Um 1755 - Olaudah Equiano
Verschleppt auf ein Sklavenschiff
Irgendwo an der Bucht von Bonny, Nigeria
Der erste Gegenstand, der sich meinen Augen darstellte, als ich an die Küste kam, war die See, und ein Sklavenschiff, das gerade vor Anker lag und auf seine Ladung wartete. Dieser Anblick erfüllte mich mit Erstaunen, das bald in Schrecken verwandelt wurde. Vergebens versuche ich diese Empfindung und den darauf folgenden Zustand, in dem sich meine Seele befand, als ich an Bord gebracht wurde, zu beschreiben.
Es kamen sogleich einige von dem Schiffsvolke auf mich zu und untersuchten auf die unsanfteste Art, ob ich gesund sei. Ich war überzeugt, daß ich in eine Welt böser Geister gekommen sei, welche die Absicht hätten, mich umzubringen. Ihre Gesichtsfarbe, die so sehr von der unsrigen verschieden war, ihr langes Haar und ihre Sprache, die mit keiner, welche ich bisher gehört hatte, nur die geringste Ähnlichkeit hatte, bestätigte mich in diesem Glauben. Wahrhaftig, das, was ich in diesem Augenblick sah und was ich fürchtete, setzte mich in einen solchen Schrecken, daß, wenn zehntausend Welten mein eigen gewesen wären, ich von Herzen gern alle hingegeben hätte, um meine Lage mit dem geringsten Sklaven in meinem Vaterlande zu vertauschen. Da ich auf dem Schiffe um mich her schaute und einen großen kochenden Kessel und eine Menge Schwarze aller Arten sah, die zusammengekettet waren und durchaus den Ausdruck von Angst und Schmerzen im Gesichte hatten, so zweifelte ich nicht länger an meinem Schicksal, und überwältigt von Furcht und Schrecken sank ich ohnmächtig auf das Verdeck nieder.
Als ich wieder etwas zu mir selbst kam, sah ich einige Schwarze um mich her stehen, die wahrscheinlich mich an Bord gebracht und dort ihre Bezahlung bekommen hatten. Sie sprachen mit mir und suchten mich aufzumuntern, aber vergebens. Ich fragte sie, ob wir von diesen weißen Menschen mit fürchterlichen Blicken, roten Gesichtern und langen Haaren gegessen werden sollten. Sie sagten mir, wir hätten dies nicht zu fürchten, und einer von den Leuten des Schiffes brachte mir in einem Weinglas etwas Branntwein; allein ich fürchtete ihn zu sehr, als daß ich ihm das Glas hätte aus der Hand nehmen können. Einer von den Schwarzen nahm es daher und gab es mir. Ich kostete einige Tropfen, aber statt dadurch gestärkt zu werden, wie sie glaubten, machte mich der fremde Geschmack (denn ich hatte nie vorher ein solches Getränk über meine Zunge gebracht) äußerst verwirrt und bange.
Bald darauf gingen die Schwarzen, die mich an Bord gebracht hatten, davon und überließen mich meiner Verzweiflung.
Jede Möglichkeit, nach meinem Vaterlande zurückzukehren, war nun verschwunden. Nicht einmal der kleinste Funke von Hoffnung, an das Ufer zu kommen, das mir jetzt so freundlich deuchte, blieb mit über, und vergebens wünschte ich, gegen meine vorige Sklaverei meine gegenwärtige Lage zu vertauschen, in der das Heer von Schrecknissen aller Art, die mich umgaben, durch die Unwissenheit dessen, was mit noch bevorstand, fürchterlich vergrößert wurde.
Doch man ließ mich nicht lange meinem Grame nachhängen. Ich wurde bald unter das Verdeck gebracht, wo mir zum ersten Willkomm ein Gestank entgegenkam, dergleichen ich in meinem Leben nicht empfunden hatte. War ich vorher durch Weinen schwach geworden, so wurde ich jetzt durch diesen abscheulichen Geruch noch übler, so daß ich weder imstande war zu essen, noch auch die geringste Lust dazu hatte. Ich rief nun den letzten Freund, den Tod, als meinen Retter an; bald aber kamen zwei Weiße und boten mir etwas zu essen. Ich weigerte mich es zu nehmen, und nun hielt mich einer fest bei den Händen, legte mich über die Winde, so viel ich mich erinnere, und band mir die Füße, indes der andere mich unbarmherzig peitschte. Dies war das erste Mal, daß ich mich so behandelt sah, und so sehr ich das Wasser als ein mir ganz neues Element fürchtete, so wäre ich dich gern hineingesprungen, wenn ich über die Stricknetze hätte kommen können. Auch gab das Schiffsvolk sehr genau auf uns, die wir nicht an das Verdeck angekettet waren, Acht, und verschiedene arme afrikanische Sklaven, die einen Versuch machten, über Bord zu springen, wurden grausam dafür gehauen. Ebenso wurden sie auch, wenn sie nicht essen wollten, alle Stunden gepeitscht. Dies widerfuhr auch mir verschiedene Male.
Kurze Zeit nachher fand ich unter den armen angeschlossenen Leuten einige von meinem Volk, und dies machte mich etwas ruhiger. Ich fragte sie, was man mit uns anfangen würde. Sie sagten mir, wir würden in das Land dieser weißen Leute geführt werden, um für sie zu arbeiten. Dies gab mir wieder einigen Mut; wenn nichts Schlimmeres dir bevorsteht als arbeiten, dachte ich, ist deine Lage nicht so verzweifelt. Doch fürchtete ich noch immer, man würde mich umbringen, so wild kam mir das Aussehen und Betragen der weißen Leute vor; denn bei keinem Volk hatte ich noch Beispiele einer so viehischen Grausamkeit gesehen. Diese äußerste sich auch nicht bloß gegen uns Schwarze, sondern selbst gegen einige Weiße. Einmal sah ich, als wir eben auf dem Verdeck sein durften, einen Weißen am Fockmast mit einem dicken Strick so grausam gepeitscht werden, daß er davon starb. Und ohne Umstände wurde er wie ein Vieh über Bord geschmissen. Dies machte, daß ich diese Leute noch weit mehr fürchtete, und mir stets vorstellte, man würde es mit mir ebenso machen.
Ich konnte nicht umhin, meine Besorgnisse gegenüber einigen meiner Landsleute zu äußern. Ich fragte sie, ob diese Leute kein Vaterland hätten, und in dieser Höhle (dem Schiff) wohnten. Man antwortete mir, ihr Wohnort wäre dies nicht, sondern sie kämen von einem fernen Lande her. „Aber“, sagte ich, „wie kommt es, daß wir in unserem Lande nie etwas von ihnen hörten?“ Weil sie so weit von uns wohnten, war die Antwort. Ich fragte dann, wo ihre Weiber wären, und ob sie welche hätten, die ebenso aussähen wie sie. Man sagte mir, sie hätten welche. „Und warum“, sagte ich, „ sehen wie sie nicht?“ Weil sie zurückgelassen wären, antwortete man mir. Ich fragte, wie das Schiff gehen könne. Darüber konnten mir meine Landsleute keine Auskunft geben. Sie sagten mir bloß, es würde vermittelst der Stricke, die ich sähe, Tuch an die Maste gehängt, und dann ginge das Schiff fort. Auch hätten die weißen Menschen ein geheimes Zaubermittel, das sie in das Wasser würfen, wenn sie wollten, daß das Schiff halten solle. Ich hörte dies alles mit dem größten Erstaunen und glaubte wirklich, die Weißen wären Geister. Ich wünschte daher umso mehr, von ihnen loszukommen, denn ich erwartete, sie würden mich opfern; aber meine Wünsche waren vergebens, wir waren so gut verwahrt, daß es keinem von uns möglich war zu entwischen.
So lange wir an der Küste blieben, waren wir gewöhnlich auf dem Verdeck, und eines Tages sah ich zu meiner höchsten Verwunderung eins von diesen Schiffen mit aufgespannten Segeln ankommen. Sobald die Weißen es gewahr wurden, erhoben sie ein so lautes Geschrei, daß wir uns darüber entsetzten, und das umso mehr, da das Schiff immer größer wurde, je näher es kam. Endlich warf es den Anker aus, und nun blieb es zu meinem und meiner Landsleute größten Erstaunen stehen; wir waren nun überzeugt, daß dies durch Zauberei geschähe.
Bald darauf setzte das andere Schiff seine Boote aus. Die neu Angekommenen kamen zu uns an Bord, und die Leute von beiden Schiffen schienen sehr froh zu sein, einander zu sehen. Einige von den Fremden drückten auch uns Schwarzen die Hände und machten uns Zeichen, die wir aber nicht verstanden. Wahrscheinlich wollten sie uns sagen, wir würden nun bald in ihr Land kommen.
Endlich, als unser Schiff seine ganze Ladung hatte, machten sie sich mit fürchterlichem Lärm zur Abreise fertig, und wir wurden unter das Verdeck gebracht, so daß wir nicht sehen konnten, wie das Schiff regiert wurde. Doch dies war mein geringstes Leiden. Der Gestank des Raumes war schon so lange wir an der Küste lagen, so unausstehlich, daß es gefährlich war, sich längere Zeit darin aufzuhalten, und einige von uns hatten deshalb die Erlaubnis, auf dem Verdeck an der frischen Luft zu sein; aber nun, da die ganze Ladung zusammengesperrt
wurde, war er vollkommen pestilentialisch. Man denke sich die Hitze des Klimas und den kleinen engen Raum, in den eine Menge Menschen so dicht zusammengepropft waren, daß man sich kaum umdrehen konnte, und beinahe ersticken mußte. Die starke Ausdünstung, die daher entstand, erfüllte die Luft mit einem solchen Schwalle ekelhafter Gerüche, daß sie zum Einatmen ganz untauglich war und unter den Sklaven Krankheiten einrissen, an denen viel starben und Opfer des unklugen Geizes ihrer Käufer wurden. Was diese elende Lage noch vermehrte, war der Druck der Ketten, die nun unerträglich wurden, und die Unreinlichkeit der Abtritte, in welche die Kinder oft hineinfielen und beinahe erstickten. Das Angstgeschrei der Weiber und das Ächzen der Sterbenden machte das Ganze zu einer Szene des Schreckens, die man sich gar nicht vorstellen kann.
Equiano, Olaudah
Olaudah Equiano’s oder Gustav Wasa’s des Afrikaners merkwürdige Lebensgeschichte, von ihm selbst geschrieben
Göttingen 1792