Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1716 - Lady Mary Montagu
Brief aus Hannover

 

Hannover ist weder groß noch schön, aber das Schloß könnte einen weit zahlreicheren Hof fassen als das zu St. James. Der König [Georg I.] war so gütig, uns eine Wohnung in einem Teil des Schlosses anweisen zu lassen, sonst wären wir hier sehr übel untergekommen, denn die Menge der Engländer füllt die Stadt so sehr, dass man sich glücklich schätzen muss, wenn man eine elende Kammer in einem miserablen Wirtshaus findet. Heute speiste ich bei dem portugiesischen Gesandten, der sich recht glücklich schätzt, weil er zwei verlotterte Gemächer in einem Gasthof bewohnt. Ich habe jetzt Deutschland durchreist und muss dazu die Anmerkung machen, dass zwischen dem Reisen hier und in England ein beträchtlicher Unterschied besteht. Hier sieht man keinen von den schönen Adelssitzen, die bei uns so häufig sind, auch nichts, was dem Haus eines Landedelmannes ähnlich wäre, obwohl es viele vollkommen malerische Gegenden gibt. Das ganze Volk steht entweder unter absoluter Herrschaft, wo Reichtum und Pracht an einem Hof versammelt ist, oder gehört zu Kaufmannsgemeinden, wie in Nürnberg und Frankfurt, wo man in der Stadt wohnt, weil das bequemer für den Handel ist. Die königliche Truppe französischer Schauspieler gibt jeden Abend Vorstellungen. Sie sind gut gekleidet und einige von ihnen keine üblen Schauspieler. Seine Majestät soupiert und diniert immer an öffentlicher Tafel. Die Hofgesellschaft ist zahlreich, und des Königs Leutseligkeit und Güte macht seinen Hof zu einem der angenehmsten Aufenthalt der Welt.

Ich bin jetzt im Reiche der Schönheit angelangt. Alle Frauen hier, wirklich alle, haben Rosenwangen, schneeweiße Stirnen und Busen, pechschwarze Augenbrauen und scharlachrote Lippen, wozu dann meistens noch kohlrabenschwarzes Haar kommt. Diese Perfektion behalten sie bis ins Grab, und sie macht sich bei Kerzenlicht sehr gut, aber es wäre mir lieber, wenn sie ein bisschen unterschiedlich schön wären. Sie sehen einander so ähnlich wie Frau Salmons großbritannischer Hof [in Wachs], und sind in ebenso großer Gefahr des Schmelzens, wenn sie dem Feuer zu nahe kommen. Deshalb vermeiden sie das sorgfältig, wenn es auch jetzt so bitterkalt ist, dass ich glaube, diese Selbstverleugnung müsse sie teuer zu stehen kommen. Der Schnee liegt schon hoch, und man fängt an, in Schlitten zu herumzufahren. Das ist in ganz Deutschland eine Lieblingsbeschäftigung. Es sind kleine, auf Kufen befestigte Wagen, in denen eine Dame und ein Herr Platz haben, und sie werden von einem Pferd gezogen. Der Herr hat die Ehre zu fahren, und sie bewegen sich erstaunlich schnell. Dame, Pferd und Schlitten sind so schön, wie sie nur sein können, und wenn viele zusammen sind, sieht es recht eindrucksvoll aus.

Das Opernhaus, vom letzten Kurfürsten erbaut, ist viel schöner als das in Wien. Es tat mir sehr leid, dass das schlechte Wetter mir nicht erlaubte, Herrenhausen in all seiner Schönheit zu erleben. Aber trotz des Schnees kamen mir die Gärten sehr schön vor. Besonders verwundert war ich über die große Anzahl an Orangenbäumen, alle viel größer als ich je welche in England gesehen habe, obwohl das Klima hier deutlich kälter ist. Noch Erstaunlicheres sah ich abends an des Königs Tafel: das Geschenk eines einheimischen Herrn, zwei große Körbe voller reifer Orangen und Zitronen verschiedener Arten, von denen mir viele neu waren. Und dazu, so viel wert wie alles andere zusammen, zwei Ananasfrüchte, die ich sehr köstlich finde. Du weißt, dass sie eigentlich in Brasilien wachsen, und ich konnte mir nur mit Zauberei erklären, dass sie hier erschienen. Auf meine Nachfrage sagte man mir, dass sie ihre Heizanlagen so vervollkommnet haben, dass sie den Sommer nach Belieben verlängern und so jeder Pflanze die Wärme geben können, die sie in heimatlicher Erde von der Sonne erhielte. So wächst sie hier wie dort, und ich wundere mich, dass wir in England diese nützliche Neuerung noch nicht eingeführt haben. Dabei frage ich mich, warum wir so darauf bestehen, lieber fünf Monate im Jahr vor Kälte zu zittern als Öfen zu benutzen, die ganz gewiss eine der großen Annehmlichkeiten des Lebens sind. Und dann ruinieren sie auch nicht das Aussehen der Räume, sondern verschönern sie noch, wenn sie bemalt und vergoldet sind wie in Wien oder wenn sie die Form von chinesischen Vasen oder Statuen haben oder wie ein kleiner Schrank aussehen wie in Dresden.

 

Montagu, Mary Wortly
Letters
London 1764
Übersetzung: U. Keller

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