1899 - Robert Koldewey, Archäologe
Die Löwenstraße zum Ischtartor
Babylon, Irak
Die Straße war auf beiden Seiten von hohen Festungsmauern begleitet. Sie bilden, 7 m dick, die Verbindung zwischen dem nördlich vorgeschobenen Vorwerk und dem ursprünglicheren Festungswerk, von dem das Ischtar-Tor ein Teil ist. Sie erschwerten dem Angreifer den Zugang zum Tore wesentlich. Wenn die Verteidiger auf diesen Mauern standen, so war die Straße für den Feind ein Todesweg. Dieser Eindruck von Schrecken und Entsetzen auf den Angreifer, den die Mauern an sich schon machen, wurde wesentlich gesteigert und auch auf den friedlichen Ankömmling schon ausgeübt durch die ergreifende Dekoration mit langen Reihen hintereinander her und auf den Eintretenden zuschreitender Löwen, die in flachem Relief und glänzenden Emaillefarben die Ziegelwände bedeckten.
Diese Emailleziegel gaben mit den Anstoß zur Ausgrabung von Babylon. Schon im Juni 1887 waren mir die buntfarbigen Ziegelbrocken, die den Boden auf der Ostseite des Kasr bedeckten, aufgefallen. Im Dezember 1897 sammelte ich einige davon und brachte sie nach Berlin, wo der damalige Generaldirektor der Königlichen Museen, Richard Schöne, ihre Bedeutsamkeit erkannte. Die Grabung setzte denn auch am 26. März 1899 hier ein mit einem Querschnitt durch die Ostfront des Kasr. Die schönen farbigen Fragmente kamen in großen Mengen zutage, bald auch die östliche von den beiden Parallelmauern, das Pflaster der Prozessionsstraße und die westliche, womit zugleich die nötige Orientierung für die weitere Grabung gegeben war.
Es gibt rechtsschreitende und linksschreitende Löwen, je nachdem sie an der östlichen oder an der westlichen Mauer saßen. Außerdem kommen solche mit weißem Fell und gelber Mähne und solche mit gelbem Fell und roter, jetzt infolge von Verwitterung grün erscheinender Mähne vor, der Grund ist entweder hell- oder dunkelblau, die Gestalt, abgesehen von dem Rechts- und Linksschreiten, immer dieselbe; denn das Relief war aus Formen gedrückt. An dem ursprünglichen Orte der Aufstellung, in situ, ist keiner gefunden. Die Mauern waren durch die Ziegelräuber zerstört, aber nicht so weit, daß man nicht noch bemerken konnte, wie die Mauer mit schwach vortretenden Türmen versehen war, die wahrscheinlich ungefähr ebenso weit voneinander abstanden, als sie breit waren. Flachfarbige, schwarzweiße Felderstreifen begrenzten an den Turmkanten die durch die Türme gegebenen Abteilungen der beiden 180 m langen Friese, Reihen von großblättrigen Rosetten schmückten den Sockel. Da jeder Löwe ungefähr 2 m lang ist. so können in jeder Abteilung vielleicht 2 Löwen gestanden haben. Das würde auf jeder Seite 60, im ganzen also 120 Löwen ergeben. Das stimmt mit der Anzahl der gefundenen Bruchstücke wohl überein.
Für die Herstellung kommt das Relief und die Farbengebung in Betracht. Dem schließlichen Relief muß ein Arbeitsmodell vorangegangen sein, dessen Teile zur Herstellung der Formen diente, aus denen die Ziegel gestrichen wurden. Das natürlichste wäre, daß man ein Stück Wand von der Größe des Löwen aus Ziegeln von plastischem Ton und mit einem stärker sandhaltigen Mörtel provisorisch aufgebaut hätte, worauf dann das Relief modelliert werden konnte. Das geschah jedenfalls unter Berücksichtigung der Fugen; denn diese sind so angeordnet, daß die Darstellung nicht in zu unliebsamer Weise durchschnitten wird, und jede Ziegelfront ein vernünftiges Stück des Reliefs erhält. Die Fugen bekommen auf diese Weise eine ähnliche Bedeutung wie das Netz der Proportionslinien, mit denen die ägyptischen Künstler ihre Aufgaben vorbereiteten.
Mit Hilfe dieses Modells konnte für jeden einzelnen Stein eine Form angefertigt werden, wahrscheinlich aus gebranntem Ton; denn der Art sind die Formen für die zahlreichen babylonischen Terrakotten. Diese Form bildete dann die eine Seite des Rahmens, aus welchem die Ziegel selbst gestrichen wurden. Des regelrechten Ziegelverbandes wegen mußte natürlich die eine Schicht aus ganzen (33 x 33 cm), die darauf folgende aus halben (33 x 16,5 cm) Ziegeln bestehen. Dabei ist der Reliefgrund immer identisch mit der Wandfläche, sodaß schon die Pranken mit ihrer Auftrittlinie über die Wandfläche hervorragen, wie es bei keinem Steinrelief der Fall ist. Es ist eben Tonstil, speziell Siegelstil, und dieser spricht sich auch in der Art des Reliefs selbst deutlich aus. Die Ränder der Darstellungen treten nicht, wie bei assyrischen Alabasterreliefs, mehr oder weniger senkrecht aus dem Reliefgrund hervor, sondern in einem stumpfen Winkel. Auch gibt es hier keine gemeinsame obere Ebene wie an den assyrischen Steinarbeiten. Beide Eigenschaften erleichtern wesentlich das glatte Herauskommen aus der Form. Es sind dieselben Gesichtspunkte, die bei der in Babylonien so außerordentlich hoch entwickelten Glyptik maßgebend waren. Dieser glyptische Reliefstil hat unter Hammurabi eine Übertragung auch in Stein gefunden, während namentlich die älteren babylonischen Steinreliefs den direkt aus der Zeichnung hervorgegangenen flächenmäßigen Basreliefstil zeigen, den die assyrische Kunst auch in späterer Zeit beibehält. Vor unseren Ausgrabungen war kein Stück nebukadnezarianischer Plastik bekannt.
Die einzelnen Reliefziegel sind vor der Farbengebung wie gewöhnliche Ziegel gebrannt worden. Darauf sind die Konturen in schmelzweichen schwarzen Glasfäden aufgetragen, sodaß ein
zelne Felder entstanden. Diese wurden mit naßflüssigen Emaillefarben ausgefüllt, das Ganze getrocknet und danach in einem zweiten, wahrscheinlich milderen Feuer zum Fluß gebracht. Da die schwarzen Glasfäden denselben Schmelzpunkt haben wie die Emaillefarben, so sind sie mit den Farben selbst vielfach ineinandergelaufen, was dem Kunstwerk den so außerordentlich lebendigen und doch einheitlichen Charakter verleiht, den wir heute bewundern.
Koldewey, Robert
Das wieder erstehende Babylon
4. Auflage, Leipzig 1925; Nachdruck 1981