Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

400 v. Chr. - Xenophon
Thalatta! Das Meer!
Region Trabzon, Türkei

 

[Nachdem Kyros d. J. in einer Schlacht gegen seinen Bruder um den persischen Thron getötet worden war, zog sich Xenophon mit den Überlebenden des „Heeres der Zehntausend“, griechischen Söldnern, aus der Gegend um Bagdad und Babylon den Tigris aufwärts und durch die Türkei unter Mühen in die Heimat zurück. Beim Anblick des Schwarzen Meeres glaubten sie sich fast zu Hause.]

Aus dieser [der Stadt Gymnias, möglicherweise das moderne Baiburt] schickte der Beherrscher der Landschaft den Griechen einen Wegweiser, um sie durch das feindliche Land zu führen. Als dieser kam, versprach er, sie in fünf Tagen an einen Ort zu führen, von wo aus sie das Meer erblicken sollten; wo nicht, so sollten sie ihn töten. So führte er sie denn, und als er sie in das Land der Feinde geführt hatte, hieß er sie dasselbe mit Feuer und Schwert verwüsten; woraus auch offenbar wurde, daß er deswegen gekommen war, nicht aus Wohlwollen gegen die Griechen. Am fünften Tage kamen sie bei dem heiligen Berg an, der den Namen Teches führte. Als die Ersten den Berg erstiegen hatten und das Meer erblickten, erhob sich ein großes Geschrei. Xenophon, der es hörte, und die Soldaten der Nachhut glaubten, daß auch von vorn andere Feinde angriffen; denn auch im Rücken folgten ihnen die Einwohner der mit Feuer und Schwert verheerten Landschaft. Von letzteren hatten die Truppen der Nachhut, einen Hinterhalt legend, Einige teils niedergehauen, teils gefangen genommen. Auch hatten sie gegen zwanzig geflochtene, mit ungegerbten, rauhen Rindshäuten überzogene Schilde erbeutet.
   Als aber das Geschrei immer stärker wurde und näher kam, als die immer nachrückenden Truppen auf die jedes Mal Aufschreienden zurannten und so das Geschrei immer mehr zunahm, je größer die Anzahl der Soldaten wurde, glaubte Xenophon einen wichtigen Grund voraussetzen zu müssen.
   Er schwang sich also aufs Roß, nahm den Lykios und die Reiterei mit und sprengte zu Hilfe. Da hörten sie denn sehr bald den sich immer weiter fortpflanzenden Ruf der Soldaten: „Das Meer! Das Meer!“ Nun lief alles, selbst die Soldaten der Nachhut, und auch das Zugvieh und die Pferde wurden dahin getrieben.
   Als nun Alle auf dem Berg angelangt waren, da fielen Heerführer und Hauptleute einander unter Tränen in die Arme. Und auf der Stelle trugen die Soldaten - ich weiß nicht, auf wessen Anordnung - Steine zusammen und errichteten einen großen Hügel, auf welchen sie eine Menge rohe Häute, Knüttel und die erbeuteten Geflechtschilde legten. Der Wegweiser aber zerhieb selbst die letzteren und forderte auch die anderen dazu auf. Hierauf entließen sie den Wegweiser, nachdem sie ihm aus dem Gemeingut mit einem Pferd, einer silbernen Schale, einem persischen Anzug und zehn Dareiken beschenkt hatten. Er bat besonders um ihre Ringe und erhielt deren viele von den Soldaten. Nachdem er ihnen das Dorf, wo sie sich lagern sollten, und den Weg in das Land der Makronen gezeigt hatte, entfernte er sich, als es Abend wurde.
   
Xenophon
Anabasis
Viertes Buch, Siebtes Kapitel
Übersetzung Forbiger
Stuttgart 1860

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!