Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1832 - George Catlin
Ein Fest mit den Sioux
Fort Pierre, South Dakota

 

Nach mehrtägigem beschwerlichem Wandern über die Prärie erreichten wir endlich das Fort Pierre, in dessen Umgebung ein Teil der Siouxnation unter sechshundert bis siebenhundert Zelten gelagert war, um das Dampfboot zu erwarten, von dessen Ankunft sie gehört hatten.
   Nachdem ich mich von den Beschwerden der Fußwanderung erholt, das Lager der Sioux besucht und diesen sowie den Herren M'Kenzie, Laidlaw und Halsey [Pelzhändlern] den Zweck meiner Reise mitgeteilt hatte, begann ich meine Arbeiten, indem ich zuerst den Häuptling Ha-wan-dschi-tah malte, ohne daß jemand im Lager etwas davon erfuhr. Als das Bildnis vollendet war, wurde es mehreren Häuptlingen und Doktoren [Medizinmännern] gezeigt; bald verbreitete sich die Neuigkeit im ganzen Lager, und alles strömte nun herbei, um das Bild zu sehen, so daß mir nichts anderes übrigblieb, als es vor der Hütte aufzuhängen. Durch ein Loch, das ich in meinen Wigwam machte, konnte ich wahrnehmen, welche Achtung sie vor ihrem Häuptling hatten, und auch hier erhielt ich den Namen „Medizinmaler“, Ih-tschah-su-kah-ga-wa-kon.
   Es entstand indes bald große Aufregung im Lager, indem die Doktoren dem Volk verkündigten, daß Unglück und frühzeitiger Tod denjenigen treffen würde, der sich einer so wunderbaren und unerklärlichen Operation unterziehe. Diese Prophezeiung erregte namentlich unter den Frauen und Kindern große Bestürzung, und sie erhoben ein Geschrei, das man gehört haben muß, um eine Vorstellung davon zu haben. Meine Arbeiten wurden dadurch mehrere Tage völlig unterbrochen; bis endlich der edle Häuptling sich an die anderen Häuptlinge, die Doktoren, Krieger und Weiber wandte und ihnen sagte, daß sie sich beruhigen und mich freundschaftlich benandeln möchten; ich sei weit hergekommen, um sie zu sehen und mit ihnen zu rauchen; ich sei jedenfalls große Medizin, ein großer Häuptling und ein Freund der Herren M'Kenzie und Laidlaw, die ihn bewogen hätten, sich malen zu lassen; er könne versichern, daß nichts Gefährliches dabei sei. Diese Rede hatte den gewünschte Erfolg; Hunderte ihrer Helden kamen auf mich zu und drückten mir die Hand, und mehrere fingen sogleich an, sich zu schmücken, um sich auch malen zu lassen.*
   Ich hatte nun wieder vollauf zu tun. Der erste, dessen Bildnis ich malte, war Ih-ah-sa-pa, der schwarze Fels, ein schöner, sechs Fuß großer Mann von der Horde Nih-cah-wih-dschi; er war sehr prächtig gekleidet und trug außer dem bis auf die Erde reichenden Kopfputz von Adlerfedern und Hermelinfellen auch die beiden Hörner, die ihn sogleich als den Führer seiner Horde im Krieg bezeichneten. Er war ein treuer Freund des Herrn M'Kenzie und anderer Pelzhändler, die ihn wegen seines ehrenwerten Charakters und seiner Tapferkeit hochschätzten. Sodann wurde Toh-kei-ih-to (der Stein mit Hörnern) gemalt; er war der Häuptling der Janctonhorde und galt als der beste Redner des Stammes. Hals, Brust und Schultern dieses Mannes waren so stark mit Pulver und Zinnober tätowiert, daß man in geringer Entfernung glaubte, er trage ein reich gesticktes Gewand. In der Hand hielt er eine schöne Pfeife, deren mehrere Fuß langer Stamm mit Schnüren von Stachelschweinstacheln umwunden war. Um den Körper trug er ein Fell des greulichen Bären und um den Hals mehrere Wampumschnüre, die man bei den Indianern im fernen Westen und im Norden selten findet. Während ich ihn malte, erzählte er dem Dolmetscher fortwährend von der wunderbaren Wirkung, die seine Beredsamkeit auf die Häuptlinge und das Volk seines Stammes zu verschiedenen Zeiten hervorgebracht habe.
   Ich malte auch zwei Frauen; die eine war die Tochter des oben genannten Häuptlings Schwarzfels. Beide standen bei den Pelzhändlern in solcher Achtung, daß ich auf den Wunsch des Herrn M'Kenzie von beiden Bildnissen Kopien anfertigen mußte, die in Herrn Laidlaws Wohnung aufgehängt wurden. Mehrere Jahre nachdem ich die Sioux verlassen hatte, berichteten mir die beiden Pelzhändler Chardon und Piquot in St. Louis folgendes: Eines Tages trat der Häuptling Schwarzfels plötzlich in das Zimmer des Herrn Laidlaw, in dem das Bildnis seiner Tochter hing, und erzählte tiefbewegt, daß, während er mit seiner Horde mehrere Monate in der Prärie beschäftigt gewesen sei, Büffel zu jagen, seine Tochter gestorben sei. »Mein Herz ist wieder froh«, sagte er, »wenn ich sie hier lebend sehe; ich bedarf jetzt ihres Bildes, das der Medizinmann gemacht hat und das jetzt hier vor mir ist, damit ich sie sehen und mit ihr sprechen kann. Meine ganze Horde trauert um sie, und an dem Tor deines Forts stehen zehn Pferde und Ih-ah-sa-pas Wigwam für dich, der, wie du weißt, der schönste im ganzen Stamm ist. Ich wünsche, daß du mir meine Tochter gibst.« Herr Laidlaw, der den Schmerz des Vaters um sein verlorenes Kind sah, hatte nicht den Mut, ihm seine Bitte abzuschlagen; er gab ihm das Bildnis und fügte hinzu, daß er die Pferde und den Wigwam auch wieder mit zurücknehmen möge, da das Bild mit Recht ihm gehöre.
   Das zweite weibliche Bildnis, das ich malte, stellte eine Frau dar, die sich durch ihr unübertrefflich schönes Haar auszeichnete, das weich und glänzend wie Seide war und in großer Fülle und in schönen Wellen über die Schultern herabfiel. Sie ist jetzt die Frau des oben erwähnten Franzosen Chardon.
   Das zweite weibliche Bildnis, das ich malte, stellte eine Frau dar, die sich durch ihr unübertrefflich schönes Haar auszeichnete, das weich und glänzend wie Seide war und in großer Fülle und in schönen Wellen über die Schultern herabfiel. Sie ist jetzt die Frau des oben erwähnten Franzosen Chardon. Er ist seit vielen Jahren als Pelzhändler und Dolmetscher im Dienst der amerikanischen Pelzcompagnie und hat hier wichtige Dienste geleistet. Ich erhielt von ihm einen schönen Anzug seiner Frau, den sie selbst verfertigt und getragen hat, für meine indianische Galerie zum Geschenk.
   Während ich die Häuptlinge und tapferen Krieger der Sioux malte, war mein Wigwam beständig von den Angesehensten des Stammes angefüllt, und meine Kunst, die für die größte Medizin erklärt wurde, bildete den ausschließlichen Gegenstand der Unterhaltung der Häuptlinge wie der Frauen und Kinder. Ich mußte alle nach ihrem Rang malen, denn sie betrachteten es als eine große Ehre, ihr Bildnis von mir anfertigen zu lassen. Es war indes ein Glück für mich, daß bei den meisten die Furcht stärker war als der Wunsch, dieser Auszeichnung teilhaftig zu werden, da es mir sonst wohl unmöglich gewesen wäre, alle zu befriedigen. Von fünf und selbst von acht war höchstens einer bereit, sich malen zu lassen; die übrigen meinten, sie würden nach dem Tod „ruhiger im Grabe schlafen“, wenn ihr Bild nicht gemalt sei.
   Als ich die Häuptlinge und Krieger gemalt hatte und nun erklärte, auch Frauen malen zu wollen, kam ich in große Verlegenheit, indem ich von dem ganzen Stamm, von Männern sowohl als Frauen herzlich ausgelacht wurde wegen meiner übermäßigen und ihnen unbegreiflichen Herablassung, da ich ernstlich beabsichtigte, eine Frau zu malen und dadurch dieser die gleiche Ehre wie den Häuptlingen und tapferen Kriegern zu erweisen. Diejenigen, die ich gemalt hatte, wurden von solchen, denen diese Auszeichnung nicht zuteil geworden war, tüchtig aufgezogen wegen der „sehr beneidenswerten Ehre“, die der große, weiße Medizinmann ausschließlich für sie bestimmt gehabt, nun aber auch auf die Frauen übertragen wolle.
   Die von mir Gemalten erklärten, daß, wenn ich Frauen und Kinder malte, ich ihre Bildnisse je eher je lieber zerstören möchte; ich hätte gesagt, ich bedürfte ihrer Bildnisse, um den weißen Häuptlingen die Ausgezeichnetsten und Würdigsten unter den Sioux zu zeigen; ihre Frauen und Kinder hätten aber niemals Skalpe erbeutet und nichts weiter getan, als Feuer gemacht und Häute gegerbt. Nachdem diese Angelegenheit noch vielfach besprochen worden und ich ihnen auseinandergesetzt, daß ich die Bildnisse der Frauen lediglich deshalb unter diejenigen ihrer Ehemänner aufhängen wollte, um zu zeigen, wie ihre Frauen aussähen und sich kleideten, ohne weiter etwas über sie zu sagen, gelang es mir endlich, einige Frauenbildnisse zu vollenden, unter denen sich auch die beiden im vorigen Kapitel erwähnten befanden.
   Die Eitelkeit der Männer, die sich malen ließen, übersteigt alle Vorstellung. Während in der zivilisierten Welt das fertige Bild gewöhnlich nicht weiter beachtet wird, liegt der Indianer vom Morgen bis zum Abend vor ihm, im Anschauen seiner schönen Züge versunken, und bewacht es sorgfältig, damit es keinen Schaden leide. Der Grund dieser Sonderbarkeit liegt in dem Glauben, daß das Bild einen gewissen Grad von Leben besitzt und daß seine Verletzung auf mystische Weise auch dem Leben des Originals nachteilig werden könne. Dies abergläubische Bewachen der Bildnisse, das ich unter allen von mir besuchten Indianerstämmen gefunden habe, war mir bei den noch nicht ganz trockenen Gemälden, die durch die neugierige Menge leicht beschädigt werden konnten, oft von großem Nutzen.
   In dieser Weise war ich mehrere Wochen eifrig mit meinem Pinsel beschäftigt gewesen, als eines Tages angezeigt wurde, daß das Dampfboot, den Fluß heraufkomme, und bald darauf hörten wir auch das Geräusch des Dampfes und den Donner der Kanonen. Die Aufregung unter den sechstausend Indianern, als das Boot bei ihrem Dorf vor Anker ging, war ungemein belustigend; als aber Herr Chouteau und der Major Sandford, ihr alter Freund und Agent, es verließen und ans Land kamen, gewannen sie ihr Vertrauen und ihren Mut wieder, und alle versammelten sich bei dem Boot, ohne weiter Erstaunen und Neugier zu zeigen.
   Die Ankunft des Dampfbootes war ein so außerordentliches Ereignis, daß mehrere Festlichkeiten deswegen veranstaltet wurden. Eines Tages wurde angekündigt, daß zur Feier der Ankunft der großen weißen Häuptlinge ein großes Festmahl stattfinden solle. Die beiden Häuptlinge Ha-wan-dschi-tah und Tschan-dih stellten ihre beiden Zelte in einem Halbkreis zusammen, in dem etwa hundertfünfzig Personen Platz hatten; die Herren Chouteau, Major Sandford, M'Kenzie und ich saßen in der Mitte auf erhöhten Sitzen, die Häuptlinge und Krieger dagegen zu beiden Seiten auf dem Boden. In der Mitte war eine Stange mit einer weißen Flagge und der Friedenspfeife errichtet als ein Zeichen ihrer freundschaftlichen Gesinnung gegen uns. Neben der Flaggenstange standen in einer Reihe sechs oder acht Kessel mit eisernen, dicht schließenden Deckeln, worin das für unser leckeres Mahl zubereitete Fleisch enthalten war, und neben diesen mehrere hölzerne Schüsseln, auf denen das Fleisch serviert werden sollte. Außerdem saßen noch drei Männer auf dem Boden, um die Pfeifen anzuzünden und die Speisen auszuteilen.
   Als alles gehörig vorbereitet war, erhob sich Ha-wan-dschi-tah, der erste Häuptling des Stammes, und richtete folgende Worte an den Major Sandford: »Mein Vater! Ich bin erfreut, dich heute hier zu sehen - mein Herz ist stets froh, meinen Vater zu sehen, wenn er kommt - unser großer Vater, der ihn hersendet, ist sehr reich, wir sind arm. Wir sind auch erfreut, unseren Freund M'Kenzie hier zu sehen. Unser Freund, der zu deiner Rechten sitzt, ist, wie wir alle wissen, sehr reich, und wir haben erfahren, daß ihm das große Medizinboot gehört; er ist ein guter Mensch und ein Freund der roten Männer. Unseren Freund, den weißen Medizinmann, der neben dir sitzt, kannten wir nicht - er kam als Fremder zu uns, und er hat mich sehr gut gemalt; alle Frauen wissen es und halten es für sehr gut; er hat viele merkwürdige Dinge getan, und wir sind alle mit ihm zufrieden - er hat uns viel Unterhaltung gewährt - wir wissen, daß er große Medizin ist. Mein Vater! ich hoffe, du wirst Mitleid mit uns haben; wir sind sehr arm - wir bieten dir heute nicht das Beste, was wir haben, denn wir haben einen großen Vorrat von Büffelhöckern und Mark - aber wir bringen dir unsere Herzen zu diesem Fest - wir haben unsere treuen Hunde geschlachtet, um euch damit zu speisen, und der Große Geist wird unsere Freundschaft besiegeln. Ich habe nichts mehr zu sagen.«
   Nachdem er diese Worte gesprochen, legte er seinen schönen Kopfputz von Adlerfedern, den Rock, die Beinkleider, das Halsband von Bärenklauen und die Schuhe ab, band alles sorgfältig zusammen und legte es nebst einer reich verzierten Pfeife als Geschenk vor dem Agenten nieder, worauf er in eine benachbarte Hütte ging, eine Büffelhaut umhängte und dann seinen Sitz wieder einnahm.
   Der Major Sandford dankte mit wenigen Worten für das wertvolle Geschenk und für die höfliche Art, mit der es dargebracht worden, und überreichte sodann Tabak und einige andere Dinge als Gegengeschenk. Nachdem noch mehrere andere Häuptlinge gesprochen und ebenfalls ihre Anzüge dem Major zu Füßen gelegt hatten, zündete einer von den erwähnten Männern seine Pfeife an und überreichte sie dem Häuptling Ha-wan-dschi-tah. Dieser nahm sie, richtete die Spitze gegen Norden, Süden, Westen und Osten, dann, mit den Worten: „Hau, hau, hau!“ gegen die Sonne, tat einige Züge und reichte sie dann, während er den Kopf in der einen, das Rohr in der anderen Hand hielt, jedem zürn Rauchen hin. Wenn die Pfeife gestopft und angezündet ist, so darf kein Wort gesprochen werden, bis der Häuptling daraus geraucht hat; geschieht es dennoch, und wäre es auch nur ein leises Flüstern, so wird die Pfeife augenblicklich weggeworfen und eine andere dafür genommen.
   Nachdem das Rauchen vorüber war, nahm man die Deckel von den Kesseln, und das darin befindliche Hundefleisch verbreitete einen ganz angenehmen Geruch. Vor jeden der weißen Gäste wurde eine große hölzerne Schüssel gestellt, worin sich eine ungeheure Menge Fleisch mit viel Brühe und ein Löffel aus Büffelhorn befand. Da wir wußten, welchen Wert die Indianer auf dieses ganze Fest legten, so waren wir genötigt, wenigstens etwas von diesem Fleisch zu genießen, worauf wir unsere Schüsseln zurückgaben. Nachdem das in den Kesseln befindliche Fleisch verzehrt war, entfernten sich alle, ohne ein Wort zu sprechen.
   Dies Fest hatte offenbar den Zweck, uns einen unzweideutigen Beweis ihrer Freundschaft zu geben, denn nach allem, was ich bei den von mir besuchten Stämmen gesehen habe, ist das Hundefest eine religiöse Feierlichkeit. Der Hund wird bei allen Indianern weit höher geschätzt als in der zivilisierten Welt. Beide sind unzertrennliche Gefährten, und auf den Felsen wie auf ihren Wappenschildern ist der Hund das Sinnbild der Treue; aber dennoch wird der Indianer seine treuen Begleiter, wenn auch mit Tränen im Auge, zum Opfer bringen, um dadurch seine Aufrichtigkeit in der Gesinnung zu beweisen, da ein Gastmahl von Wild oder Büffelfleisch etwas Gewöhnliches ist, was jedem gereicht wird, der eine indianische Hütte betritt.
   Das Hundefleisch war sehr gut gekocht, und wir hätten auch gewiß davon gegessen, wenn wir hungrig gewesen wären und nicht gewußt hätten, was es war. Dieser Gebrauch findet sich, wie ich glaube, bei allen Stämmen Nordamerikas, und man opfert den Hund oder das Pferd, und zwar das Beste, was man von beiden hat, um gewisse Geister oder Gottheiten zu versöhnen.
   
Catlin, George
Die Indianer Nordamerikas
Berlin 1924; Nachdruck 1979

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