Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1385 - Jean de Froissart
Ungeliebte Verbündete: Französische Ritter in Edinburgh

 

Die französische Armee hatte auf dem Weg nach Schottland günstige Winde, denn es war Mai, und um diese Zeit ist das Wetter gemäßigt und angenehm. Sie segelte an Flandern, Zeeland und Friesland vorbei und bekam schließlich Schottland in Sicht. Bevor sie aber landete, ereignete sich ein unglückseliger Zwischenfall, dem ein französischer Ritter mit Namen Aubert d'Angers zum Opfer fiel.
   Dieser Ritter war jung und rührig, und um seine Geschicklichkeit zu beweisen, stieg er in voller Rüstung in die Takelage. Aber er glitt aus und fiel in die See, und das Gewicht seiner Rüstung, das ihn sofort versinken ließ, machte jede Hilfe unmöglich; auch war das Schiff schnell von der Stelle entfernt, wo er ins Meer gestürzt war. Alle Barone waren durch dieses Unglück sehr erschüttert, aber sie mussten es aushalten, da sie es nicht ändern konnten.
   Sie setzten ihre Fahrt nach Edinburgh fort, der Hauptstadt von Schottland, wo der König meistens residiert, wenn er sich in diesem Landesteil aufhält. Der Earl of Douglas und der Earl of Moray waren benachrichtigt worden und warteten in Edinburgh. Und sobald die Franzosen angekommen waren, eilten beide zum Hafen, um sie herzlich zu empfangen und willkommen zu heißen.
   Die schottischen Barone erkannten sofort Sir Geoffrey de Charny, denn der war im letzten Jahr im Sommer zwei Monate in Schottland gewesen. Sie Geoffrey machte sie bekannt mit dem Admiral und den Baronen aus Frankreich – er wusste sehr genau, wie das am besten vor sich ging. Zu dieser Zeit war der König nicht in Edinburgh, sondern im Hochland. Seine Söhne empfingen die Franzosen freundlich und sagten, der König würde bald erscheinen.
   Damit waren die Franzosen zufrieden, und die Lords und deren Leute brachten sie in Edinburgh unter, so gut sie es vermochten, und die, die dort kein Quartier finden konnten, wurden in verschiedenen Dörfern der Umgebung einlogiert. Edinburgh, auch wenn es die Königsresidenz und das Paris Schottlands ist, ist doch nicht einmal so wie Tournay oder Valenciennes, denn in der ganzen Stadt gibt es nicht einmal viertausend Häuser. Deshalb mussten mehrere französische Herren ihre Wohnung in den Nachbardörfern nehmen, in Dunfermline, Kilson, Dunbar, Dalkeith und anderen.
   In Schottland verbreitete sich schnell die Nachricht, dass eine große Truppe französischer Soldaten im Lande angekommen war. Manche brummten und sagten: »Was zum Teufel hat die hierher gebracht? Können wir unsere Kriege mit England nicht ohne ihre Hilfe erledigen? Solange die hier sind, kommen wir zu nichts Gutem. Heißt sie zurückzufahren, wir sind genügend Leute in Schottland, um unsere Streitigkeiten selber auszutragen, und wollen ihre Gesellschaft nicht. Wir verstehen auch ihre Sprache nicht und sie nicht die unsere und wir können nicht miteinander reden. Schnell werden sie alles im Lande verzehrt und vernichtet haben und uns mehr Schaden zufügen, als es die Engländer mit ihren Schlachten vermögen, wenn wir ihnen erlauben, bei uns zu bleiben. Wenn die Engländer unsere Häuser anzünden, was macht das schon? Wir bauen sie schnell mit Leichtigkeit wieder auf, denn das dauert nur drei Tage, gesetzt den Fall, wir haben fünf oder sechs Balken und Äste, um sie zu decken.«
   So redeten die Schotten bei der Ankunft der Franzosen. Sie schätzten sie nicht, sondern hassten sie aus tiefster Seele und beschimpften sie so roh und kräftig, wie die Schotten nun einmal sind.
   Wenn man es recht bedenkt, so muss ich doch einräumen, dass es nicht richtig war, so viele Adlige zu dieser Zeit nach Schottland zu schicken. Es wäre besser gewesen, man hätte zwanzig oder dreißig Ritter aus Frankreich geschickt als fünfhundert oder tausend. Der Grund dafür ist klar: In Schottland wird man niemals einen Mann von Wert finden. Sie sind wie die Wilden, die mit niemandem verbunden sein wollen, zu neidisch auf das Glück anderer blicken und Angst haben, etwas zu verlieren, denn ihr Land ist sehr arm. Wenn die Engländer einfallen, wie es schon oft geschehen ist, so sorgen die dafür, dass ihnen ihre Versorgung dichtauf folgt, denn in diesem Land gibt es nichts so ohne weiteres. Es gibt weder Eisen, um die Pferde zu beschlagen, noch Leder, um Pferdegeschirr oder Sättel herzustellen. Alle diese Dinge kommen fertig aus Flandern über See, und wenn sie ausbleiben, gibt es im Lande nichts.
   Als also nun die Barone und Ritter aus Frankreich, die an bequeme Unterbringung, schön ausgestattete Wohnungen und Schlösser mit guten weichen Betten zum Ausruhen gewöhnt waren, sich inmitten solcher Armut wiederfanden, begannen sie zu lachen und dem Admiral zu sagen: »Was hat uns bloß hierher verschlagen? Bis jetzt haben wir nicht gewusst, was Armut und hartes Leben bedeutet. Jetzt wissen wir, dass unsere Eltern Recht hatten, als sie sagten, wir sollten hinaus ziehen, und wenn wir lange genug lebten, würden wir es mit harten Betten und armseligen Behausungen zu tun bekommen.« Jetzt war es so weit! Sie redeten auch untereinander und meinten, sie sollten sich beeilen, den Zweck ihrer Fahrt anzugehen und nach England zu marschieren, weil ein langer Aufenthalt in Schottland weder ehrenhaft noch gewinnbringend sei. Das alles trugen sie dem Admiral de Vienne for, der sie beruhigte, so gut er konnte, und sagte: »Meine lieben Herren, es steht uns gut an, geduldig zu sein und zu warten und trotz unserer Schwierigkeiten gerecht zu bleiben. Wir haben noch viel vor uns und können nicht durch England nach Hause zurückkehren. Nehmt in guter Laune, was immer Ihr bekommen könnt. Ihr könnt nicht immer in Paris, Dijon, Beaune oder Châlons sein. Wer in dieser Welt in Ehren leben will, muss das Gute wie das Schlechte ertragen!«
   Mit diesen und anderen Reden, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, hielt de Vienne seine Armee in Schottland ruhig. Er pflegte so gute Beziehungen mit den schottischen Baronen und Rittern, wie er konnte, aber er wurde von so wenigen aufgesucht, dass es sich nicht lohnt, darüber zu reden, denn, wie ich schon gesagt habe, hier gibt es keine Ehrenhaftigkeit, und die Leute sind schwierig im Umgang. Der Earl of Douglas und der Earl of Moray waren die hauptsächlichen Besucher der französischen Herren. Diese beiden erwiesen ihnen mehr Aufmerksamkeit als der Rest von Schottland zusammen. Aber das war noch nicht das Schlimmste, denn die Franzosen wurden bei ihren Einkäufen hart behandelt. Wann immer sie Pferde kaufen wollten, wurde für einen Wert von zehn Florin ein Preis von hundertsechzig verlangt, und auch für diesen Preis waren sie nur schwer zu finden. Dann waren die Pferde gekauft, aber nun gab es keine Wohnungen und auch keine Möbel, so weit sie nicht aus Flandern mitgebracht worden waren. In einer solchen Situation befanden sich die Franzosen. Darüber hinaus wurden die Diener, wenn sie losgezogen waren, um Proviant zu besorgen, zwar beim Aufladen nicht gestört, sie konnten nehmen, soviel sie einpacken und tragen konnten, aber auf dem Heimweg wurden sie schurkisch zusammengeschlagen, ausgeraubt und manchmal sogar erschlagen, sodass aus Todesangst keiner mehr gehen wollte. In einem Monat verloren die Franzosen mehr als hundert Diener, denn auch, wenn sie zu dritt oder viert gingen, kam keiner zurück. So schändlich wurden sie behandelt!
   Bei alledem ließ sich der König lange und dringend bitten, bevor er sich zeigte. Die schottischen Ritter und Grundherren steckten dahinter, denn sie verkündeten, sie wollten jetzt gar keinen Krieg mit England anfangen, und die Franzosen sollten für ihr Erscheinen teuer bezahlen. Es war zwingend nötig, dem König und seinen Höflingen eine große Summe zu bezahlen. De Vienne sagte mit seinem Siegel zu, dass er Schottland nicht verlassen würde, bevor der König und seine Leute zufriedengestellt wären. Hätte er das nämlich nicht getan, hätte er keinerlei Unterstützung von den Schotten erhalten. Er sah sich zu diesem Handel genötigt, wenn nicht zu Schlimmerem. Aber wie groß auch die Vorteile, die die Schotten daraus zogen, und welche Unterstützung de Vienne dadurch auch bekam: Gewinne zogen nur die Schotten aus diesem Krieg.
   [Schließlich ziehen schottische und französische Truppen gemeinsam nach Nordengland, werden aber zurückgeschlagen. Die englischen Truppen dringen bis in die Gegend von Edinburgh vor.]
   
   Franzosen und Schotten marschierten auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren. Als sie im Unterland ankamen, fanden sie den ganzen Landstrich verwüstet. Aber die Einheimischen nahmen es leicht und meinten, mit sechs oder acht Pfosten würden sie schon schnell genug zu neuen Häusern kommen, und Tiere als Verpflegung würden sie auch finden. Die Schotten hatten ihr Vieh zur Sicherheit in die Wälder getrieben. Man muss aber wissen, dass die Franzosen teuer bezahlten mussten, was immer sie kaufen wollten. Zum Glück gab es zwischen beiden Armeen keine ernsthaften Streitigkeiten, obwohl es immer wieder Gerangel um den Proviant gab. Die Schotten meinten, die Franzosen hätten ihnen mehr geschadet als die Engländer, und auf die Frage, wieso denn, antworteten sie, weil die Franzosen durch die Getreidefelder ritten, durch Hafer und Gerste, weil sie auf dem Marsch nicht den Straßen folgten; dafür müssten sie Schadenersatz leisten, bevor sie Schottland verließen. Und die Franzosen würden weder Schiffe noch Seeleute finden, die sie ohne Erlaubnis mit auf See nehmen würden.
   Als der Admiral mit seinen Baronen, Rittern und Herren in die Gegend von Edinburgh zurückgekehrt war, litten alle sehr unter Hunger. Sie hatten nur wenig Wein, Bier, Gerste, Hafer oder Brot. Die Pferde gingen deshalb ein oder waren wegen zu starker Belastung nicht mehr zu gebrauchen, und als man sie verkaufen wollte, fand sich niemand, der auch nur einen Pfennig dafür geben wollte.
   Die Barone und Ritter beklagten sich bei ihrem Admiral über diese Behandlung; er wusste schon genau Bescheid. Sie sagten, sie könnten solche Bedrängnis nicht mehr ertragen, denn Schottland sei kein Land, in dem man im Winter bleiben könne. Und wenn sie den folgenden Sommer noch bleiben müssten, würden sie vor Armut zugrunde gehen. Wenn sie sich über das Land verteilten, um besser leben zu können, so könnte es wohl sein, dass die Schotten, die die Proviantmacher so schurkisch behandelt hätten, sie in ihren Betten umbrächten.
   Der Admiral erwog ihre Klagen und musste ihnen Recht geben. Er hatte aber trotzdem die Absicht, über den Winter dort zu bleiben und einen Lagebericht an den König von Frankreich und den Herzog von Burgund zu schicken; der Admiral meinte, sie würden ihn bald mit Vorräten und Geld unterstützen, mit denen er den nützlichen Krieg gegen die Engländer fortführen könne. Aber als er die bösen Absichten der Schotten und die Gefahren, in denen seine Männer schwebten, in seine Überlegungen einbezogen hatte, stimmte er zu, dass jeder abreisen könne, der das wolle. Aber wie die Abreise bewerkstelligen, denn das war das Missliche, dass die Herren für sich und ihr Gefolge kein Schiff bekommen konnten. Die Schotten stimmten zu, dass einige wenige arme Ritter ohne großes Kommando das Land verließen, um die Übrigen um so leichter zu beherrschen. Sie teilten den Baronen mit, dass ihr Gefolge, falls es das wolle, abreisen könnte, sie selbst aber das Land nicht verlassen dürften, bis sie den Forderungen Genüge getan hätten, die sich aus dem Aufenthalt ihrer Armee ergäben.
   Dies missfiel de Vienne und den anderen Baronen sehr. Der Earl of Douglas und der Earl of Moray, die vorgaben, über das harte Benehmen ihrer Landsleute erbost zu sein, klagten mit ihnen, dass sich die Schotten den französischen Rittern gegenüber nicht wie Waffenbrüder oder Freunde des französischen Königreiches benähmen, und dass in Zukunft kein schottischer Ritter wagen könne, seinen Fuß auf französischen Boden zu setzen.
   Die zwei Earls, die den Franzosen gegenüber recht freundlich waren, erklärten, welchen Effekt ihr Verhalten bei ihren eigenen Vasallen auslöste; manche meinten, die Earls sollten sich von den Franzosen trennen, denn sie hätten genauso Verluste erlitten. Die Earls erklärten deshalb dem Admiral, dass sie nichts für ihn tun könnten, und wenn sie Schottland so gern verlassen wollten, müssten sie für die angerichteten Schäden aufkommen.
   Dem Admiral war klar, dass er weiter nichts erreichen konnte. Nicht bereit, alles aufzugeben, sich sehr unbehaglich fühlend, vom Meer umgeben und von Schotten, die zu Gewalttätigkeiten neigten, stimmte er ihren Forderungen zu und ließ im ganzen Land verkünden, dass jeder, der nachweisen könne, dass seine Leute ihm Schaden zugefügt hätten, sich bei ihm melden solle und dann voll bezahlt würde. Diese Ankündigung beruhigte die Schotten, und der Admiral nahm alle Schulden auf sich und erklärte, er würde das Land erst verlassen, wenn alle Ansprüche befriedigt seien.
   Daraufhin konnten viele Ritter und Herren nach Frankreich absegeln und kehrten über Flandern – oder wo immer sie landen konnten – zurück. Sie waren hungrig und ohne Waffen oder Pferde und verfluchten Schottland und den Tag, an dem sie ihren Fuß auf dieses Land gesetzt hatten. Sie sagten, auf keiner Kriegsfahrt hätten sie Ähnliches erdulden müssen, und sie wünschten sich, dass der König von Frankreich mit den Engländern für zwei oder drei Jahre einen Waffenstillstand eingehen würde, um gegen Schottland zu marschieren und es gänzlich zu zerstören. Denn nie hätten sie so sündhafte Leute getroffen oder solche Heuchler und Verräter.

 

Froissart, John
Chronicles
3. Ausgabe, London 1808, Band 7
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hrg.)
Reisende in Schottland seit 325 v. Chr.
Wien 2008

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