1868 - Gerhard Rohlfs
Lalibela
Äthiopien
Ich stieg in Lalibala bei Bischur, dem Schum oder Vorsteher des Ortes ab, der mir eine seiner Hütten zur Disposition stellte, welche für gewöhnlich den Kühen zum Aufenthalte diente. Eine bessere Menschenhütte schlug ich aus, weil ich die Erfahrung gemacht hatte, dass die Abessinier nicht nur wie die Araber, Berber und andere Völker Nordafrika's reichlich mit Läusen und Flöhen gesegnet sind, sondern auch jede Hütte, welche Menschen beherbergt hat, von Wanzen wimmelt. Ich habe in der That oft den Schmutz der Araber und Berber bewundert, wie namentlich die Bewohner der Grossen Wüste Jahre lang nicht daran denken, sich oder ihre Kleider zu waschen. Dann aber entschuldigte ich sie manchmal mit dem constanten Wassermangel, aber hier in Abessinien übertrifft der Schmutz der Bewohner Alles, was vorkommen kann. Die Weiber und Männer schmieren sich fingerdick die Butter in die Haare, welche nur ein Mal im Leben bei den Frauen zu kleinen Tressen geflochten werden; kommt die Sonne, so trieft die Butter auf Körper und Kleidung, so dass diese bald eine so dunkle und schmutzige Farbe wie der Körper annimmt. Erst wenn Alles in Fetzen fällt, werden die Kleider abgelegt.
Nachdem ich mich etwas gestärkt, ging ich, die verschiedenen Kirchen zu besuchen, welche schon das Staunen der Portugiesen erweckten und die in Wirklichkeit nicht ihres Gleichen in der Welt haben, denn alle Kirchen, die man in Lalibala bewundert, sind Monolithen. Obgleich die Portugiesen alle dem König Lalibala als Urheber zuschreiben, so ist das offenbar ein Irrthum, denn im Baustyl der verschiedenen Kirchen ist ein älterer roherer und jüngerer feiner Styl unverkennbar. Lalibala hat jedoch offenbar einen grossen Antheil an den merkwürdigen Bauwerken dieses Ortes und jedenfalls wird wohl die Kirche die seinen Namen führt, von ihm herrühren. Ich wurde von den Mönchen und Priestern mit der grössten Bereitwilligkeit aufgenommen und vom Ausziehen der Schuhe oder sonstigen Forderungen, wie sie früher wohl die Priester anderer Kirchen an mich gestellt hatten, war hier keine Rede, ja in allen Kirchen führte man mich ins Allerheiligste oder an den Hauptaltar. Ich bemerke hierbei, dass das Allerheiligste, wie wir es jetzt in allen neuen abessinischen Kirchen, d.h. auch in solchen, welche schon mehrere Jahrhunderte alt sind, streng abgemauert und von der übrigen Kirche abgeschieden finden, wie es bei dem jüdischen Tempel in Jerusalem der Fall war, in den ersten Zeiten des Christenthums in Abessinien nicht gekannt war; alle Kirchen in Lalibala, wie wir sie heute finden, haben einen einfachen Hauptaltar, wie es in allen anderen christlichen Kirchen der Fall ist. Ueberhaupt sieht man diesen Gebäuden ihren echt christlichen Charakter an, während man bei den neuen abessinischen Kirchen erst wissen muss, dass sie christliche Gotteshäuser sein sollen, von selbst würde kein Europäer sie dafür erkennen.
Die am besten erhaltene und von allen übrigen getrennt ist die St. Georg-Kirche; ein vollkommenes Kreuz, aus Einem Steine gemeisselt, würde man sagen, sie sei so eben aus der Hand eines Zuckerbäckers hervorgegangen. Jeder Arm des Kreuzes mag 40 Fuss an der Basis haben und eben so hoch sein. Vier Säulen im Inneren stützen die Decke, welche wie das Ganze Ein Stein und mit dem Ganzen Ein Stein ist. Die grösste und ursprünglich die vollendetste ist die dem Medanheallem oder Weltheiland gewidmete Kirche. Es ist dies eine vollkommene Basilika und man kann in Harmonie der einzelnen Theile zum Ganzen nichts Schöneres finden. Auch die Emanuel-Kirche ist vollkommen in ihren Formen: 24 Schritt lang und 16 breit hat sie ca. 40 Fuss Höhe, wie alle übrigen ist sie aus Einem Steine gemeisselt. Die älteste scheint die Aba Libanos-Kirche zu sein, dann die in kolossalen Aushauungen ausgemeisselte Mercurius-Kirche. Ausserdem giebt es hier noch eine Gabriel-Kirche und eine Marien-Kirche, welche mit der Debra Sina - oder, wie sie auch genannt wird, Golgatha - und Lalibala-Kirche zusammenhängt. Der König Lalibala liegt in der Golgatha-Kirche begraben, wo auch ein anderer berühmter Heiliger Abessiniens, Selasse, seine Grabstätte hat. Bei vielen dieser Kirchen hat der vulkanische Stein, aus dem das ganze Terrain in und um Lalibala besteht und aus dem auch diese merkwürdigen monolithischen Kirchen gehauen sind, der Witterung schlecht widerstanden, und da die jetzige Generation wie viele vor ihr Nichts zur Erhaltung dieser merkwürdigen Bauwerke thut, so gehen sie rasch ihrem Untergange entgegen. Vollkommen gut erhalten ist nur noch die Georg-Kirche. Die prächtige Medanheallem-Kirche dagegen, die früher von aussen mit einem Säulengang umgeben war, dessen 40 Fuss hohe Säulen aus demselben Blocke wie die Kirche gehauen waren und daher mit ihr zusammenhingen, hat jetzt nur noch vier dieser Säulen aufrecht stehen, alle übrigen sind von der Kirche abgefallen. Es wäre an der Zeit, dass Etwas für diese merkwürdigsten Denkmäler alter christlicher Baukunst geschähe.
Mit der grössten Freundlichkeit und Bereitwilligkeit wurde mir Alles gezeigt; hier war es eine Glocke, dort ein Räuchergefäss, hier eine Kirchenkrone, dort ein Kreuz, was ich bewundern musste, und die Toleranz dieser Priester ging sogar so weit, dass mein mohammedanischer Diener Abd-er-Rahman, der meinen Dolmetsch machte, überall mit hingehen durfte. Ja, in der Georg-Kirche musste ich sogar den Mantel des heiligen Georg selbst umbinden, es waren freilich nur noch Fetzen und er sah entsetzlich schmutzig und verdächtig aus, die guten Priester bestanden aber so sehr darauf, mir dadurch den Segen ihres Patrons zu Theil werden zu lassen, dass ich, um nicht als Ungläubiger zu gelten, mich noch froh stellen musste, dies widerliche Gewand während meines Besuches in der Georg-Kirche umzuhaben. Viele dieser Kirchen sind sehr gut dotirt, die Marienkirche hat sogar Glocken und in anderen findet man Geräthe, die jeder europäischen katholischen Kirche Ehre machen würden.
Der ganze Tag ging natürlich damit hin, diese Wunderbauten zu besehen, und als ich spät Abends nach Hause kam, fand ich meinen Wirth vor der Thür mit einem grossen Topf voll Tetsch. Dies ist Hydromel oder saures Honigwasser, ein angenehmes und im Stadium des Gährens starkes Getränk, das man aber nur bei vornehmen Abessiniern bekommt, da seine Herstellung für die gewöhnliche Klasse zu kostspielig ist.
Auch am folgenden Tage zog es mich wieder zu den Kirchen, ich konnte mich nicht satt sehen an diesen Wunderbauten, und so konnte ich auch Zeuge sein, wie eine grosse Anzahl armer Menschen, Bettler und Reisende, vor der Marienkirche gespeist wurden; dies geschieht alle Tage um dieselbe Zeit, die Kirchen haben dazu reiche Gründe, viele Einnahmen von den Ein- und Umwohnern Lalibala's und wohlhabende Pilger tragen Geld und andere Gaben zu. Der Klerus aller dieser Kirchen, die Mönche mit eingerechnet, ist indess auch bedeutend und kann sich auf ein Paar hundert Personen belaufen.
An sonstigen Merkwürdigkeiten hat Lalibala die sieben Oelbäume aufzuweisen, die ganz jung von Jerusalem hierher verpflanzt, jetzt grosse, stattliche Bäume geworden sind. Ihr Alter muss jedenfalls bedeutend sein, denn von einem ist nur noch ein Stumpf übrig und zwei andere sind zu Einem verwachsen. Ein Hügel, von einem Baume überschattet, Debra Siti genannt, wurde mir als bemerkenswert gezeigt, weil hier der König Lalibala gelehrt und gepredigt haben soll. Ein einfaches steinernes Kreuz auf dem Wege zur St. Georgkirche wurde mir auch besonders gezeigt, doch konnte mir Niemand sagen, was es für eine Bewandtnis damit habe.
Lalibala ist auf sieben Hügel an einem der Westabhänge des mächtigen Ascheten-Berges gebaut, dessen Höhe 10,000 Fuss betragen kann. Selbst 7000 Fuss hoch hat es ein köstliches Klima und die Bäume, welche die Hütten überschatten, die reizende Lage machen es zu einem wahren Paradies. Es mag jetzt circa 12 bis 1500 Seelen haben, war aber dereinst gewiss bedeutend grösser. Zahlreiche Gänge in den Felsen, Ueberreste von alten Kirchen, von denen alle Ueberlieferung verschwunden zu sein scheint, viele Ruinen von Wohnungen, die besser construirt waren als die jetzigen, deuten genugsam an, dass Lalibala vordem ein anderer Ort war als gegenwärtig, wenn nicht schon die Kirchen Zeugnis dafür ablegten.
So interessant nun auch der Aufenthalt in dieser Kirchenstadt war, so zuvorkommend die Leute im Allgemeinen sich zeigten, reiste ich doch Nachmittags weiter, da ich keinen Augenblick Ruhe hatte. Hunderte von Menschen belagerten um Arznei bittend meine Thür und obschon ich Alle zu befriedigen suchte, diesem ein Brechmittel, jenem ein anderes Medikament gebend, so war an ein Alleinsein keinen Augenblick für mich zu denken.
Rohlfs, Gerhard
Land und Volk in Afrika; Berichte aus den Jahren 1865-1870
Bremen 1870