Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1851 - Joseph Heco, japanischer Schiffbrüchiger
San Francisco - Ankunft in der Hölle?

USA

 

[Heco war mit der Besatzung einer japanischen Dschunke von einem amerikanischen Schiff aus Seenot gerettet worden.]

Nach ungefähr einer Viertelstunde landeten wir und gingen zur Stadt. Hier hatte ich denn zum ersten Mal den Anblick einer fremden Stadt. Die Straßen waren breit und mit Steinen und Ziegeln gepflastert, mit Seitenwegen für die Fußgänger, während die Mitte für Pferde- und Wagenverkehr diente. Die Häuser waren um vieles größer wie bei uns, von Ziegelsteinen und Quadern erbaut, und obschon einige nur aus Holz bestanden, so waren doch selbst diese groß und geräumig. Zahlreiche Läden aller Art waren da, die ihre Waren in großen Glasfenstern ausstellten, Hotels, Restaurants, Trinkstuben, Pferde und verschiedene Sorten Wagen. Dabei schienen die Leute alle sehr geschäftig, und der Platz machte einen lebhaften und blühenden Eindruck. Die Stadt erschien mir in der That mit Jedo [Tokio] Ähnlichkeit zu haben, mit der Ausnahme, daß die Wagen hier alle von Pferden gezogen werden, statt wie bei uns von Menschen, Kühen oder Büffeln.
   Als wir die Straße von der Anlegestelle hinaufgingen, sah ich einige 50 Mann mit Ketten an den Beinen, die am nächsten Hügel emsig mit Graben und Fortfahren der Erde beschäftigt waren. Später hörte ich, dies seien Kettengefangene, die ihre Strafen für die von ihnen begangenen Verbrechen abdienten.
   Beim Anschauen der Vorüberfahrenden erschrak ich plötzlich sehr, als ich auf einem der Wagenkarren eine schwarze Gestalt als Kutscher erblickte. Sie trug ein blau und rotes Wollenhemd, dunkle Hosen, die in langen Stiefeln steckten, Hosenträger, einen langen Shawl um den Hals und auf dem Kopf einen Filzhut. Das schwarze Gesicht mit den weißen Zähnen und den roten Lippen, die so sehr voneinander abstachen, waren schrecklich und grausenerregend. Mir erschien es nicht menschlich zu sein und mehr einem „Oni“ (Teufel) denn irgendetwas anderem zu gleichen. Denn obschon ich von der Existenz von Leuten mit kurzen Körpern und langen armen und Beinen gehört hatte, wo war mir doch nie etwas von einem solchen Geschöpf zu Ohren gekommen. Ich konnte es daher nur für einen Teufel halten. Und wenn dies der Fall war, so mußte er von „Jigoku“ (aus der Hölle) kommen, denn in der Hölle befanden sich, wie man uns gelehrt hatte, viele rote und schwarze und weiße Teufel. Und dann konnte die Hölle ja auch nicht weit entfernt sein. Als mir dies alles einfiel, hielt ich die Hand des Steuermanns ganz fest und blickte dem schwarzen Gesicht nach, bis es außer Sicht war.
   Endlich hatten wir einen Schuhladen erreicht. Als wir eintraten, sprach der Herr einige Worte mit dem Verkäufer, der mir mehrere Paar Stiefel und Schuhe brachte und mir durch Zeichen andeutete, sie anzupassen. Ich versuchte einige, bis mir eins gut paßte. Der Fremde befühlte dann meine Füße und fragte, ob die Schuhe gut säßen. Ich nickte bejahend. Er bezahlte sie sodann und hieß mich sie anzubehalten. Wir gingen dann in einen gegenüber liegenden Trinksalon, wo ich auch Kuchen und Pasteten sah. Der Steuermann und der Fremde tranken zusammen und gaben mir von den Kuchen u.s.w. zu essen. Etwas aß ich und bewahrte den Rest für meine Gefährten. Später sagte uns der Fremde Lebewohl. Ich dankte ihm beim Abschied für die Schuhe, und wir begaben uns zurück an Bord. Ich war sehr stolz auf meine neuen Schuhe. Bei meiner Rückkehr erzählte ich meinen Gefährten alles, was ich gesehen, namentlich von dem Geschöpf, das einem Oui so ähnlich sah, wie er uns aus den Bildern von Jigoku bekannt war.
   
[Heco lebte jahrelang in den USA, arbeitete in Japan für die US-amerikanischen Diplomaten; er war der erste Japaner mit amerikanischer Staatsbürgerschaft.]

Heco Joseph
Erinnerungen eines Japaners. Schilderungen der Entwicklung Japans vor und seit der Eröffnung bis auf die Neuzeit.
Stuttgart o.J. (1898)

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!