1907 - Otto Julius Bierbaum
Malta
Der Anblick von Hafen und Insel gehört zu den stärksten Eindrücken, die uns die ganze Reise beschert hat. Er drängte sofort das Wort auf, das mir geblieben ist: Malta, die steinerne. Das Ganze ist eine große Bastion. Zuhöchst ein Wachturm, auf dem sich der berühmte elektrische Knopf befinden soll, durch den beim Nahen eines feindlichen Schiffes punktgenau dann, wenn es die Minenlinie überfahren will, die höllische Granatenkette unter See zur Explosion gebracht werden kann. Erzählte mir ein Herr, der bereit war, darauf zu schwören. Möglich, daß er trotz seines grauen Bartes phantasierte. Aber ich traue den Engländern solche Punktgenauigkeiten zu. Und auch wenn's nicht stimmt: Von der See aus dürfte es sich kaum jemand unterstehen, nach dieser steinernen Seekrone Englands zu langen. Und mit der Zeppeline ist's ein wenig weit. Ich schlage vor, wir lassen das Vaterland der frühesten Kartoffeln unsern geliebten Vettern. Sie haben ein gewisses Anrecht darauf durch die musterhafte Ordnung erworben, die sie auf der Insel verbreitet haben, obgleich sie die Herren oft genug gewechselt hat.
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Die guten Malteser haben sich vermutlich nie so wohl geborgen gefühlt wie unter dem britischen Dreizack. Ganz sicher scheint es mir, daß es den Tieren auf Malta nie so gut gegangen ist wie unter der Herrschaft der Engländer, deren Tierfreundlichkeit sich die Italiener bezeichnenderweise damit zu erklären versuchen, daß sie annehmen, die Lords glaubten an Seelenwanderung und malträtierten die povera bestia nur deshalb nicht, weil englische Seelen darin stecken könnten. So gut gehaltene Pferde, Maultiere, Esel haben wir auf der ganzen Reise nicht zu sehen bekommen wie auf diesem britischen Dominium. Mit Ziegen und Hunden wird geradezu ein Kult getrieben. Vor mehr als einem Haus sahen wir die dürren Meckertiere auf Teppichen liegen, und die Hunde, obwohl kein einziger »Malteser« darunter war, erfreuen sich Münchener Dackelembonpoints.
Die Hauptstraßen der Treppenstadt La Valetta sind in einer Weise stattlich, sauber, soigniert, daß man den malerischen Dreck Siziliens beinahe vermißt. Da es Sonntag war, präsentierten sich auch die Untertanen des King im »Staat«, so daß nur die braune Hautfarbe und die unglaublich schwarzen afrikanischen Augen uns davor bewahrten, sie für waschechte Gentlemen zu halten, die, wie bekannt, die schönsten Apfelbäckchen unter allen Europäern haben und so blaue Augen, daß nur die friesischen sich daneben sehen lassen können.
Wie oft mögen die Eingeborenen schon das Kostüm gewechselt haben! Da wir schlecht imitierte Engländer auch bei uns zu Hause bewundern können, hätten wir natürlich lieber Nationaltrachten gesehen als diese vom praktischen England erfundene Normaltracht. Aber nur die Frauen haben davon etwas bewahrt: die Faldetta, eine Art Mittelding zwischen Kopftuch und Sonnenschirm, gleichzeitig auch Mantel. Ich bin nicht recht hinter den Mechanismus der Sache gekommen, die nach Art einer Wagenplane konstruiert zu sein scheint: schwarzer, dünner Stoff, auf einen beweglichen Reifen gespannt. Von weitem sieht es aus, als käme ein Schiff, das gegen den Wind kreuzt. So bläht sich nach der Sonnenseite der Stoff über den Reifen. Übrigens fand ich die Malteserinnen hübsch, und es muß unangenehm gewesen sein, das Keuschheitsgelübde ernst zu nehmen gegenüber diesen rassigen Heißblütlerinnen, die etwas liebenswürdig Animales haben. Meine Frau behauptete, und ich glaube, sie hat recht wie immer, daß das schönste Menschenkind, mit dessen Anblick uns diese Reise begnadete, ein Malteser Baby war, das, auf dem Schoß seiner Mutter sitzend, uns sein Köpfchen zuwandte, als wir vorüberfuhren. »Wenn es England gibt: Das war sein König«, sagte meine Frau, die damit freilich einen für eine gute Katholikin unziemlichen Skeptizismus offenbarte, aber auch die Kunst, einen Eindruck kurz und gut in Worte zu fassen.
Zur Belobung dafür erhielt sie einen Orden: ein Malteserkreuz aus Silberfiligran und Medaillon in gleicher Arbeit, gleichfalls schlitzkreuzdekoriert. Außerdem in adäquatem Dekor ein paar Meter Malteser Seidenspitze. Ich erwähne das nicht, um zu zeigen, wie generös ich sein kann (obwohl dies Detail vielleicht dazu beitragen könnte, meinen Charakter reizend zu illustrieren), sondern einmal, um darauf hinzuweisen, wieviel besser treffende Worte honoriert werden, wenn sie, statt aus der Stahlfeder, aus einem Frauenmund kommen, und dann, um auf diese hübschen Malteser Industrien hinzuweisen: Silberfiligran und Spitzen.
Vergeblich habe ich mich auf allen Plätzen nach den Kreuzen umgesehen, die, noch bis zum Schluß der Ordensherrschaft in Malta, dort an die Mauern gemalt worden sind, wo ein Ritter im Duell gefallen war. Malta war nämlich das gelobte Land der unbedingten Satisfaktionspflicht. Seine Gesetze verboten nicht einmal pro forma den ritterlichen Zweikampf. Gesetzlich bestimmt war nur der Ort, wo die Mensuren auf einem bestimmten Platz ausgefochten werden mußten. Und es war ferner Konvention mit der Kraft eines Gesetzes, daß augenblicklich die Degen eingesteckt werden mußten, wenn ein Weib, ein Priester oder ein Ritter es befahl. Da aber die Weiber kein Interesse an den Rittern hatten, die Priester deren Diener und die Ritter selber Freunde des ehrehegenden Degens waren, so ist anzunehmen, daß eine Mensur auf Malta noch seltener aufgehoben worden ist als eine im Hirschgraben zu Heidelberg. Eine Geschichte aus der Zeit des letzten regierenden Ordensmeisters zeigt, wieviel gefährlicher ein Verruf wegen »Kneifens« unter diesen Rittern war als heute unter Korpsstudenten. Zwei Ritter hatten sich beim Billardspiel entzweit, und der eine hatte dem anderen einen Schlag versetzt. Darauf Forderung. Aber der Schläger weigerte sich, Satisfaktion zu geben. Die Forderung wurde wiederholt.
Der sonderbare Ritter, ein allzu verfrühtes Mitglied der Antiduelliga, weigerte sich noch immer. Daraufhin wurde er nicht etwa dimittiert, sondern er erhielt folgende Strafen: 1. fünfundvierzig Tage hintereinander Kirchenbuße in der großen Kathedrale zu St. Johann, 2. fünf Jahre Dunkelarrest in einem unterirdischen Kerker, 3. lebenslängliche Festungshaft. Ein bißchen viel, aber schließlich optimo jure verhängt. Denn Ritter sollen nicht kneifen, am wenigsten, wenn sie sich vorher »in Realavantage« gesetzt haben. Arg aber ist, was der zeitgenössische Erzähler weiterhin berichtet: Auch der andere blieb diffamiert. Die Ritter konnten sich nicht darüber hinwegsetzen, daß einer unter ihnen war, der einen empfangenen Schlag nicht mit dem Blut seines Gegners weggewaschen hatte.
Wir durchwanderten im Trupp die Räume des ehemaligen Großmeisterpalastes, in dem jetzt der englische Großmeister residiert. Waffen, Waffen, Waffen. Aber alle diese Spieße, Beile, Schwerter, Flinten, Kanonen haben nichts ausgerichtet gegen den kleinen Bonaparte. Es scheint, die Ritter haben alle gerade Billard gespielt oder Suiten ausgefochten, als er ankam. Das schönste ist der Gerichtssaal mit seinen prachtvollen Gobelins. Aber wir wurden vorbeigetrieben wie eine Herde am saftigen Raine. Im Hofe eine erstaunliche Sehenswürdigkeit für Malteser: ein paar ausgewachsene Bäume. Weil es deren auf der Insel sonst keine gibt, trägt jeder ein Namensschild umgehängt. Man tauft hier die Bäume wie anderswo Schiffe. In der Tat, Goethe hatte recht, als er 1822 zu Parthey sagte: »Dieser dürre Kalkfelsen zwischen Sizilien und Afrika muß einen eigentümlichen Charakter haben.« Das Eigentümliche an ihm ist, daß er keinen Baumwuchs hat; nur der Johannisbrotbaum kommt auf ihm fort; vermutlich eine Aufmerksamkeit für die Johanniter.
Von der Baracca superiore, dem obersten Bollwerk dieser unglaublichen, zum großen Teil aus dem Felsen gehauenen Festung, genossen wir nicht nur den prachtvollen Blick auf den Hafen, sondern auch hinterwärts über das Land. Land? Wir sahen nur Gestein. Und worauf wachsen dann die berühmten Blutorangen? Die Baumwollstauden? Rosen? Feigen? Alles auf diesem Steinicht. Es kommt einem ganz unwahrscheinlich vor, wenn man es hört, daß ein Fels ohne Erde zu den fruchtbarsten Flecken unseres Planeten zählt. Einiges Erdreich soll zwar früher aus Sizilien herübergeschifft worden sein; in der Hauptsache aber ist es die zerbröckelte Oberschicht des Felsens selber, die alle diese Pflanzen hervorbringt und erhält. Wer weiß, was für schöne Sachen auf den Kratern des Mondes wachsen. Die wirklichen Mondkälber sind am Ende fetter als unsere.
Unerhört schön ist die Kathedrale San Giovanni. Hier hat Aristokratie Pracht mit höchstem Geschmack entfaltet. Es ist, als stünde man in lauter Gold. Die Priester, wie zelebrierende Könige, sangen die Messe. Der blaue Weihrauchdampf wölkte durch Luft und Glanz. Aber die Malteser sahen und hörten nichts. Sie knieten nicht, sie lagen auf den Marmorfliesen und beteten. Den Katholizismus wird der englische Stahlbesen hier nicht fortfegen. Wie brennt doch die Andacht in afrikanischen Augen!
Wir schritten durch die Seitenkapellen, die nach den verschiedenen Nationen der Ritter eingeteilt sind. Da glänzt silbern die Lilie Frankreichs, dort flammt golden der deutsche Adler. Die Wappen der edelsten Geschlechter Europas durchsetzen mit ihren bunten Farben das überall dominierende Gold. Zusammengehalten aber wird das Ganze durch das immer wiederkehrende Kreuz des Ordens.
Unter den Bildern ist mir eines besonders aufgefallen: das Martyrium des heiligen Johannes. Der Adel seiner Linien, das Zurückgehaltene in seinen Farben, die schöne Einfachheit im Ausdruck seines Inhalts lassen dieses Kunstwerk als die kostbarste Einzelheit in diesem eindrucksvollen Ganzen erscheinen. Meine Verneigung vor dieser alten katholisch-ritterlichen Pracht.
Bierbaum, Otto Julius
Die Yankeedoodle-Fahrt
2. Auflage, München 1910