Um 1165 - „Rabbi“ Benjamin von Tudela
Konstantinopel
Constantinopel hat 18 Meilen im Umfange und besteht aus zwei Hälften, von denen die eine vom Meer umspült wird, die andere auf dem Festlande liegt. Zwei Meerarme, der eine aus Rußland kommend, der andere aus Spanien begegnen sich hier. Kaufleute aus Babylonien, aus ganz Mesopotamien, Palästina, Medien, Persien, ganz Ägypten, Rußland, Ungarn, Pestinkie und Budia, Lombardien und Spanien finden sich hier ein und verursachen ein ungeheures Getümmel, so daß mit Ausnahme von Bagdad keine Stadt weiter dieser gleich kommt. Hier findet sich der Tempel der Sophia und der Papst der Griechen, die mit der Religion des römischen Papstes nicht zusammenstimmen. Heiligthümer gibt es hier so viele als Tage im Jahre. Die Kirchenschätze betragen eine unzählbare Summe Geldes, welche von allen Gegenden hier in Thürmen und festen Plätzen aufgehäuft werden wie nirgendwo anders auf Erden. Im Innern des Tempels sieht man goldene und silberne Säulen und unzählbare Candelaber. Auch sieht man hier einen Platz, wo der König den Schauspielen beiwohnt, anstoßend an seine Residenz, Hippodrom genannt, woselbst er jedes Jahr am Geburtstage Jesu des Nazareners ein großes Schauspiel aufführen läßt. Auch werden hier vor dem König und der Königin vorgestellt alle Arten des Menschengeschlechts mit allen Arten von Zauberei, sowie Löwen, Bären, Pardel [Leoparden], wilde Esel und auch Vögel zum gegenseitigen Kampfe vorgeführt – ein Schauspiel, was nirgends [sonst] zu sehen ist. Der König Manuel hat auch, außer dem Palast seiner Vorgänger, sich noch einen solchen am Meer gebaut, Blacherna genannt, und die Säulen und deren Schmuck mit reinem Gold und Silber überzogen und darauf die früheren Kriegsthaten sowie die seinigen eingraben lassen. Sein Thron daselbst ist aus Gold und Edelsteinen; über dem Throne hängt an einer goldenen Kette eine goldene Krone herab vom gleichen Umfang wie der Thronsessel, mit Edelsteinen von unschätzbarem Wert bedeckt, deren Feuer auch Nachts ohne eine Lampe des Königs Gemach erleuchtet.
In diese Stadt fließt alles Einkommen aus dem ganzen griechischen Reiche zusammen, womit Thurmgewölbe angefüllt werden; wozu noch seidene Purpurgewänder und Gold kommen. Gebäude und Schätze dieser Art und in diesem Maaße kann man [sonst] nirgends finden. Die Zahlungen, welche nur die Stadt angehen, theils aus der Vermietung der Gasthöfe, theils aus dem Verkauf von Marktplätzen, theils aus den Kaufwarenzöllen, sollen täglich 20.000 Goldstücke betragen. Übrigens sind die Stadtbewohner sehr reich an Gold und Edelsteinen, tragen seidene Unterkleider und darüber goldgewirkte buntfarbige Gewänder, so daß sie zu Pferde den königlichen Prinzen gleichen.
Die Umgegend ist eben, reich an den kostbarsten Früchten, überfließend von Brod, Fleisch und Wein, wie es nirgends [sonst] so vorkommt. Die Bürger sind auch in der griechischen Literatur gut bewandert und essen und trinken jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum. Aus allen fremden Nationen, die sie Barbaren nennen, miethen sie sich Soldaten, die mit dem Sultan, dem König der Turkomannen, auch Türken, Krieg führen müssen; indem sie selber ohne Kriegsmuth eher Weibern gleichen. In der Stadt aber wohnen keine Juden, die über den Meeresarm hinübergewiesen sind, so daß sie auf Schiffen kommend, Handel mit den Städtern führen können. Dort finden sich 2.000 rabbanitische Juden und 500 karaitische, zwischen deren Schülern eine Scheidewand aufgeführt ist. Nebst berühmten Lehrern finden sich unter den Juden Seidenarbeiter, Kaufleute und Banquiers. Keinem Juden ist es erlaubt zu reiten, ausgenommen den R. Salomon, Leibarzt des Königs von Ägypten, durch welchen die Juden in ihrer Verbannung großen Trost gewinnen. Am meisten haben die Juden von den Gerbern auszustehen, die ihr Schmutzwasser vor die Thüren der Juden hinschütten und sie verunreinigen. Ohne Unterschied sind sie den Griechen verhaßt, die die ganze Welt gegen sie aufreizen, auf den Straßen sie schlagen und in harter Sklaverei sie halten. Doch sind die reichen Juden rechtschaffen, barmherzig und halten strenge am Gesetze, mitten im Elend der Verbannung. Der Wohnort der Juden heißt Pera.
Tudela, Benjamin von
Reisetagbuch
Übersetzt von Adam Martinet
Berlin 1918