1836 - Fürst Hermann von Pückler-Muskau
Sparta und seine Disteln
Griechenland
Zu meiner letzten Exkursion ward das alte Sparta bestimmt, und während eines heißen Nachmittags die Tour begonnen. Längs mehrerer schnellfließenden Bäche hin, unter dem Dome hoher Pappeln, deren Stämme fast durchgängig in Efeusäulen verwandelt waren, und deren Äste alle Arten von Winden und Ranken vereinten, in einer durchaus üppigen und fruchtbaren Landschaft, erreichten wir zuerst das Dorf Magula, wo ein deutscher Architekt, Herr Baumgarten, mit seiner Familie wohnt, der von der Regierung mit dem Bau Neu-Spartas beauftragt ist. Er bewirtete uns mit einer kleinen Kollation, bei der seine schöne Tochter den Wein kredenzte, und es wäre höchst undankbar, nicht auch eines vortrefflichen germanischen Rahm-Kirschkuchens zu gedenken, dessen Verdienste wir mit Patriotismus erkannten. Der gute Baumgarten versuchte, uns zu Pferde zu begleiten, doch dieser Leibesübung ganz entwöhnt und überdies nur mit einem schwankenden Packsattel und einer Halfter statt Zaumes versehen, zog er vor, sobald wir die Tripia, einen kleinen Fluß, der in den Eurotas strömt, passiert hatten, sich ferner nur der Kraft seiner eigenen Beine zu überlassen, was sich bei der ziemlich drückenden Gewitterschwüle des Tages und bei einem Marsch, der meistens durch mannshohe Weizenähren oder ebenso lange Disteln und über Steintrümmer hinwegging, einem russischen Schwitzbade als vollkommen äquivalent auswies. Wir hatten bis Sparta binnen einer starken Stunde schon drei Flüsse gekreuzt, den Pandeleimona, die Kyparissia und Tripia, und der vierte, größte lag jetzt vor uns, der Eurotas.
Die Überreste Spartas, das auf mehreren Hügeln erbaut war und auch einen Teil der Plaine einnahm, sind keineswegs so gering, als sie von den meisten angegeben werden, obgleich allerdings kein Gebäude davon sich, wie in Athen, zum größten Teile ganz erhalten hat.
Von den Befestigungsmauern (meist römischen) stehen noch weite Reihen, auch Trümmer der Akropolis, und die ganze Umgegend ist mit halb aus der Erde hervorragenden Grundmauern bedeckt, nicht in so großem Umfang, aber im allgemeinen Überblick sehr ähnlich den Ruinen von Karthago. Herr Fengaras führte mich nun über das quartier noble der Pitanaten, jetzt nur ein Steinanger, nach einem länglichen Karee, von dem man annimmt, daß hier der eigentliche Schauplatz der schwarzen Suppe gewesen sei, welche die Spartaner in Gemeinschaft verzehrten (die Syssithien). Nach dem Text des Pausanias könnte man es indes eher für das Booneta (ein für Rinder gekaufter Ort) halten, an der Straße Aphetae, durch welche die Freier der Penelope zum Wettlauf eingelassen wurden, in dem bekanntlich Ulysses siegte. Nahe dabei ist die Agora, wo die kolossale Statue Spartas und die prächtige Perserhalle standen, die letztere mit Standbildern der berühmtesten Perser, unter andern des Mardonius und der Königin Artemisia, die sich bei Salamis auszeichnete, beide auf den Säulen gleich Trophäen aufgestellt. Die Lage dieser Agora wird durch vier hier noch befindliche Pfeiler mit Inschriften fast außer Zweifel gesetzt, da sie sämtlich, einzelnen Personen zu Ehren, von der Stadt hier aufgerichtet wurden. Wir lasen eine dieser Inskriptionen, welche für Posthumius Memmius den Dank der Einwohner ausspricht. Nach dem Eurotas zu hinabsteigend, sieht man die Reste des Neptuntempels und einen noch ziemlich gut erhaltenen Zirkus, wahrscheinlich den kleinsten, den es gibt, denn er hat nur einige dreißig Fuß im Durchmesser und wird daher vom Professor Roß für ein Tor gehalten.
Ich übergehe die unbedeutenderen Rudera alter Tempel und Herounis, von denen eines der Kyniska gewidmet war, die unter allen Frauen in Griechenland zuerst Pferde hielt und, sie selbst leitend, in den olympischen Spielen damit siegte, um sogleich des großen und schönen Theaters, von vierhundertfünfzig Fuß Diameter, zu gedenken, eines der größten im Peloponnes, das auf der Westseite eine herrliche Aussicht beherrscht, mit dem Taygetos in seiner dunkeln Majestät gerade vor sich. Die Stufen sind größtenteils weggeholt worden, indem die Ruinen von Sparta lange der ganzen Umgegend als der bequemste Steinbruch dienten. Ehe wir noch dahin gelangten, fiel mir auf einem der Hügel eine hohe Mauer auf, in der eine der horizontalen Steinreihen aus lauter Säulenstücken bestand, und auch mehrere der andern eingemauerten Steine interessante Skulpturen und Inschriften enthielten. Daneben steht ein Gebäude, dessen zwei Türen kaum noch aus der durch die Zeit angehäuften Erde herausschauen, so daß Nachgrabungen hier vielleicht lohnen würden. Das Besuchen der Ruinen Spartas ist beschwerlich, denn nie sah ich einen Ort, wo die höchsten und stachlichsten Disteln so wucherten; es sind echt spartanische Disteln!
Kommt man vom Theater wieder in die Plaine hinab, so werden die Blicke vor allem von den, zum Teil noch hohe Mauern mit Fensteröffnungen zeigenden, Resten eines großen Palastes auf sich gezogen, welche die Landleute das Schloß der Helena nennen. Es ist in der Tat einiges für die Wahrscheinlichkeit anzuführen, daß auf dieser Stelle die Wohnung des Menelaus gestanden habe, was sich noch dadurch bekräftigt, daß die machthabenden Griechen, seit den ältesten Zeiten, und selbst die Türken später noch, immer gern ihren Sitz wieder auf dem der alten Herrscher aufzuschlagen suchten. Zur Unterstützung dieser Behauptung führte Herr Fengaras mehrere Beispiele als noch jetzt vorhanden an, unter andern das Schloß des türkischen Woiwoden in Argos, der sich selbst rühmte, auf der uralten Burg des Adrast zu wohnen. So durften wir wohl auch annehmen, daß wir hier wirklich, zwischen Disteln und Brennesseln, denselben Boden betreten, wo einst, auf ihrem Purpurlager ruhend, die schöne Helena den göttlichen Alexandros besser nach ihrem Geschmack fand als den grämlichen Ehemann. Denn so ging es, und geht es noch heute! — ich aber, ermutigt durch des großen Chateaubriand Beispiel, der, auf Spartas Ruinen angekommen, so laut er schreien konnte: »Leonidas!« rief, flüsterte dem Zephir zu: »Süße Helena!«, wobei ich jedoch aufrichtig gestehen will, daß das Andenken einer modernen Schönheit dieses Namens dem klassischen Enthusiasmus für die alte nachteilig war.
Nicht fern von diesem Palast sind Anzeichen der Rennbahn, jetzt ein schöner grüner Platz mit weithin schattenden Platanen und einer Quelle des frischesten Wassers. An dem einen Ende desselben stehen die neuesten Ruinen eines großen türkischen Turms auf antiken Grundmauern.
Wir nahmen den Heimweg über Parori auf dem anmutigsten Fußsteige, wo sich mit der Fülle der Bäume und blühenden Büschen noch herrliche Gruppen zehn Fuß hohen, apfelgrünen Schilfes mischten. Eine aus alten Fragmenten erbaute kleine Kirche der heiligen Irene steht rechts des Weges, in der man eine halb eingemauerte Statue und eine Inschrift bemerkt, zu Ehren eines Pankratiasten. Der Gesang der Nachtigallen und eines ändern Sängers, den man hier den grauen Kanarienvogel nennt, begleitete uns fortwährend, bis wir Parori erreichten. Hier befindet sich ein auf zwei Seiten von Felsen umschlossener Platanenplatz mit mehreren gefaßten Quellen. In dem Portal der einen sieht man zwei eingemauerte Tafeln, die eine griechisch, einen Katalog verschiedener Namen enthaltend, die andere türkisch. Parori, ganz aus Lustgärten bestehend, wurde sonst nur von Türken bewohnt, und kein Grieche durfte es bei Todesstrafe betreten. Noch existieren die Spuren mehrerer Vorrichtungen, welche die Muselmänner hier zum angenehmen Genuß der schönen Natur gemacht, und die man nachher törichterweise zerstört hat. Unter andern war über dem kleinen Fluß von Parori, der hier durch einen zweiten Felsenriß aus der Vormauer des Taygetos dringt, ein Steinbalkon erbaut, mit einer geräumigen Plattform darauf, einem Springbrunnen in der Mitte, und das Ganze überschattet von einem großen Nußbaume. Dies ist noch in seiner Zerstörung ein heimliches, liebliches Plätzchen, dem unmittelbar gegenüber sich der in die Wolken steigende Felsen erhebt, von welchem, der Sache nach, die alten Spartaner ihre mißgestalteten Kinder in das Bette des Bergbachs hinabstürzten.
Pückler-Muskau, Hermann Fürst von
Südöstlicher Bildersaal – Griechische Leiden
Stuttgart 1840; Neuauflage Stuttgart 1968