1801 - Edward Dodwell
Die Elgin Marbles werden aus dem Parthenon gebrochen
Athen
Während meiner ersten Reise durch Griechenland hatte ich den Verdruß, gerade in Athen anwesend zu sein, als der Parthenon seiner schönsten Skulpturarbeiten beraubt ward, und als einige von dessen architektonischen Schönheiten zur Erde hinab gestürzt wurden. Ich sah die Abnahme mehrerer Metopen an der südöstlichen Spitze des Tempels mit an. Sie standen zwischen den Triglyphen wie in einem Höhlenschacht; um diese nun da heraus zu heben, war es notwendig, daß man die herrlichen Friese, die sie bedeckten, ab und zu Boden warf. Die südöstliche Ecke des Pediments teilte dasselbe Schicksal, und ist nun, anstatt der malerischen Schönheit und trefflichen Erhaltung, wie ich sie damals noch erblickte, jetzt in einem Zustand bejammernswürdiger Zerstörung versetzt worden.
Einige Zeichnungen, die ich an Ort und Stelle machte, sowohl vor als nach dieser Begebenheit, zeigen die Gegenstände, die weggenommen oder erstört worden sind und den traurigen Kontrast, der nunmehr in dem jetzigen Zustand dieser ehrwürdigen und ruhmreichen Gegenstände des hohen Altertums gegen die ehemaligen herrscht.
Es ist ein höchst schmerzliches Gefühl, das uns ergreift, wenn wir diese Trophäen des menschlichen Genius, die den allmählich nagenden Stürmen der Zeit während eines Zeitraumes von mehr als zweiundzwanzig Jahrhunderten widerstanden, die der Zerstörungswut der Bilderstürmer, der unbesonnenen Raubsucht der Venezianer und der Barbarei der Muhamedaner entgingen, dazu erhalten und verurteilt sehen, endlich noch der der verwüstenden Mißhandlung unserer Zeiten zu unterliegen, die man nie genug wird beweinen können. Unabhängig von der moralischen Schande, die an solch ein Unternehmen sich notwenig für immer heften muß, wird leider die Autorität eines solchen Beispiels leider noch für die Zukunft als ein Vorgang dienen und bei ähnlichen Räubereien als ein Entschuldigungsgrund gebraucht werden. Auf diese Weise werden die Tempel zu Athen um ihrer Kostbarkeiten der Architektur und Skulptur willen immerfort zerstört werden; und diese Kunstwerke werden nur dem Stärkeren anheim fallen, anstatt daß sie, an ihrem ursprünglichen Platze gelassen, das Eigentum aller Nationen geblieben wären. Indem wir aber die Gründe aufsuchen, die zu dieser gräulichen Zerstörung führten, wird natürlich der größte Teil des Hasses, und gewiß nicht mit Unrecht, auf diejenigen fallen, die zuerst das Beispiel von solch einer entheiligenden Verletzung desjenigen gegeben, was jedes gebildete Gefühl für wahren Geschmack achtet und ehrt. Zwar dürfen wir nicht übersehen, daß unser Land (England) durch die Einführung solcher Schätze der griechischen Kunst für die edleren bildenden Künste einen sehr bedeutenden Vorteil ziehen wird, in demselben Augenblick, wo wir dasselbe Unternehmen, das sie uns verschaffte, als höchst unwürdig verwerfen. Allein, sollten wir auch diese zugeben, so können wir doch nicht umhin zu bemerken, daß, wenn man nur die Tempel unberührt gelassen und bloß die Skulpturarbeiten weggenommen hätte, unser Museum zur Vervollkommnung unseres Kunstgeschmacks genug bereichert worden wäre. Damit hätte man Gipsabgüsse oder Formen nach den übrigen Originalwerken zu jenem Behuf verbinden können, welche nun die Tempel durch jenen Kirchenraub verloren haben.
Auf der Nordseite des Parthenon fielen neunzehn Metopen und der größte Teil der panathenäischen Prozession, in halb erhabenener Arbeit, herab, als die Akropolis von den Venezianern im Jahre 1687 belagert ward. Der größte Teil der Metopen auf der Südseite fehlt, und so auch eine große Menge von den Halbreliefs. Ebenfalls sind diese letzteren mit der Mauer der Cella am östlichen Ende herabgestürzt. Ein großer Teil dieser bewunderungswürdigen Skulpturarbeiten ruht noch unter dem großen Massen von Säulen und Architraven verdeckt, durch deren Wegräumung und Aufgrabung sie sicher zukünftig einmal an das Licht gebracht werden dürften. Diese köstlichen Überbleibsel hätte man hier aus der Ruinenmasse aufgraben und in unsere Sammlung bringen sollen, ohne den Tempel selbst zu berauben oder zu beschädigen.
Es ist durchaus unmöglich, die Gefühle des Unwillens zu unterdrücken, die in der Brust eines jeden Reisenden sich erheben müssen, wenn er diese Tempel vor und nach jener britischen Zerstörung erblickt! Auch kann ich nicht umhin, hier der Welt mitzuteilen, dass nicht allein die Griechen, sondern sogar selbst die Türken den Ruin der Verwüstung, der hier verübt ward, innigst fühlten und beklagten; daß sie laut und öffentlich ihren Großherrn sehr hart darüber tadelten, daß er dazu je seine Einwilligung gegeben! Ich befand mich zu derselben Zeit an Ort und Stelle und hatte Gelegenheit genug, das Gefühl des Unwillens darüber, das ganz allgemein war, kennen zu lernen, und in der Tat auch mit den Bewohnern zu teilen. Die ganze Unternehmung war in Athen so unpopulär, daß man den Arbeitsleuten dens doppelten Taglohn wie gewöhnlich bezahlen musste, ehe man es dahin brachte, daß sie Hand ans Werk legten.
Das einzelne Beispiel einer einzigen, mit Reliefs versehenen Marmorplatte, die durch den Grafen Choiseul Gouffier von dem Tempel weggenommen worden war, und einer der Metopen, die beim Herunternehmen zerbrach, wird als eine Art von Entschuldigungsgrund für die darauf folgende neuere Kunstplünderung gebraucht. Dies kann jedoch nie die ganz barbarische Zerstörung rechtfertigen, die damit verbunden war, und die, wie ich Grund zu glauben habe, sicher auch nicht so weit getrieben worden wäre, hätte die Person (Lord Elgin), für die sie unternommen ward, sich damals an Ort und Stelle befunden. Allein die Leitung der ganzen Angelegenheit war in der Tat feilen und geldgierigen Menschen anvertraut und mit aller Frechheit und Unüberlegtheit ausgeführt worden. Die Tempel blieben lediglich und allein dem Gutdünken dieser Menschen in der Behandlung überlassen. Und wenn wir ihnen auch das sehr negative Verdienst zugestehen müssen, gerade nicht alles von Grund auf zerstört zu haben, so können wir doch nicht umhin, den Geist sinnloser Barbarei zu verwünschen, der sie dazu trieb, dasjenige zu zerstückeln und zu verstümmeln, was von allen diesen edlen Werken der hohe und edle Geist des Perikles befohlen, der erhabene Genius des Phisias und des Iktinos ausgeführt hatte.
Es bleibt eine unbestreitbare Tatsache, daß die prächtigen Monumente der Akropolis zu Athen während des einzigen Verwüstungs- und Raubjahres 1801 durch die Elginsche Unternehmung mehr gelitten als während des ganzen zunächst vorhergegangenen Jahrhunderts.
Die Venezianer versetzten zuerst dem Parthenon den empfindlichsten Schlag, als die Athen, wie oben schon bemerkt, im Jahre 1687 belagerten. Ihre Artillerie legte einen Teil dieses unnachahmlichen Gebäudes damals in Trümmer. Die Werke des Iktinos, des Phidias und Kallikrates wurden während der Wut des Kampfes nicht beachtet, und viele Jahre hindurch blieben sie in Haufen zerstreut, der langsamen, aber gewissen Zerstörung durch die Hände der unwissenden Türken ausgesetzt. Große Massen von pentelischem Marmor wurden in kleine Stücke gebrochen, um zum Aufbau von hüttenähnlichen, elenden Kasernen für die Garnison zu dienen, während andere Marmorstücke, besonders die Basreliefs, zu Kalkpulver gebrannt wurden; denn man sagt, dass die Türken dergleichen bearbeitete Marmorplatten den glatten und unbearbeiteten mit Absicht dazu vorgezogen hätten. So groß aber ist das Vergnügen, das unzivilisierte Unwissenheit oder fanatischer Aberglaube darin findet, wenn man in wenigen Augenblicken das zerstört, was die Arbeit mehrerer Jahre hervorgebracht und was so viele Jahrhunderte hindurch die Bewunderung der Gebildesten war!
Die Venezianer, welche die Akropolis belagerten und den Parthenon zerstörten, ließen von dem westlichen Pedimentum mehrere Statuen herabheben: Da aber ihre Maschinen sehr unvollkommen waren, so fielen diese köstlichen Werke herab und erhielten hierdurch unheilbare Beschädigungen. Ich befand mich gerade gegenwärtig, als einige dieser Fragmente aus dem Boden wieder ausgegraben wurden, wozu besonders der Torso gehörte, welcher ehemals die ungeflügelte Siegesgöttin, jetzt im britischen Museum, vorstellte.
Unstreitig ist die Welt denen, die diese herabfallenden Bruchstücke vor ihrer gänzlichen Zerstörung retteten, vielen Dank schuldig; allein die Türken zerstörten doch nicht die noch stehenden Gebäude, wo nicht eine besondere Veranlassung sich fand – wozu die Ausbesserung der Festungswerke gehörte; und dazu warfen sie nur die schon erwähnten Säulen der Propyläen zu Boden.
Ohne jedoch nur im mindesten die Absicht zu haben, die Verwüstung durch Türken oder durch Briten zu entschuldigen, muß ich aber erinnern, daß die erstern lediglich doch nur von der dreifachen Notwendigkeit (trinoda necessitats) des römischen Gesetztes dabei geleitet wurden; diese bestand nämlich darin, dass die Abtragung von Gebäuden nur dann erlaubt war, wenn es Brücken zu erbauen, Festungen zu errichten und Kriegsunternehmungen gegen den Feind gab. Allein die Metopen des Parthenon lagen außerhalb ihres Bereichs, und niemals hörte ich, daß sie mit ihren Gewehren danach geschossen, was von ihnen erzählt wird. Im Gegenteil wird der Parthenon nicht bloß von den Griechen, sondern auch von den Türken mit Ehrfurcht behandelt; denn es war ehemals eine dem heiligen Georg gewidmete christliche Kirche; und als es unter türkische Oberherrschaft kam, ward es in eine türkische Moschee verwandelt. Der Kopf einer männlichen Figur von dem westlichen Tympanon, den ich jetzt besitze, soll von einem Türken abgeschlagen worden sein. Vier Jahre darauf erhielt ich ihn von einem Soldaten der Besatzung, der mir aber dabei bemerkte, es sei dies von einem Matrosen geschehen, der weder ein Grieche noch ein Türke gewesen. Eben dieselbe Versicherung gab mir auch der britische Agent, der zugegen war, als dieser Kopf abgebrochen ward. Besäßen die Türken in der Tat den Hang zu planloser oder mitwilliger Zerstörung, so würden die Karyathiden den Beschädigungen von jedermann in der Akropolis, der Kinder besonders, nicht haben entgehen können. Indessen, obgleich sie durch keine religiöse Scheu dagegen gesichert waren und dem Mutwillen ganz bloß standen, so haben sie dem ungeachtet durch die Schönheit ihrer Formen die allgemeine Bewunderung daselbst auf sich gezogen. Wenn die Türken irgendwo, in Griechenland oder sonst in anderen Ländern, einen Gegenstand des Altertums zerstört haben, so sind sie sicher durch eine Nötigung dazu getrieben worden; keineswegs aber von einer bloßen Verwüstungswut oder sonst einem Zerstörungstrieb, der ihnen fälschlich zur Last gelegt worden ist.
Dodwell, Edward
Classische und topographische Reise durch Griechenland während der Jahre 1801, 1805 und 1806
1. Band, Meiningen 1821