Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1867 - Julie Gräfin von Kielmannsegg
Die Flucht der Kronjuwelen
Hannover

 

Im Februar 1867 kam der Geheimrat von Stockhausen von der Marienburg mit der Anfrage der Königin von Hannover, ob ich es übernehmen würde, die Kronjuwelen nach England in Sicherheit zu bringen, um sie dem preußischen Zugriffe zu entziehen.
   Es ward verabredet, daß an einem der nächsten Tage die erste Kammerfrau der Königin den ganzen Kronschatz per Reisewagen von der Marienburg über Herrenhausen und Linden der Wunstorfer Chaussee zuführen, dort mit dem königlichen Kutscher so lange warten sollte, bis sie unserem Wagen begegnete. Mein Mann fuhr selbst und hatte nur eine Sekretär bei sich, der übrigens nicht ahnte, um was es sich handle, und mit dessen Hilfe er dann den inhaltsschweren Koffer und eine Kiste aus dem königlichen in seinen Wagen transportierte und abends bei Dunkelheit in Blumenau ankam. Sorgfältig ward die Verbergung der Schmuckgegenstände in unsere Reiseanzüge vorgenommen. Jeder Stein mußte dazu aus seinem Etui herausgenommen, mit der Nummer des Inventars versehen, in Watte und Leinen vernäht und dann in ein Kleidungsstück eingereiht werden. Verschiedene Taschen mit eingenähten Steinen wurden unter den Kleidern befestigt. In meiner Handtasche steckte die kleine englische Juwelenkrone in einem großen Wollknäuel. Ein großes Strahlendiadem trug ich in Ohrenwärmer eingenäht unter dem Hut, mehrere Perlenhalsbänder um den Nacken, Armbänder an den Armen. Ich war so schwer mit Diamanten bepanzert, daß ich nicht bequem sitzen konnte. Mein Mann trug große Juwelenschleifen und die Sterne aus der sogenannten englischen Tiara an sich.
   So ging es mit dem Nachtzug nach Köln, angeblich zu einer Konferenz daselbst in privaten Angelegenheiten. In der Nacht in Calais, im Begriffe, zum Dampfboot zu gehen, bemerke ich die Großherzogin von Mecklenburg-Strelitz und erfahre, daß ein englischer Regierungsdampfer sie dort erwarte. Rasch ihr nach mit der Bitte, uns die Überfahrt auf dem Schiffe gestatten zu wollen. Im Gefolge der Großherzogin in Dover an Land steigend, bleiben zu meiner Genugtuung alle Handgepäckstücke undurchsucht. Sofort nach unserer Ankunft in London eilte mein Mann zum Herzog von Cambridge. Nach einigen aufgeworfenen Schwierigkeiten ward endlich von diesem bestimmt, daß ein »Lawyer« und sein Juwelier mir die Sachen abnehmen und diese dann, mit des Herzogs Siegel verschlossen, im Tresorgewölbe der Couttschen Bank deponiert werden sollten.
   Mein Mann begleitete die Herren zum Bankhause Coutts am Strand, wo der versiegelte eiserne Kasten, in welchen alles verpackt worden war, in seiner Gegenwart deponiert wurde.
   Darauf ungesäumt das versprochene Telegramm »all right« an den Hofbankier Ezechiel Simon nach Hannover - und die Steine waren mir vom Herzen!

 

Kielmannsegg, Julie Gräfin von
Brillanten im Wollknäuel
In: Merian, 2. Jg., Heft 9, Hamburg 1950

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