1868 - A. B. Mitford, britischer Diplomat
Verurteilt zum Selbstmord
Kobe, Japan
[Nach Angriffen auf Ausländer forderten deren Diplomaten die Bestrafung des schuldigen Kommandeurs; er wurde vom Kaiser zum Selbstmord verurteilt.]
Die Zeremonie, die vom Mikado [Kaiser] selbst befohlen worden war, fand um 10 ½ Uhr abends in dem Tempel von Seifukuji statt, dem Hauptquartier der Satzumatruppen in Hiogo [Kobe]. Ein Zeuge wurde von jeder der fremden Gesandtschaften geschickt. Wir waren sieben Fremde im Ganzen. Wir wurden durch Beamte der Fürsten von Satzuma und Choshiu in den Tempel geführt. Obgleich die Zeremonie ganz im geheimen stattfinden sollte, zeigten uns doch die zufälligen Bemerkungen, die wir in den Straßen hörten, und die Menge, die den Haupteingang zum Tempel auf beiden Seiten einfaßte, daß das Publikum sich nicht wenig für die Sache interessierte.
Der Hof des Tempes bot einen höchst malerischen Anblick; er war angefüllt mit Soldaten, die in Haufen um große Feuer herumstanden, die ein trübes, flackerndes Licht auf die schweren Dächer und Giebelwände des heiligen Gebäudes warfen. Wir wurden in ein inneres Gemach geführt, in dem wir warten sollten, bis die Vorbereitungen für die Zeremonie beendet seien; in dem nächsten Raum befanden sich die hohen japanischen Beamten. Nach einer langen Pause, die uns wegen der herrschenden Stille doppelt lang erschien, kam Ito Shunske, der provisorische Gouverneur von Hiogo, und teilte uns mit, daß sieben Zeugen von japanischer Seite dem Akt beiwohnen würden. Er und ein anderer Beamter vertraten den Mikado, zwei Hauptleute von Satzumas Infanterie und zwei von Choshius und ein Vertreter des Prinzen von Bizen, des Clans, dem der Verurteilte angehörte, vervollständigten die Zahl, die wahrscheinlich gewählt worden war, um mit der der Fremden übereinzustimmen.
Ito fragte dann, ob wir an den Verurteilten Fragen stellen wollten, was wir verneinten. Es folgte darauf eine weitere Pause, nach der wir aufgefordert wurden, uns mit den japanischen Zeugen in das Hondo, die große Halle des Tempels, zu begeben, wo die Zeremonie vor sich gehen sollte.
Es war eine einen tiefen Eindruck hervorbringende Szene. Eine weite Halle mit einem hohen Dach, getragen von dunklen Holzpfeilern; von der Decke hingen eine Unmenge der großen vergoldeten Laternen und Verzierungen, die den buddhistischen Tempeln eigen sind. Vor dem Hochaltar, wo der mit wundervollen weißen Matten bedeckte Boden drei bis vier Zoll erhöht war, war ein Teppich von rotem Filz ausgebreitet. Hohe Lichter, die in Zwischenräumen aufgestellt waren, verbreiteten ein trübes, geheimnisvolles Licht, gerade genug, um alles sehen zu können, was vorging. Die sieben Japaner nahmen ihre Plätze rechts von dem erhöhten Flur, die sieben Fremden links von demselben ein. Keine andere Person war gegenwärtig.
Nach einer Pause von banger Erwartung von einigen Minuten trat Taki Zenzaburo, ein kräftiger Mann von zweiunddreißig Jahren, in die Halle, angetan mit seinem Zeremonienkostüm mit den eigentümlichen, aus Hanfstoff gefertigten Flügeln, die bei großen Gelegenheiten getragen werden. Er war von einem Kaishaku und drei Offizieren begleitet, die den Jimbaori, den Kriegs-Waffenrock mit goldgewirkten Einfassungen, trugen. Für Kaishaku ist unser Wort Scharfrichter kein entsprechender Ausdruck. Das Amt ist das eines Edelmanns; in vielen Fällen wird es von einem Freunde oder Verwandten des Verurteilten ausgeführt, und die Beziehung zwischen ihnen ist viel mehr die zwischen der Hauptperson und dem Sekundanten, als wie zwischen Opfer und Scharfrichter. In diesem Falle war der Kaishaku ein Schüler Taki Zenzaburos und war von den Freunden desselben aus ihrer eignen Zahl wegen seiner Geschicklichkeit in der Handhabung des Schwertes gewählt worden.
Mit dem Kaishaku an seiner linken Seite schritt Taki Zenzaburo langsam auf die japanischen Zeugen zu, vor denen die beiden sich verneigten, und dann auf die Fremden, vor denen sie sich in derselben Weise, vielleicht mit noch etwas größerer Höflichkeit verbeugten; in beiden Fällen wurde der Gruß zeremoniell erwidert. Langsam und mit großer Würde stieg der Verurteilte auf den erhöhten Teil des Flurs, warf sich zweimal vor dem Altar nieder und setzte sich dann (nach japanischer Art, bei der die Knie und Zehen den Boden berühren und der Körper auf den Hacken ruht) auf den Filzteppich mit dem Rücken nach dem Hochaltar, während der Kaishaku sich an seiner linken Seite niederkauerte. Einer der drei Begleiter kam dann vorwärts mit einem Ständer, wie sie in den Tempeln für die Opfergaben gebraucht werden. Auf demselben lag, in weißes Papier eingeschlagen, der Wakizashi, der kurze japanische Dolch, neun und einen halben Zoll lang, mit einer Spitze und Schneide scharf wie ein Rasiermesser. Diesen überreichte er kniend dem Verurteilten, der ihn mit Ehrfurcht empfing, mit beiden Händen bis zum Kopfe emporhob und dann vor sich hinstellte.
Nach einer tiefen Verneigung sprach Taki Zenzaburo mit einer Stimme, die gerade so viel Bewegung und Zaudern verriet, als man von jemand erwarten konnte, der eine für ihn schmerzliche Erklärung abgab, aber ohne eine Spur von beidem in seinem Gesicht und seinem Benehmen: „Ich und ich allein habe unverantwortlicherweise den Befehl gegeben, auf die Fremden in Kobe zu feuern, und wieder, als sie sich zu retten versuchten. Für diese Verbrechen werde ich jetzt Harakiri begehen, und ich bitte Sie, mir die Ehre zu erweisen, dem Akt als Zeugen beizuwohnen.“
Nach einer neuen Verneigung ließ er seine Kleider bis zum Gürtel herabgleiten, so daß er bis zu demselben nackend blieb. Sorgsam steckte er dann, wie die Sitte dies gebietet, die Ärmel unter seine Knie, um zu verhindern, daß er nach hinten falle, denn ein japanischer Edelmann muß vorwärtsfallend sterben. Dann nahm er ohne zu zögern mit fester Hand den Dolch auf, der vor ihm lag, er sah ihn sinnend, beinahe liebevoll an, für einen Augenblick schien es, als ob er seine Gedanken zum letzten Male sammelte, und dann stieß er sich den Dolch auf der linken Seite unter der Taille in den Leib, zog ihn langsam nach der rechten, drehte ihn dort in der Wunde und verlängerte die letztere ein wenig nach oben. Während dieser nervenerschütternd schmerzhaften Operation bewegte sich kein Muskel in seinem Gesicht. Als er den Dolch herauszog, beugte er sich vorwärts und streckte den Hals vor. Ein Ausdruck des Schmerzes flog zum ersten Mal über sein Gesicht, aber er gab keinen Laut von sich. In diesem Augenblick sprang der Kaishaku, der neben ihm gekauert und jede seiner Bewegungen beobachtet hatte, auf seine Füße und schwang sein Schwert in der Luft; dann kam ein Blitz, ein schwerer häßlicher Ton und ein stürzender Fall; mit einem Hiebe war das Haupt vom Rumpf getrennt worden.
Tiefes Schweigen folgte; man hörte nur das furchtbare Geräusch des Blutes, das aus dem Haufen vor uns, der nur einen Augenblick früher ein braver, ritterlicher Mann gewesen war, herausquoll. Es war entsetzlich.
Der Kaishaku machte eine tiefe Verbeugung, wischte sein Schwert mit einem Stück Papier ab, das er dafür bereit hatte, und trat von dem erhöhten Flur herunter. Der befleckte Dolch wurde feierlich fortgetragen, ein blutiger Beweis der Hinrichtung.
Die beiden Abgesandten des Mikados verließen dann ihre Plätze und kamen hinüber wo die Fremden saßen, und reifen uns zu Zeugen an, daß das Todesurteil gegen Taki Zenzaburo gewissenhaft ausgeführt worden sei. Da die Zeremonie beendet war, verließen wir den Tempel.
Entnommen aus:
Brandt, Max von
Japan. Erinnerungen eines deutschen Diplomaten
Hamburg/Berlin 1912