1784 - Barthélemy Faujas de Saint Fond
Besuch im Schloß
Inveraray, Schottland
Der Herzog von Argyll hatte die Gefälligkeit, uns zu sagen, dass er uns wenigstens einige Wochen bei sich behalten wolle, um uns in den Stand zu setzen, das Land und die benachbarten, der Beobachtung werten Berge recht kennen zu lernen. Da wir aber der Zeit dringend bedurften, so glaubten wir, dass drei gut angewandte Tage ausreichend sein würden, um das Merkwürdigste in der Gegend um das Schloß von Inveraray und insbesondere einige höhere Hügel und offene Steinbrüche in Augenschein zu nehmen, und dass, wenn wir diese Arbeit früh morgens unternähmen, wir einen Teil des Abends den gesellschaftlichen Pflichten und dem Vergnügen widmen könnten, eine so einige, gebildete und verehrungswürdige Familie näher kennen zu lernen.
Wir blieben also drei ganze Tage bei diesem angenehmen Aufenthalt, beschäftigten uns des Morgens mit der Naturgeschichte und des Abends mit Musik oder Gesprächen; und da die sanften, liebenswürdigen Sitten des Herrn und der Frau des Hauses wie auch der freundschaftliche Ton, der unter den Kindern herrschte, die alle Talente und Geschmack an Bildung hatten, mich sehr lebhaft anzogen, da ich darüber hinaus einige Gebräuche gesehen habe, die die schottische Freimütigkeit und Gutherzigkeit zeigen, so will ich ein flüchtiges Gemälde meiner Beobachtungen entwerfen.
Das Schloß von Inveraray ist ganz von gehauenem Stein von grauer Farbe erbaut. Es ist eine Art Speckstein, der sich weich anfühlt und sowohl Politur wie auch jede Form annimmt, die man ihm mit dem Messer geben will. Obgleich er so zart ist, widersteht er doch der Luft gut, wenigstens ebenso sehr wie der dauerhafteste Marmor.
Man hat Mühe zu glauben, dass ein dem Anschein nach so altes Schloß dieses Alter ohne den geringsten Verfall erreichen konnte, denn alles sieht so gut aus, die Winkel sind so rein, so vollkommen, die Farbe des Steines ist so gleichmäßig und von einem gut gehaltenen Ton, dass es aussieht, als ob das Gebäude gerade eben vollendet worden sei.
Ich kam aber bald von meinem Erstaunen darüber ab, da ich auf Zugbrücken über die Gräben ging, durch eine Tür wie zur Zeit Karls des Großen eintrat und mich auf einem schönen Vorplatz befand, der zu einer Treppe mit doppeltem Aufgang im italienischen Stil führte, die von der schönsten Art und der vollkommensten Baukunst war.
Dieser Vorplatz ist mit großen, bronzierten antiken Vasen geziert, die auf Sockeln zwischen Säulen stehen; diese Vasen dienen zugleich als Öfen, um den Vorplatz und die Treppe zu heizen.
Die Treppe selbst ist prächtig, mit Geschmack verziert, und sie erhält das Licht auf künstliche Art. Die Stufen sind mit schönen Teppichen belegt, alles zeigt hier ausgesuchteste Reinlichkeit. Man hat hier einige Erinnerungen an die gotischen Zeiten beibehalten wollen und so der schönen Treppe gerade gegenüber in einer großen Nische, die mit gotischen Säulenbündeln verziert ist, ist ein großartiges Dekor in Form einer Orgel angebracht, die dem Ganzen ein bedeutendes religiöses Ansehen gibt. Dieser Kontrast mag in der Theorie ein wenig bizarr erscheinen, aber in der Ausführung hat er doch einen gewissen Reiz.
Der übrige Teil des Hauses ist auf eine ebenso elegante wie bequeme Art eingerichtet und kann eine zahlreiche Gesellschaft aufnehmen. Man hat hier, wie es sich auf dem Lande gehört, weit mehr auf den Aufwand von Einfachheit und äußerster Reinlichkeit als auf prächtige Vergoldungen und kostbares Hausgerät gesehen.
Dieses Schloß ist, obwohl es sehr alt scheint, doch von sehr neuer Bauart. Man hat dem gotischen Geschmack den Vorzug gegeben und ihn mit den schönsten Formen im Inneren verbunden, weil die Gebäude des 10. Jahrhunderts sich mitten in einem Gehölz am Fuß der Hügel sehr gut ausnehmen. Sie erinnern an die Ritterschaft und an die Tapferkeit und an die galanten Abenteuer jener loyalen Zeiten. Diese Erinnerungen verbreiten einen gewissen Reiz über der Szene, sie verschönern sie und machen sie rührend. Wir lieben doch alle die Romane ein wenig.
Die Parks, die mit inländischen wie fremden Bäumen bepflanzt sind, haben eine beträchtliche Größe und erzielen die schönste Wirkung. Es sind leere Plätze gelassen, die mit dem schönsten Grün geziert sind und von Wegen und Fußsteigen durchschnitten werden, die zu Gärten, Gewächshäusern, Schäfereien, einsamen Gehölzen, auf Hügel, an die Ufer von Flüssen oder an das Gestade eines Meerarmes führen.
Jeder steht das Morgens zu einer ihm beliebigen Stunde auf; der eine kann spazieren reiten, der andere auf die Jagd gehen; ich selbst ging mit Sonnenaufgang in der Umgegend naturhistorische Spaziergänge machen.
Um zehn Uhr läutet die Glocke zum Frühstück. Man verfügt sich dann in einen großen, mit historischen Familiengemälden verzierten Saal, unter denen sich einige von Battoni, Reynolds und anderen geschickten italienischen und englischen Meistern befinden.
Hier stehen nun verschiedene Teetische mit siedenden Teemaschinen, frischem Rahm, kleinen Broten verschiedener Art, und dazwischen von Blumensträußen, Zeitungen und Büchern bedeckt. Auch befinden sich in diesem Zimmer ein Billard, Pianofortes und andere musikalische Instrumente.
Nach dem Frühstück geht ein Teil der Gesellschaft im Park spazieren, ein anderer setzt sich zum Lesen hin. Noch andere beschäftigen sich mit Musik oder gehen in ihre eigenen Zimmer bis halb fünf Uhr, wenn man wieder die Glocke zum Mittagessen läuten hört; im Speisesaal findet man gewöhnlich eine für 25 bis 30 Personen gedeckte Tafel. Wenn jeder Platz genommen hat, so verrichtet der Almosenier [Geistlicher, der die Almosen verwaltet] nach Landesgewohnheit ein kurzes Gebet und spricht den Segen über die Speisen, die man mit Vergnügen zu sich nimmt, denn sie werden von einem vortrefflichen französischen Koch zubereitet. Man speist hier ganz auf Pariser Art, einige auf englische Weise zubereitete Schüsseln ausgenommen, für die sich immer eine große Vorliebe zeigt. Aber dies gibt eine gute Abwechslung, sodass sich die Leckermäuler aus allen Ländern befriedigt sehen.
Es machte mir besonderes Vergnügen, hier sowohl Servietten wie gewöhnliche Gabeln am Tisch zu finden; denn ich mag gar nicht gern mit den kleinen, sehr spitzen, stählernen Dreizacken in Gestalt kleiner Pfeile, die an einem Griff befestigt sind, die Zunge und den Mund zerstechen; man benutzt diese in der Regel in England, und selbst in Häusern, wo man sonst sehr gut zu Mittag speist. Ich weiß wohl, dass diese Art von Gabeln, die man zuweilen mit einem Messerheft versieht, bloß dazu dienen soll, die Stücke aufzuspießen und festzuhalten, während man sie zerschneidet, und dass die Messer, die sehr breit und vorne etwas gebogen sind, den Dienst der französischen Gabeln verrichten, das heißt, dazu dienen, die Speisen zum Munde zu bringen. Aber ich gestehe, dass ich mich bei diesem Gebrauch des Messers sehr linkisch benehme, aber da es doch gut ist, sich über die Gebräuche selbst ein wenig Rechenschaft abzugeben, so finde ich, dass die Engländer am Tisch wie auch anderswo ihre Bequemlichkeit besser als wir berechnen. Die kleine Gabel ist wirklich, sie mag nun von Stahl oder Silber sein, bei ihnen unwiderruflich dem Gebrauch der linken wie das Messer dem Gebrauch der rechten Hand gewidmet; die Gabel fasst und das Messer schneidet; die Hand, die das Messer hält, bedient sich dessen auf der Stelle, um den Bissen zum Munde zu bringen. Dieser Handgriff ist schnell und sicher, es geht gar keine Zeit verloren: Es ist eine wahre preußische Taktik darin.
In Frankreich macht man das erste Manöver auf eben dieselbe Art, wenn aber die Stücke zerschnitten sind, so legt man die Waffen nieder, das Messer bleibt an derselben Seite, aber müßig. Die Gabel hingegen kommt nun aus der linken in die rechte Hand. Hier geht schon Zeit verloren, die rechte fasst dann die Gabel und nimmt damit die Bissen, woraus folglich ein dreifaches Manöver entsteht, die englische Art ist unstreitig besser, aber es gehören recht stumpfe, breite und am Ende abgerundete Messer dazu. Nun wohl! Was für Nachteil kann das bringen? Es ist ein Werkzeug weniger in der Hand der Narren oder Bösewichter.
Aber ich vergesse, dass die Gabeln und Messer an der Tafel des Herzogs dazu gebracht werden, sehr schöne Sachen damit zu essen. Die Vorkost, der Braten, alles wird wie in Frankreich in Abwechslung und im gleichen Überfluss aufgetragen. Und wenn auch das Geflügel nicht so saftig wie in Paris ist, so isst man dafür hier Haselhühner und Auerhähne, die über alles gehen, vortreffliche Fische und Gemüse, die dem Ruf der schottischen Gärtner, die sie ziehen, Ehre machen.
Beim Nachtisch verändert sich die Szene. Alles verschwindet, Tischtücher und Servietten; das Mahagoniholz erscheint in seinem ganzen Glanze. Aber bald wird der Tisch mit schimmernden Flaschen, mit dem besten Wein gefüllt, mit Konfitüren in schönen porzellanenen oder kristallenen Gefäßen und mit Früchten von verschiedener Art in sauberen Körben bedeckt; es werden Teller und viele Gläser verteilt und die äußerste Reinlichkeit wetteifert mit der höchsten Eleganz. Ich war erstaunt, in einem so kalten Himmelstrich gegen Mitte September die schönsten Pfirsiche, sehr gute Weintrauben, Aprikosen, Pflaumen, Feigen, Kirschen und Himbeeren zu sehen, die Feigen aber waren nicht so recht saftig, vor allem für einen Eingeborenen des südlichen Frankreichs. Alle anderen Früchte waren vortrefflich. Die meisten werden mit großer Sorgfalt und nicht ohne große Kosten in Treibhäusern gezogen.
Gegen Ende des Nachtisches ziehen sich die Damen in das Teezimmer zurück. Ich gestehe, dass man sie hier zu lange allein lässt. Der Herzog von Argyll versicherte mir, dass er diese Gewohnheit auf dem Lande nur beibehalten habe, um den Einwohnern der Gegend, die von jeher daran gewöhnt seien, nicht zu missfallen. Obgleich aber die Zeremonie des Gesundheitstrinkens wenigstens drei Viertelstunden dauert, so ist doch niemand gezwungen, mehr zu trinken, als ihm gut dünkt. Ungeachtet dessen werden mit viel Vergnügen und mit der größten Wohlanständigkeit aber- und abermals Gesundheiten ausgebracht. Die Weine machen einen großen Aufwand der Tafeln aus, man trinkt die besten und teuersten aus Frankreich und Portugal.
Wenn während dieser Libationen der schäumende Champagner seine treibende Eigenschaft äußert, so ist auch dafür gesorgt; ohne die Gesellschaft zu verlassen, findet man in artigen Behältern, die in den Winkeln des Saales stehen, alles, was zu Befriedigung dieses kleinen Bedürfnisses nötig ist. Es wird so wenig Wesens davon gemacht, dass man sich während des Vorganges nicht einmal in seiner Rede stören lässt. Ich denke mir, dass dies eine der Ursachen ist, warum von jeher die englischen Damen, welche außerordentlich bescheiden und zurückhaltend sind, die Gesellschaft verlassen haben, ehe das Gesundheitstrinken angeht.
Am Ende begibt man sich in den Gesellschaftssaal, wo es Tee und Kaffee im Überfluss gibt; die Damen machen dabei mit viel Anstand und mit großer Zeremonie die Honneurs. Der Tee ist immer vortrefflich, nicht ganz so der Kaffee. Da dieser nun selbst in einem solchen Haus wie dem, von dem hier die Rede ist, nicht gut schmeckt, wo doch gewiss an nichts gespart wird, und wo man, wie ich voraussetze, den Kaffee nicht wie in London gebrannt und gemahlen von privilegierten Verkäufern kommen zu lassen braucht, und folglich recht guten Kaffee haben sollte, so glaube ich deshalb, dass die Engländer sich nicht sehr um den Wohlgeruch und den Geschmack des guten Kaffees kümmern; denn wenn man ihn welchen vorsetzt, so ist der Geschmack ihnen ziemlich gleichgültig, wenn sie nur vier oder fünf Tassen davon bekommen. Ihr eigener Kaffee ist in der Tat immer schwach, bitter und hat seinen aromatischen Geschmack verloren. Sie entbehren also auf diese Art ein sehr schönes Getränk, das ihrer Gesundheit tausendmal zuträglicher wäre als der Tee; denn Kämpfer, der sich lange Zeit in Japan aufgehalten und vom Tee und dem Strauch, auf dem er wächst, sehr lesenswerte Nachrichten gegeben hat, sagt, dass er etwas Narkotisches oder Betäubendes enthalte. [Engelbert Kämpfer war 1690-92 der erste Europäer in Japan.]
Nach dem Tee können sich die, die Lust dazu haben, in ihre Zimmer zurückziehen, die, die mündliche Unterhaltung oder Musik vorziehen, bleiben im Saal, andere gehen spazieren. Um zehn Uhr wird das Abendessen aufgetragen, und wer will, isst zu Abend. Im Ganzen finde ich, dass man in England weit mehr als in Frankreich isst. Ich weiß nicht gewiss, ob man sich besser dabei befindet, aber ich zweifle doch daran. Indessen weiß ich, dass Dumoulin, einer der berühmtesten Ärzte von Paris, sagte, dass man ihn noch nie des Nachts um eines Patienten willen geweckt habe, der nicht zu Abend gegessen habe.
Faujas de Saint Fond, Barthélemy
Reise durch England, Schottland und die Hebriden
Göttingen 1799
Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hrg.)
Reisende in Schottland seit 325 v. Chr.
Wien 2008