1836 - Fürst Hermann von Pückler-Muskau
Mykene
Griechenland
Die Sonne war schon bedeutend vom Zenit herabgesunken, als die kornreiche Argolide, mit Argos und seinem Schloß in der Mitte, östlich der Palamides mit Nauplia, und des Meeres weiter Spiegel dahinter, sich vor uns ausbreiteten. Bald darauf erblickten wir links an den rauhen Bergen die kyklopischen Mauern der Feste Agamemnons. Da, wo die letzten Hügel in die Ebene auslaufen, liegt ein Dorf, hier nahmen wir einen Führer, damit er uns, mit Reisigbündeln versehen, nach dem Schatzhause des Atreus zu geleite, was von den Einwohnern die Gruft Agamemnons genannt wird. Wir mußten noch ziemlich lange und steil hinansteigen, ehe wir dies Monument erreichten, nach meinem Gefühl, wenn es ein Grabmal ist, woran ich nicht zweifle, das imponierendste, welches ich je gesehen. In einer rauhen, kahlen Felsengegend, deren Spitzen über tiefe Abgründe emporstreben, steht man plötzlich vor einem kolossalen Tore, das in einen dieser Hügel hineinführt. In dem vertieften Weg vor demselben, der zwanzig Fuß breit ist, wird das Erdreich durch zwei hohe Mauern gehalten, deren riesige Steinblöcke nun schon über dreitausend Jahre den Umwälzungen der Zeit widerstanden haben; von den grünen Basaltsäulen am Tore aber, welche in ihrem Stil der Architektur von Persepolis geglichen haben sollen, ist nichts mehr vorhanden. Man tritt jetzt in einen geräumigen Gang von reichlich zwanzig Fuß Länge, nicht viel minderer Höhe und einer Breite von zwölf Fuß, dessen Decke aus einer enormen Steinmasse besteht, welche die Länge und Breite des Ganges noch um einige Fuß überragt. Die angezündeten Reiser erleuchteten schon hell mit ihren roten Flammen den trichterförmigen Dorn des Hauptgemachs, welches ungefähr fünfzig Fuß Diameter an seiner Basis und eine gleiche Höhe hat. Es ist aus vierzig Reihen horizontal übereinander liegender Steinblöcke, die schräg hinansteigen und oben in eine Spitze, gleich einem Zelte, auslaufen, konstruiert, ohne eine weitere Öffnung zu haben als ein dreieckiges Fenster über dem Tore. Rechts führt eine niedrige Türe, aus drei Steinen geformt, in ein anderes bedeutend kleineres und rund gewölbtes viereckiges Felsengemach, das mit einer Art Stuck überzogen zu sein scheint; in der Mitte ragt ein roher Steinblock aus der Erde, unter dem die Sage die Reste des Atriden ruhen läßt. Man sieht im Innern noch einige Fragmente von metallenen Nägeln mitten in den Steinen der Mauer, welche der Vermutung Raum gegeben haben, daß früher das Innere durchaus mit Metallplatten bekleidet war, wie denn überhaupt eine große Vollendung und Pracht der Arbeit bei dem Ganzen noch immer sichtbar ist.
Auf dem halben Wege von hier nach der Akropolis oder Burg Agamemnons bemerkt man noch Überreste eines andern Gebäudes derselben Art, das gewaltsam zerstört wurde. Die Einwohner nennen es Agamemnons Bad. Höchst merkwürdig ist der Eingang der Feste durch das sogenannte Löwentor, zu dem ein von zwei kyklopischen Mauern eingefaßter, dreißig Fuß langer und zwanzig Fuß breiter Raum führt. Das Tor ist in ägyptischer Weise oben bedeutend schmaler als nach unten und die Hälfte desselben verschüttet. Es wird von einem großen dreieckigen Stein, aus demselben schon erwähnten grünlichen Basalt, gekrönt, auf dem sich ein sehr flaches Basrelief befindet, das in der Mitte eine verzierte Säule darstellt, an welcher zwei Löwen, wie Wappenhalter, sich aufbäumen. Leider fehlt der obere Teil des Steins, welcher die Köpfe der Löwen und wahrscheinlich irgendeinen auf der Säule stehenden Gegenstand enthielt, der vielleicht größeres Licht über die Bedeutung des Ganzen verbreitet haben würde. Wer übrigens die beschriebenen Gegenstände selbst gesehen, kann an dem außerordentlich hohen Alter derselben unmöglich zweifeln. Sie tragen in allem zu deutlich diesen Stempel und zeichnen sich zu auffallend und fremdartig von allen andern hellenischen Altertümern in Griechenland aus. Ich erklomm mit einiger Mühe die herabgefallenen Mauern, zuerst bis zur Area, dem Gerichts- und Marktplatz vor den Propyläen, wohin Sophokles die erste Szene seiner Elektra verlegt, und endlich bis zum obersten Plateau, wo sich drei noch ganz gut erhaltene Zisternen oder Kornkammern befinden, und umging dann die sehr deutlich zu verfolgenden Wälle der Zitadelle, deren ganze Ausdehnung zirka zwölf- bis fünfzehnhundert Fuß betragen mag. An der entgegengesetzten Seite fand ich noch ein anderes wohlerhaltenes kleineres Tor in einer der Mauern, von großen Blöcken zusammengefügt, wo auch die Spuren einer Treppe noch sichtbar sind, die mich nach dem Bette des jetzt leeren Bergbachs hinabführte. Indem ich hier von außen nach meinen Pferden am Löwentore wieder zurückkehrte, gewann ich zugleich eine neue, besonders pittoreske Ansicht der Feste und ihrer gigantischen Mauern von der Ost- und Nordseite. Von der Stadt selbst und ihren »Himmelsmauern«, wie sie Homer nennt, ist fast nichts mehr übrig, und von der perseischen Quelle ebenfalls keine Spur mehr aufzufinden. Seltsam aber ist es, daß Strabo auch die eben beschriebenen Ruinen nicht gekannt zu haben scheint, denn er erklärt: von ganz Mykenae sei nichts mehr vorhanden.
Der noch zwei gute Stunden betragende Weg von hier nach Nauplia führt fortwährend durch wohlangebaute Felder, und, nachdem man die neue, sich in sehr schlechtem Zustande befindende Kunststraße von Argos erreicht hat, bei einer Musterwirtschaft vorbei, welche das Gouvernement hier angelegt und der Obhut des als Schriftsteller über Brasilien bekannten Hauptmanns Weech anvertraut hat. Die genaue Besichtigung Mykenaes hatte mich so sehr verspätet, daß ich kaum noch vor Torschluß, um acht Uhr, in der Stadt ankam; denn nach dem beliebten Militärspiel unserer Zeit wird auch Nauplia mitten im Frieden so behandelt, als befinde sich das ganze Land in Empörung oder eine türkische Armee in der Nähe. Natürlich muß der Verkehr unter der unnützen Strenge dieser Maßregel (früher wurden die Tore sogar um sechs Uhr geschlossen) außerordentlich leiden, und ich selbst fühlte die Folgen sehr empfindlich, indem ich aus diesem Grunde in dem großen Hotel, wo jetzt selten Fremde einkehren und die Wirte daher keine Vorräte halten, nichts mehr zu essen bekommen konnte.
Pückler-Muskau, Hermann Fürst von
Südöstlicher Bildersaal – Griechische Leiden
Stuttgart 1840; Neuauflage Stuttgart 1968