ganz anders außerhalb der Städte, wo die Gastfreundschaft den Reisenden in nahe Berührung bringt mit den Landesbewohnern und ihren Sitten, ja wo selbst das bezahlte Nachtquartier doch oft noch den Stempel der Gastfreundschaft trägt, besonders in einfachen Kulturzuständen. Dazu kommt, daß man in Ländern mit Halbkultur in vieler Beziehung außerhalb der Städte sich materiell besser befindet. Nur zu häufig trifft man in den großen Städten das Bestreben, Landesübliches, Erprobtes und daher Gutes hintenan zu setzen und statt dessen europäische Sitten und Gebräuche einzufahren, für die oft alle Vorbedingungen fehlen. All das trägt nicht dazu bei, den Aufenthalt an solchen Orten zu einem angenehmen zu gestalten. Ich liebe die großen Städte nicht und verweile nicht gern in ihnen, und Guatemala bietet dem Fremden wenig. Ich will mich also mit einigen kurzen Bemerkungen begnügen.

Wie schon erwähnt, lag unsere Wohnung nur wenige Schritte von der Plaza de Armas, dem weiträumigen Hauptplatze der Stadt, entfernt. Das große Rechteck ist mit geschmackvollen Gartenanlagen geschmückt, unter deren Schatten es sich hübsch ruhen läßt. Die eine Seite des Platzes ist - wie üblich - von der stattlichen Kathedrale eingenommen. Vor den Häusern der anstoßenden Seiten ziehen sich Lauben hin; der Kirche gegenüber liegt - wie ebenfalls üblich - das Regierungsgebäude, ein langes, völlig schmuckloses, ebenerdiges Haus. Aber dahinter, mit der Vorderseite der Seitenstraße zugewendet, erhob sich, fast vollendet, ein stattlicher neuer Regierungspalast, den der junge Reina Barrios, der damals Präsident der Republik war, errichtete. Ich weiß nicht, ob er die Vollendung des Unternehmens noch gesehen hat, denn wenige Jahre später fiel er durch ruchlose Mörderhand, nachdem er aus einem Bürgerkrieg als Sieger hervorgegangen war. Er war keiner der Schlechtesten, die auf einem mittelamerikanischen Präsidentenstuhl gesessen haben. Dachte er auch an seinen eigenen Vorteil, so war er doch auch bestrebt, seinem Lande zu nützen, und hatte für mancherlei Interesse. Sein Steckenpferd war die Verschönerung seiner Hauptstadt und das Militär. Täglich um die Mittagsstunde wurde auf der Plaza Wachtparade abgehalten, bei der er niemals fehlte. Wie überrascht waren wir, hier plötzlich deutsche Uniformen anzutreffen, nur trugen die Infanteristen Artilleriehelme und umgekehrt. Fraglich scheint mir allerdings, ob diese für ganz andere klimatische Verhältnisse berechnete Ausstattung für Guatemala gerade die passendste war. Vermutlich hatte ein spekulativer Kopf ausgemusterte preußische Uniformen aufgekauft und in Mittelamerika an den Mann gebracht. Ich nehme aber an, daß die armen Kerle nur in der Garnison in den dicken Tuchhüllen schwitzen mußten, da wir unterwegs Soldaten in leichter, heller Kattunjacke und mit Strohhut angetroffen hatten.

Seine Verschönerungsgelüste betätigte der Präsident zur Zeit unseres Aufenthaltes durch Erneuerung des Pflasters der Bürgersteige, auch dort, wo es noch ganz gut und dienlich war. Es lag ihm nämlich in landesväterlicher Sorge das Gedeihen einer Aktiengesellschaft am Herzen, zu der er in Beziehung stand und die der Herstellung eines Kunststeines oblag. Ebenso wie das Aufblühen einer unter seinem Protektorate erst kürzlich gegründeten Schuhfabrik, der zuliebe eine Verordnung ergangen war, daß jeder Mann der Republik Stiefel tragen müßte, wofern er als vollgültiger Staatsbürger gelten wollte. Ich weiß nicht, wie sich die Indios zu dieser Verordnung verhielten, nur kann ich versichern, daß es immer noch Barfüßige gibt.

Aber ohne Einfluß bleibt solch zivilisatorischer Eifer nicht auf einfache Gemüter. Schon nach wenigen Tagen waren unsere beiden braunen Jungen, Turibio und Cornelio, nicht wiederzuerkennen: Die hübschen, breitrandigen, mexikanischen Hüte waren ebenso verschwunden wie die bequemen Sandalen und die losen Blusenhemden. Statt dessen steckten sie in schlecht sitzenden europäischen Kleidern und verlangten gar noch, daß ich sie bewundere, während mir doch ganz traurig zu Sinne war, weil ich wieder einmal vor der Frage stand, warum Kultur und Häßlichkeit oft gar so eng verschwistert sind.

Nach Süden zu ist die einzige Stelle, wo das Stadtgebiet mit dem umliegenden Lande in breiter Fläche zusammenhängt. Nach dieser Seite ist daher auch die einzige Möglichkeit einer Ausdehnung gegeben, da die Landbrücke bei der Parroquia vieja im Nordosten nur schmal ist.

Lenkt man die Schritte nach Süden - man kann sich dazu der Pferdebahn bedienen -, so kommt man am Bahnhofe vorüber, durch wüstes Vorstadtgelände zum Paseo, dem Nachmittagskorso der eleganten Welt. Dieser Spaziergang ist wirklich hübsch. Seine breiten Fahrstraßen ziehen sich zu beiden Seiten eines mit Gartenanlagen geschmückten Mittelstreifens in ziemlicher Ausdehnung hin. Freilich hätten in diese Anlagen, wenn sie nun einmal bildhauerischen Schmuck erhalten sollten, nur große, wuchtige Figuren gepaßt statt der niedlichen und süßlichen kleinen Nippes, die man dazwischen aufgestellt hat: die vier Jahreszeiten (was denkt sich wohl der Guatemalteke bei der Darstellung des Winters?), allerliebste Bauernmädchen und dergleichen mehr. Wäldchen und vereinzelte Villen bilden den seitlichen Rahmen des Paseo, während ein großer, dekorativer Bau, dessen Bedeutung unklar ist, seinen Abschluß darstellte.

Was aber das Herrlichste ist, wenn man nach Süden hin aus der Stadt hinausgeht, das ist der Blick auf die drei Vulkane: links der breite, niedrige Pacaya, rechts die schön geformten Kegel des Agua und des Fuego. Freilich muß man nicht an die Majestät der Schneegipfel zurückdenken, die das Tal von Mexiko beherrschen und einen unvergleichlichen Anblick gewähren. Aber es ist doch reizvoll, aus der verblauenden Ferne diese charaktervollen Formen herübergrüßen zu sehen, die man für würdig befunden hat, das Stadtwappen zu bilden.

Am Paseo hatte man auch das Gelände für die Ausstellung bestimmt; dieser Ausstellung, die damals eine brennende Tagesfrage war, von der überall gesprochen wurde, die dann aber so ziemlich ins Wasser fiel und statt des gehofften Gewinnes so manchen Verlust brachte. Die Präsidentschaftswahl stand vor der Tür; Reina Barrios wollte wieder gewählt werden, und die "Exposición" sollte ihm Freunde werben. Mir ist die Geschichte dieser Ausstellung, mir sind all die politischen Fragen, die dabei mitspielten, nur ungenügend bekannt, ich kann daher nichts darüber erzählen. Aber ich weiß, daß man allerlei phantastische Erwartungen daran knüpfte; daß man von einem starken Fremdenstrom fabelte, ohne sich klarzumachen, woher er wohl kommen sollte. Und ich weiß auch, daß diese Fabeln im Lande überall nur zu gern geglaubt wurden. Man änderte sogar der Exposición zuliebe die Zollsätze für eingeführte Waren, zum Schaden der großen Importhäuser, die empört darüber waren. Die Eröffnung geschah mit erheblichem Gepränge unter Teilnahme aller Behörden und fremden Diplomaten. Die Offiziere eines deutschen und eines amerikanischen Kriegsschiffes, die auf der Reede vor San José ankerten, waren heraufgekommen und halfen zur Verherrlichung des Festes. Wir kamen am Abend des Eröffnungstages gerade nach einer längeren Abwesenheit zurück und wurden noch Zeugen der lebhaften Aufregung, in der sich die Stadt befand. Gesehen habe ich die Ausstellung nicht. Die Zeit bis zu unserer Abreise war von längeren Ausflügen, Krankheit, Arbeit vollauf ausgefüllt. Auch hörte man kaum noch davon sprechen. Nur auf dem Dampfer, der uns nach Norden führte, machte eine fesche, temperamentvolle Amerikanerin ihrer Entrüstung über die"Exposición" Luft, der zuliebe sie die vierzehntägige Seereise von San Francisco unternommen hatte. Ich glaube, kein zweiter Mensch hat diesen Leichtsinn besessen.

In entgegengesetzter Richtung wie der Paseo und Ciudad vieja, ziemlich genau im Norden der Stadt, liegt das Dorf Jocotenango, nach dem ebenfalls die Pferdebahn führt. Es ist ein freundlicher Ort, der sich unmittelbar der Stadt anschließt und dessen Häuser sich zum größten Teil an einer langen Straße aufreihen. Hier haben sich auch einige Europäer angebaut, die die Stille und frische Luft dem Geräusch und Straßenstaub der Stadt vorziehen. Das Land ragt hier wie eine Art Halbinsel in die rings umgebenden Schluchten vor, die überall von Quellen und Flüßchen belebt sind. Steigt man auf steilem Pfad in die Barranca hinab, so kommt man zu einer Stelle, wo man eine schöne, kühle und frische Quelle in eine Badeanstalt geleitet hat. Große ausgemauerte Becken lehnen sich unmittelbar an den bewaldeten Berghang und sind mit dem erquickenden Wasser gefüllt; nur schade, daß diese Bäder von Guatemala aus schwierig zu erreichen sind und daher nicht ihrem Wert entsprechend benutzt werden können.

Überschreitet man die zweite der vorher erwähnten Landbrücken im Nordosten, so kommt man nach der Parroquia vieja, dem ältesten Teile der Stadt, der sich an den Hügel des Klosters Carmen lehnt, der alten Ermita, nach der die Landbevölkerung noch heute die Stadt benennt. An Sonntagnachmittagen sieht man überall auf der kurzen Grasnarbe, die den Hügel bedeckt, Gruppen von heiteren Menschen gelagert. Aber auch an anderen Tagen lenkt man gern die Schritte zur kleinen Anhöhe, die eine alte Kapelle und die Ruinen eines befestigten Klosters trägt. Nach einer Seite schweift der Blick von hier aus weit über welliges, grünes Land, nach der anderen über die niedrigen Dächer der Stadt, über die sich die Türme der Kathedrale mächtig emporstrecken; weit dahinter aber heben sich wieder die Gipfel der Vulkane in verdämmernder Ferne, am nächsten, am deutlichsten der des Agua. Kein großartiger Blick, keine wilden Gebirge, keine tropische Üppigkeit, nicht die überwältigende Weite des Meeres, noch die Majestät schneebedeckter Berge - aber die anspruchslose Einfachheit des Bildes verleitet zum Träumen und beruhigt die Seele. Ich glaube, es war kein Zufall, daß ich stets, wenn ich mich des lieblichen Anblickes erfreute, Deutsche dort oben traf.

Wenngleich es uns immer wieder ins Freie hinauszog, in die Barrancas hinunter, auf die Hügel hinauf, wenngleich ich zu Pferd, zu Fuß und im Wagen einen Teil der Umgebung Guatemalas kennenlernte, so verbrachten wir doch einen großen Teil der Zeit zwischen den Häusern. Da fiel mir die Menge der mit allen europäischen Bedürfnissen versehenen Läden auf, und daß sie zum größten Teil in deutschen Händen sind. In allen besseren Geschäften, auch sofern sie Franzosen oder Spaniern gehören, findet man deutsche Angestellte, oder solcne, die Deutsch sprechen. Freilich sind das nicht alles Reichsdeutsche, sondern es leben viele Schweizer im Lande, die aber zur deutschen Kolonie halten. Ein anderes deutsch sprechendes Element sind die Deutsch-Amerikaner, die weder ordentlich deutsch, noch gut englisch sprechen und nicht recht wissen, ob es vorteilhafter ist, sich als Deutscher oder als Amerikaner aufzuspielen. Unter ihnen sind viele süddeutsche Juden.

Die kleinen Geschäfte, die Tiendas, sind durchaus in Händen von Ladinas, denen auch fast alle Dienstmädchen, Näherinnen, Plätterinnen und mit sonstigen weiblichen Arbeiten beschäftigte Personen zugehören, und ich habe in diesen Frauen und Mädchen einen sehr arbeitsamen Teil der städtischen Bevölkerung kennengelernt. Man kann fast ganz europäisch in Guatemala leben, wenn man nur das nötige Geld dafür ausgeben will, denn das Leben dort ist sehr teuer - viel teurer als in Mexiko. Zur Zeit als wir in Guatemala waren, mögen die ungünstigen Silberverhältnisse dazu mitgewirkt haben, die Preise in die Höhe zu treiben, denn das Ausland berechnete alle Waren zum Goldwert, Silber wurde von Tag zu Tag wertloser, der "Cambio" bildete ein stehendes Gesprächsthema in allen Kreisen und ebenso die bevorstehende Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten, zwei Angelegenheiten, die ja in ursächlichem Zusammenhang standen.

Trotzdem entfalteten die deutschen Kaufmannsfamilien großen Luxus in ihrer Häuslichkeit, der uns vielleicht nach der langen Zeit der Entbehrungen noch bedeutender erschien. Wie es in den einheimischen Familien in dieser Beziehung aussah, weiß ich nicht. Nur daß ihre Damen beträchtlichen Toilettenaufwand trieben und den französischen Modistinnen ordentlich zu verdienen gaben, habe ich gesehen. Allen voran ging die Frau des Präsidenten, eine Amerikanerin aus den Südstaaten, die bedeutende Verschwendung in Kleidern, Schminken und Haarfärbemitteln trieb, und sich weder beim Publikum, noch - wie man sich erzählte - bei ihrem Manne sonderlicher Beliebtheit erfreute.

Wir fanden freundliche Aufnahme unter den Deutschen. In der Familie des deutschen Gesandten kam man uns liebenswürdig entgegen. Der deutsche Klub öffnete uns seine Pforten, und sein reichlich ausgestattetes Lesezimmer hat mir über so manche ungenützte Stunde hinweggeholfen. Auch von den Altertümern, die sich einer und der andere unserer Landsleute von ihrer Finca mitgebracht, fanden einige Stücke den Weg in unsere Sammlung. Aber wie heitere und freundliche Stunden wir auch in deutschen Familien verlebten, so muß ich doch an dieser Stelle vor allem des Scheuerschen Hauses gedenken. Es wurde von drei Geschwistern bewohnt: ein Bruder war Arzt, ein anderer Kaufmann, die Schwester war Lehrerin und machte die Hausfrau. Gemeinsame Beziehungen von der Heimat her brachten uns schnell einander näher. Wir machten tieferen Einblick in die fremden Verhältnisse; wie manchen guten Rat, wie viele in heimischer Fröhlichkeit verlebte Stunden verdankten wir den Geschwistern! Wie treu nahmen sie sich unser an mit Rat und Tat, als mein Mann krank lag!

Nicht weit von der Plaza de Armas, gleich hinter der großen Kathedrale, liegt der Nuevo Mercado, die neue Markthalle. Was Guatemala von eigenartigem Leben besitzt, was ihm überhaupt eine eigene Physiognomie gibt, das drängt sich auf diesem engen Raum, fast dem einzigen, wo man Eingeborene in größerer Zahl sieht. Obgleich sie aus verschiedenen Dörfern kommen, so ist doch eine gewisse Übereinstimmung in der Weibertracht zu bemerken. Vorherrschend sind die dunkelblauen Röcke. Da sie auf den Märkten, vor allem in Quezaltenango, zum Verkauf kommen, werden sie wohl größtenteils Fabrikware sein. Auch ist die ursprüngliche Form des Hüfttuches schon rockähnlich geworden, der Stoff mit seinen beiden Schmalseiten zusammengenäht und nur von mäßiger Weite. Darüber wird häufig eine grellbunte Schürze von schlechtem, europäischem, dünnem Baumwollzeug getragen. Oft zeigt auch der Rock statt der dunkelblauen, von weißen, quadratisch geordneten Streifen durchzogenen Farbe die grellbunten Streifen. Diese bunten Stoffe kauft man abgepaßt in der Markthalle. Nie habe ich in Guatemala oder Chiapas Frauen mit der Spindel gesehen, die doch für die Frauen anderer Stämme so charakteristisch ist; es ist sonderbar, daß auch unter den Altertümern sehr selten Spinnwirtel angetroffen werden. Die Hemden sind oft reich gestickt der rote Gürtel von beträchtlicher Breite, das Haar von rotem oder buntem Wollband durchzogen. Die Rasse ist klein und unschön.

Was in der Markthalle feilgeboten wird, ist das gleiche wie auf so vielen anderen Märkten Mexikos und Guatemalas. Nur vermißt man die Fülle kleiner Erzeugnisse einer formen- und farbenfrohen Hausindustrie, wie sie den Markt von Oaxaca so anmutig beleben. Früchte und Gemüse kommen massenhaft zum Verkauf und sind das Einzige, was in Guatemala billig ist. Andere landwirtschaftliche Erzeugnisse, zum Beispiel Butter, werden in die Häuser gebracht oder unter der Hand verkauft. Ja, man kann gute frische Butter in Guatemala haben, aber sie ist sehr teuer und kommt auch nicht regelmäßig zur Stadt.

Der Mangel all der kleinen brauchbaren Dinge, die der Mexikaner so hübsch zu verfertigen weiß, war mir schon seit längerer Zeit aufgefallen. Der Markt in San Cristóbal in Chiapas war der letzte, wo ich noch mancherlei davon gesehen hatte. Aber hier gab es nichts dergleichen: keine Tompiates, keine Ayates, keine Morales, kein Iztle. (Tompiates sind weiche, runde Körbe, aus Palmstroh geflochten; Ayate ein grobes, gitterartiges Gewebe aus Agavefaser; Morales heißen große und kleine, flache, aus Stroh geflochtene Taschen, die zu allem möglichen dienen, die großen zum Beispiel dazu, den Pferden den Mais zu geben. Iztle ist der sehr dauerhafte Faden aus Agavefaser.) Besonders bei der Ausrüstung zur Reise entbehrten wir all diese Dinge sehr, da sie ungemein praktisch und zu vielerlei Zwecken dienlich sind. In Guatemala sind sie alle von teurer europäischer Ware verdrängt. Nicht einmal anständigen einheimischen Tabak gab es zu rauchen. Man erzählte uns, daß durch eine unzweckmäßige Steuer der Tabakbau gänzlich zugrunde gerichtet sei. Was man im Lande bekam, war ungleichmäßig, meist schlecht. In der Hauptstadt gab es überall aus Europa eingeführte Zigaretten.

Guatemala hat viele Kirchen, Schulen, öffentliche Gebäude, die sowohl gemeinnützigen, als auch wissenschaftlichen Zwecken dienen. Ich lernte das Krankenhaus kennen, als ich einen jungen Deutschen dort besuchte, der sich im Getriebe der Zuckerpresse arg verletzt hatte. Freilich bekam ich bei diesen flüchtigen Besuchen keinen tiefen Einblick in die Einrichtungen, doch war der Eindruck, den ich empfing, ein durchaus freundlicher. Alle Säle und Zimmer öffnen sich auf weite Höfe mit laufenden Brunnen, so daß für Luft überall gesorgt ist. Auch unser junger Freund war durchaus zufrieden. Über die Kunst der einheimischen Ärzte kann ich nicht urteilen. Sie wird wohl nicht gleichwertig sein; manche haben im Auslande studiert, und man rühmte mir ihr Wissen.

Im Erdgeschoß des Universitätsgebäudes ist die öffentliche Bibliothek untergebracht, mit hübschen, behaglichen Arbeitsräumen. Wir hatten eigentlich gehofft, von den verschwundenen Archiven aus Chiapas hier etwas zu entdecken, da sich Nachrichten finden, daß man vieles von San Cristóbal hierher gebracht habe. Doch fand sich nichts dergleichen; dagegen einige beachtenswerte sprachliche Sachen.

Ein umfangreiches Bauwerk ist das Instituto, das ehemalige Jesuitenkolleg, das Hörsäle, zur Universität gehörige Schulen und Sammlungen enthält. Hier sollte angeblich auch die Altertumssammlung zu finden sein. Im Jahre 1892 war Guatemala auf der Historischen Ausstellung in Madrid ganz stattlich vertreten gewesen. Von dort war die ganze Sammlung nach Chicago gegangen, und wir hofften, sie hier wiederzufinden und - da wir nun im Lande so mancherlei gesehen hatten - sie mit doppeltem Vergnügen zu studieren. Nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen gelang es uns, den Direktor der Sammlungen anzutreffen, einen liebenswürdigen Herrn, der in seinem naturwissenschaftlichen Gebiet trefflich Bescheid wußte und uns auch bereitwilligst durch die betreffenden Abteilungen führte. Auf unsere Frage nach Altertümern meinte er, da wäre der Degen des Alvarado. Und nachdem wir ihm endlich begreiflich gemacht, was wir zu sehen wünschten, wurde uns der verblüffende Bescheid: "Colección de antigûedades? Ya no hai; se acabó!" (Sammlung von Altertümern? Die gibt es nicht mehr; sie ist alle!) Es ergab sich, daß die Sachen aus Chicago nicht wieder zurückgekommen waren, vermutlich dort verkauft worden sind. Es fanden sich noch ein paar defekte Skulpturen aus Coban, einige der eigentümlichen, mit Zacken besetzten Schalen, wie sie im Amatitlansee gefunden werden, und etlicher wertloser Kram. Das war die Altertumssammlung des Nationalmuseums von Guatemala.

So habe ich mancherlei gesehen und kennengelernt, aber nicht genug, um ein abschließendes Urteil über Guatemala fällen zu dürfen. Ich mag das schon nicht, weil ich fürchte, ungerecht zu werden, denn behaglich habe ich mich dort eigentlich niemals gefühlt. Ich bin nie recht warm und heimisch geworden, während mich in Mexiko stets ein wohliges Heimatgefühl erfaßte. Worin dieser Unterschied begründet sein mag, habe ich mir vergeblich klarzumachen versucht. Vielleicht liegt es daran, daß Mexiko alter Kulturboden ist; es hat dort alles mehr Physiognomie und Charakter; es hat eine Fülle intimer Reize, die selbst vom allermodernsten Leben noch nicht völlig verwischt sind, während Guatemala nüchtern und langweilig ist.

 

Caecilie Seler-Sachs

Auf alten Wegen in Mexiko und Guatemala: Reiseerinnerungen aus den Jahren 1985 bis 1897

Wien (Promedia) 1992

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!