Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1883 - Emil Holub - Die Springbockgazelle
Zwischen Grahamstown und Cradock, Südafrika

 

Die Springbockgazelle (A. Euchore) gehört unstreitig zu den schönsten Gazellenarten, die wir kennen. Sie besitzt außer allen Vorzügen einer Gazelle eine seltene Sprungkraft in ihren stählernen Muskeln und ihr edles zierliches Köpfchen schmückt ein so schönes, lyraförmig geschwungenes Hörnerpaar, daß man ihr wohl den Vorzug unter den mittelgroßen ihrer Familie einräumen muß. Dieses ungewöhnlich reizende Thier hat so graziöse Bewegungen, namentlich wenn es spielt, oder aufgescheucht die Flucht ergreift, daß man in Verlegenheit geräth, selbe zu beschreiben. Selbst wenn sie gejagt wird und in Angst dahinfliegt, scheint sie es darauf angelegt zu haben, durch ihre Coquetterie des Jägers Mordlust zu beschwichtigen. Leider findet sie für ihre Schönheit abgestumpfte Nimrode in mehr als hinreichender Zahl und dies namentlich unter den holländischen Farmern und den Eingebornen, welche dafür sorgen, daß sie täglich seltener wird. Ihre Sprünge ähneln dem Ausschnellen einer Uhrfeder. Sie läßt namentlich gewöhnliche Jagdhunde, mit Ausnahme der Windspiele, ziemlich nahe kommen; sie schaut die anrennenden, laut kläffenden Köter so gleichgültig an, wie wenn sie geduldig erwarten würde, bis sie zu ihr gekommen und ihr Alles gesagt, was sie zu sagen hätten. Plötzlich, wenn nach ihrer Berechnung die Zeit zur Flucht gekommen, schnellt sie sich wie eine losgelassene Uhrfeder in die Höhe, um etwa 6-8 Fuß weiter die Erde mit ihren zarten, spitzen Klauen zu berühren, allein kaum daß dies geschehen, so ist sie schon wieder über derselben, und so macht sie fünf bis zehn Sprünge sehr rasch hintereinander und dem Emporschnellen eines auf harten Boden auffallenden Gummiballes nicht unähnlich; es scheint, als ob sie die Erde gar nicht berühren würde, kaum senkt sich der Körper zur Erde, hat er sich auch schon wieder emporgeschnellt. So in einem überraschend kurzen Zeitraume von dem Verfolger weit entfernt bewegt sie sich plötzlich eine Minute langsam im Schritte vorwärts, wiederum dem Hunde Zeit gönnend sich zu nähern, dann wiederholen sich die Sprünge, und so neckt das Thier seine Verfolger mehrmals, bis es endlich, gleichsam des Spielens müde geworden, in weiten, großen Sätzen, in wilder Flucht davonjagt, bis es sich vollkommen sicher glaubt, und man sie in einigen Augenblicken in der weitesten Entfernung auf der Ebene als winzigen, weißlichen, beweglichen Punkt wahrnimmt, welcher dem Jäger die Richtung angibt, in der das schnellfüßige Thier seinen Lauf, oder besser gesagt, seinen Flug genommen. Allein selbst seine fabelhafte Schnelligkeit rettet es nicht vor dem Tode. Die Entdeckung der Diamantenfelder hat Tausenden dieser Thiere, wie auch ihren Verwandten, dem Bläßbock und dem schwarzen Gnu, Verderben gebracht. Die holländischen Farmer als Besitzer der Striche, auf welchen die edlen Thiere weiden, und als vortreffliche Schützen, sind ihre ärgsten Feinde. Sie kamen periodisch auf die Diamantenfelder und immer mit reicher Beute versehen. Ich hatte während meines dortigen Aufenthaltes beobachtet, daß in den Wintermonaten von Mai bis September ganze Wagenladungen mit solchen erlegten Thieren zu Markte gebracht wurden; doch auch sonst ist dies Wildpret nicht selten zu haben. Namentlich sind es der öffentliche Auctionsmarkt, der jeden Morgen in Kimberley und Dutoitspan abgehalten wird, wo sie an den Meistbietenden überlassen werden. Da liegen sie vor uns, der Köpfe und Füße beraubt, oft zu Dutzenden nebeneinander in langen Reihen! Der Preis wechselt je nach der Jahreszeit und der Größe des Thieres zwischen 3-7 Shillinge.
   Nicht uninteressant ist die Jagdweise dieser Thiere. Man jagt sie zu Pferde, erlegt sie auf dem Anstande und hetzt sie mit Windhunden zu Tode. Die gewöhnlichste ist jene zu Pferde. Der Jäger setzt im stärksten Galopp den Thieren nach; die auf jenen begrasten Ebenen geborenen und an die Löcher der vielen Erdthiere sowie die niedrigen Termitenhaufen gewöhnten Pferde eilen im schnellen Laufe in der ihnen angegebenen Richtung dahin, so daß sie dem Jäger wenig Mühe verursachen, ihm vielmehr gestatten, seine ganze Aufmerksamkeit den fliehenden Gazellen zuzuwenden. Etwa zweihundert bis hundert Schritte nach einem 1½-2 Meilen (engl.) langem Ritte den Thieren nahe gekommen, bringt oft schon ein leichter Druck mit den Knieen das im wilden Galopp dahinjagende Pferd zum plötzlichen Stillstand, der Jäger springt ab, legt an und schießt. Es sind namentlich holländische Bauern, welche in dieser Jagdweise Unglaubliches leisten. Ich habe Fälle beobachtet, wo der Jäger mit seinem Hinterlader zwei fliehende Gazellen mit einem Schusse erlegte, auch Fälle, wo die ersten beiden Schüsse fehl gingen oder sonst etwas dem Jäger seinen zweiten Schuß so spät abzufeuern erlaubte, daß die Gazellen erst nachdem sie 600 bis 800 Schritt weit abgekommen waren, stehen blieben. Während sie dann nach dem Jäger zurückblickten kniete dieser nieder, wies sich umwendend mit den Worten: »det rechte kantsche bock, Mynheer« auf eines der Thiere und streckte eben das bezeichnete mit der Kugel seines Carabiners nieder.
   Die zweite Art, die Springböcke zu jagen, ist jene auf dem Anstande. In der Nähe der Wassertümpel, zu welchen die Gazellen trinken kommen, oder auch an den Lachen in einem bis auf diese ausgetrockneten Flußbette, gräbt man muldenförmige Gruben, in der Tiefe von 1½-3 Fuß und 3 Fuß im Durchmesser haltend. In diese Grube kauert sich der Jäger und schießt die zur Tränke kommenden Thiere nieder. Diese Jagdweise ist namentlich in trockenen Wintern sehr üblich, wo es nur wenige Wasserstellen gibt, an denen die armen Thiere ihren Durst stillen können. Die südlichsten der Betschuanen, die Batlapinen und Barolongen, lieben eine ähnliche Jagdweise, welche jedoch mehr eine Treibjagd genannt werden muß. Sie thun dies auch, weil sie als schlechte Schützen sonst dem Wilde nicht gefährlich werden könnten. Mehrere Männer legen sich in das etwa 2 Fuß hohe Gras, welches die Ebenen zwischen dem Hart-River und dem Molapo bedeckt, oder hinter die Termitenhügel platt auf die Erde, und da sie in der Regel nur gewöhnliche Musketen (Pavion boute) besitzen und somit der Erfolg von einem Schusse abhängt, 700-900 Schritte windabwärts von einer grasenden Springbockheerde, und zwar jeder Schütze etwa 50, wenn es nur wenige sind, etwa 200 Schritte von einander entfernt. Hier warten sie oft stundenlang, bis ihre zahlreichen Genossen im weiten Bogen die Heerde umgangen, und sie halbmondförmig einschließend, nach den Schützen zu gedrängt haben. Sind es nur wenige Eingeborne, die sich auf eine solche Jagd begaben, so warten sie ruhig einen ganzen Tag im Grase liegend, bis sich das grasende Wild ihnen allmälich genähert. Ich beobachtete Fälle, wo sechs Schützen auf ein Thier anlegten, sechs Donnerbüchsen (denn ihre Musketen sind wahre Donnerbüchsen) ließen die Erde erzittern und als sich der Rauch verzog, da schauten hoch aufgerichtet ebensoviel dunkle Gestalten verwundert, eine flüchtige Springbockgais schnellfüßig das Weite suchend—alle Schüsse waren fehl gegangen.
   Mir selbst geschah etwas Aehnliches. Auf dem Anstande stundenlang in einer kurzgrasigen Ebene, nahe an einem Salzsee drei Springbockgazellen erwartend, sah ich endlich die schönen Thiere einige 20 Schritte vor mir, allein mir schien's ein Verbrechen, ihnen ein Leid anzuthun; nur der Gedanke, daß wir Nahrung brauchten, brachte mich dahin, von meinem Snider-rifle Gebrauch zu machen; allein die Hand zitterte—ich konnte mich nicht des Gedankens erwehren, daß ich einen Mord begehe, möglich, daß man in größerer Entfernung hartherziger ist—und so legte ich die Hand an den Drücker und die Thiere, erschreckt durch den plötzlichen Knall, flogen in weiten Sätzen von dannen. Livingstone erwähnt in seinen südafrikanischen Reiseberichten, bei Gelegenheit als er die Jagd auf Gazellen bei den Betschuanen beschreibt, der sogenannten Hopofalle. Ich sah sie nicht mehr im Gebrauch, sie ist auch heutzutage nicht mehr gut möglich. Zu seiner Zeit war das Wild in jenen Gegenden weniger scheu und in größeren Massen vorhanden.
   Die dritte Jagdweise auf den Springbock ist die von den Engländern eingeführte und besteht darin, daß man das Thier, ohne sich des Feuergewehrs zu bedienen, mit Windhunden zu Tode hetzt. Die Jagdgesellschaft jagt den Thieren mit verhängten Zügeln auf guten, allein weniger an das Terrain gewöhnten Pferden nach, bis es entweder den Hunden gelingt die Gazellen einzuholen, oder die letzteren einen solchen Vorsprung gewinnen, daß die Verfolger, müde geworden, die Verfolgung aufgeben müssen.
   
Holub, Emil
Sieben Jahre in Süd-Afrika. Erlebnisse, Forschungen und Jagden auf meinen Reisen von den Diamantfeldern zum Zambesi
Band 1, Wien 1881

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