Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1860 - Heinrich Brugsch
Die Teppichknüpferin
Nubaran, Iran

 

Um die Art der Teppichweberei genauer kennenzulernen, trat ich in die niedrige Hütte eines Osmanlu-Schneiders [Osmanlu sind Perser türkischer Herkunft] ein, dessen Frau einen schönen Teppich zur Hälfte fertig gearbeitet hatte und in meiner Gegenwart ihr künstlerisches Werk fortsetzte. Obgleich die Frauen hier sonst unverschleiert gehen, so mußte sie es für wohlanständig halten, sich das Antlitz in meiner Gegenwart sorgfältig zu verhüllen. Sie hockte auf einem niedrigen, tischartig gestalteten Holzstuhl, der auf einem zweiten breiteren, wackligen Gestell stand und eine Art von Gerüst bildete, das je nach der zunehmenden Oberhöhe des Teppiches durch andere kleinere Stühle beliebig etagenförmig erhöht werden konnte. Der in Arbeit befindliche Teppich war etwa drei Fuß breit und acht Fuß lang. Das Webegerüst war der einfachsten Natur. Zwei große Stangen berührten in Abständen, etwas breiter als der Teppich, die Decke des Gemaches und waren an ihrem Fußende durch untergelegte Steine gestützt. An einer Querstange unten waren die einzelnen Fäden des Gewebes befestigt, gingen von da aus regelmäßig nebeneinander fortlaufend in die Höhe und waren an einer oberen Querstange befestigt, welche in zwei Strickschleifen hing, die durch zwei Öffnungen der Decke hindurchliefen und oben auf dem Dache wahrscheinlich durch Querhölzer gehalten wurden. An der Querstange hingen dreizehn Knäuel an Ort und Stelle buntgefärbter Wolle, deren Endfäden so herabliefen, daß sie bequem von der Hand der sitzenden Frau erfaßt werden konnten. Die Weberin ergriff jedesmal einen bunten Faden, knüpfte ihn in Gestalt einer Schlinge um eine bestimmte Schnur der Kette, schnitt ihn dann mit einem Messer in der Länge von dreiviertel Zoll von dem übrigen Teile des Fadens ab und drückte ihn mit dem Rücken des Messers an dem unteren, zunächst liegenden Stück des Teppichs fest. War eine ganze Reihe solcher Schlingen nebeneinander geknüpft worden, die übrigens mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit vor meinen Augen entstanden, ohne daß die webende Frau nötig gehabt hätte, in eine Zeichnung zu blicken, so zog sie einen rotbraun gefärbten Durchschlagsfaden horizontal durch die einzelnen Fäden der vertikalen Kette durch, schlug ihn mit Hilfe einer schweren eisernen vielzinkigen Gabel fest und schnitt mit einer Schere die ganze Reihe der geknüpften Fäden in erforderlicher Länge in gleicher Linie glatt ab. Dann wurden neue Fäden geknüpft, ein neuer Durchschlagsfaden gezogen, und so setzte sich die Manipulation in gleicher Weise weiter fort. Die Arbeit war dauerhaft und sauber durchgeführt, die Muster des gearbeiteten Teppichs zeugten dabei von einem angeborenen feinen Geschmack in der Auswahl und in der Zusammensetzung der Farben. Die Frauen haben die wunderbare Fertigkeit, zum erstenmal gesehene Zeichnungen mit einem Blick aufzufassen und sofort in den Teppich hineinzuweben.
   Die Teppiche werden hier in der gewöhnlichen Größe, wie ich sie oben angedeutet habe, nach dem Gewicht verkauft. Untereinander fordern sie für den Bathman im Durchschnitt fünf Qran (etwa einen Taler und sechzehn Silbergroschen). Der in Arbeit befindliche Teppich sollte auf ein Gewicht von drei Bathman berechnet sein, so daß er an Ort und Stelle einen Wert von fünfzehn Qran hatte. An Händler, die von Harnadan, Teheran und Isfahan kommen und Teppiche aufkaufen, würde derselbe mit einem Zuschlag von fünf Qran Absatz gefunden haben. Der Arbeitslohn und die Zeit ist kaum damit bezahlt, da die Frau zur Herstellung des angegebenen Teppiches einen ganzen Monat arbeiten mußte.
   Mit der Größe der Teppiche nimmt die Schwierigkeit der Arbeit, die Dauer der Arbeitszeit und die Vermehrung der Arbeitskraft zu, so daß sich der Preis desselben nach dem Gewicht um ein Bedeutendes höher stellt. Der freundliche Osmanlu-Hausherr ließ mich nicht unbewirtet aus dem Hause gehen. Er hatte mir einen hölzernen Kalian, an welchem eine ausgehöhlte Kokosnuß die Stelle des Wasserbehälters vertrat, eine sogenannte Dschauzeh, zubereitet, bot denselben mit der vollendetsten Höflichkeit an, und nachdem ich und er einige Züge daraus getan, ließ er die Pfeife zu seiner Frau wandern, welche sich an dem dampfenden Tabaksqualm in ihrer Weise eins zugute tat. Mit einem herzlichen «Gott sei eure Hilfe» schieden wir voneinander.

 

Brugsch, Heinrich
Reise der k. preussischen Gesandtschaft nach Persien 1860 und 1861
Band 1, Leipzig 1862

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