1860 - Heinrich Brugsch
Einzug der preussischen Gesandtschaft in Täbris
Iran
In nördlicher Richtung vor der Stadt, deren Name die modernen persischen Etymologen von täb „Fieber“ und rikhten, riz „zerstreuen, vertreiben“, also gleichsam fiebervertreibend, ableiten, fließt ein tschai oder Fluß, der mittels einer Brücke echt persischen Stiles überwunden wird. Dieselbe besteht aus einem aufsteigendem Damme, aus der eigentlichen hoch gelegenen Brücke mit Bogen und einem abwärts ziehenden Damme, alles mit Geländern versehen, roh aus Feldsteinen ausgeführt und entsetzlich schlecht gepflastert. An den Enden der Brücke stehen je zwei turmähnliche Pfeiler mit kuppelartiger Oberwölbung. Man dankt Gott, wenn man zu Pferde sitzend eine solche Brücke im Rücken hat. Gewöhnlich vermeidet man sie aber am besten, wenn man quer durch das Wasser reitet.
Am anderen Ende der Brücke hatten sich die Großen der Stadt und ihre Diener, alle beritten, aufgestellt, um Herrn Baron von Minutoli [Leiter der Gesandtschaft] im Namen des Schahzadeh und Hakim oder Gouverneurs von Täbris feierlichst zu begrüßen. Der Gesandte mußte zu allererst sein bequemes Reitpferd verlassen, auf ein haushohes Ehrenpferd turkomanischer Rasse klettern und auf ungewohntem Sattel seinen Sitz nehmen. Ein großes persisches Zelt, auf einem aufgewühlten Ackerboden aufgeschlagen, bezeichnete das nächste Ziel unserer Reise. Man stieg ab, wohl an hundert Pferde hielten vor dem Zelte. Im Innern desselben war ein prinzliches Gastgeschenk aufgestellt: Zuckerhüte, Zuckerfladen, Tee und vieles andere, womit man einen europäischen Cafetier zu beglücken imstande gewesen wäre. Auf etwa zwanzig Stühlen persischer Konstruktion, das heißt so eingerichtet, daß man bei einigermaßen festem Sitze mit dem Mittelstück des Stuhls durchbricht, nahmen Europäer und Perser Platz. «Khosch omedid! Zechmet keschidid!» — «Seid willkommen! Ihr habt euch Mühe bereitet!» tönte es von den Persern allerseits entgegen. «Kheir!» - «Im Gegenteil!» wurde geantwortet -«Rahmet bud» — «es war Erholung!» Der ganze blumenreiche Schatz persischer Phraseologie wurde gründlich ausgebeutet und zwischen den Wortblumen Kaliun [Wasserpfeife], Tee, Zuckerwerk, Limonade herumgereicht.
Unter den anwesenden Persern glänzte als Stern erster Größe ein Sartip oder General, welcher an der Spitze des Artilleriewesens stand. Wir erhielten durch seine Güte Kunde, daß im Falle eines Krieges Persien eine Million Soldaten auf die Beine zu stellen imstande sei und daß die Zeughäuser zur Bewaffnung einer so imposanten Macht vollständig ausgerüstet seien. Diese Angabe, aus so lauterer Quelle geflossen, mußte billigerweise einen hohen Begriff von der persischen Macht gewähren, und uns vorbereiten, Wunderdinge im Innern des iranischen Reiches kennen zu lernen.
Ein chaldäischer Christ, der ausgezeichnet gut und schnell die französische Sprache beim Dolmetschen anwandte, standaufrecht in der Versammlung unter dem Zelte, natürlich auf Strümpfen wie die übrigen persischen Offiziere und Zivilbeamte, welche den Istakbal dirigierten und nicht wußten, wie sie auf den Stühlen ihre Füße verbergen sollten. Es gilt nämlich bei den Persern für einen Verstoß gegen gute Sitte und Anstand, in Gegenwart eines Vornehmen die unteren Extremitäten zur Schau zu stellen.
Nachdem Herrliches gesprochen und erwidert worden war, fand eine allgemeine Erhebung statt. Aufs neue wurden die Pferde bestiegen, und der Einzug in die Stadt nahm seinen Anfang. Die Sonne brannte sengend heiß, der Staub wirbelte in dichten Wolken empor und verhüllte den Zug wie dichter Nebel.
Der Anblick der Straßen und Häuser von Täbris war niederschlagend. Von der großen Stadt liegt etwa die Hälfte in Schutt und Trümmern da. Erdbeben, die sich in Täbris häufig wiederholen, die Hand des Menschen, Krieg, der Zahn der Zeit, mit einem Worte jede nur denkbare Ursache der Zerstörung hat dazu beigetragen, einen so beträchtlichen Teil der Stadt in traurige Trümmerhaufen umzugestalten. Die Straßen, meist sehr eng und winklig, bieten ein abschreckendes Bild orientalischer Liederlichkeit dar. Schmutz und Unrat in Löchern und Pfützen, Pflastersteine, die des Schicksals Tücke nach Orten befördert hat, wohin sie gar nicht gehören, Hunde und Aas, alles liegt chaotisch durcheinander, daß man genötigt ist, die Augen mehr nach dem Erdboden, als auf die Umgebung zu richten. Die Häuser, eigentlich nur hohe Erdmauern mit kleinen Türöffungen, laufen in gewundenen Linien nach allen Richtungen hin und geben den Straßen von Täbris wie überhaupt allen persischen Städten ein sehr häßliches Ansehen. Hier und da stecken Kinder und tief verhüllte Weiber den Kopf neugierig über die Mauer hinweg, um den Einzug der preußischen Gesandtschaft genauer in Augenschein zu nehmen.
Wir mußten in Sonne und Staub, inmitten unruhiger und tobender Pferde, wohl über eine Stunde reiten, ehe wir den Ort unseres nächsten Aufenthaltes erreicht hatten. Beinahe außerhalb der Stadt liegt ein großer Obstgarten, der gerade in voller Blüte stand, in seiner Mitte hinter einem großen Wasserbecken mit invalidem Springbrunnen, ein Lustschloß des Schah, aus den Zeiten Feth-Ali-Schahs herrührend. Unter dem Donner von Geschützen, die in der Ark oder Zitadelle von Täbris abgefeuert wurden, zogen wir in den Obstgarten ein, höchlichst erfreut, den Fuß aus dem Bügel zu heben, um in gemächlichen Räumen der Ruhe und Erholung zu pflegen.
Leider wurde diese wohlberechtigte Hoffnung durch weitere endlose persische Zeremonien vereitelt. Wir hatten nämlich mühsam die kleine Treppe erklettert, welche zum Hauptsaal des königlichen Palastes führte, waren kaum in den großen, buntbemalten und mit Spiegelscheiben besetzten Saal getreten, der uns als Quartier dienen sollte, als sich in großen Maßstabe alle jene Szenen erneuerten, die wir bereits in kleinen Portionen in den Standquartieren unserer Reise bis Täbriz sattsam genug durchgekostet hatten. Auf den von Motten zerfressenen Filzteppichen, mit denen der Boden des Saals in allen möglichen Richtungen bedeckt war, hatte man gewaltige Zuckerhutladungen, Kandismassen, Teepakete, Zuckerwerk aller Art und vieles andere, welches der Gouverneur von Täbris als Gastgeschenk dargeboten hatte, aufgespeichert. Ringsherum waren Stühle aufgestellt, auf welchen die vornehmeren Perser unserer Begleitung Platz nahmen; wer keinen Platz fand, kniete nach persischer Sitte auf den Fußt nieder; die Ferraschen des Gouverneurs und sonstige Diener des Trosses standen in der Nähe der Tür. Neue Anreden, Komplimente, Begrüßungen, Beglückwünschungen, Beteuerungen!
Wir hatten mit Gottes Hilfe endlich die nötige Einsamkeit und Ruhe erreicht, um uns wieder in den richtigen Seelenzustand zu versetzen. Hin und wieder störte freilich die Ankunft eines Persers mit einem Lamm unter dem Arme, oder einer Schachtel mit Zuckerwerk in der Hand, die er als Zeichen der Hochachtung seitens seines Herrn dem Baron v. Mintoli präsentierte. Natürlich blieb er angesichts des Kurban so lange auf dem Platze, bis er für das Pischkesch ein besonders Enam erreicht hatte. Sollte es gestattet sein, die glühenden Bewunderer Preussens unter den Persern in Täbriz nach dem empfangenen Zuckerhüten und nach den gespendeten Tomans der Zahl nach anzugeben, so möchten zweihundert opferfreudige Seelen sehr gering angeschlagen sein.
Die Besuche und Gegenbesuche, vor allen die feierliche Audienz beim Hakim von Täbris, dem Schahzadeh Bahram Mirza, zu schildern, wird man uns gern erlassen.
Brugsch, Heinrich
Reise der k. preussischen Gesandtschaft nach Persien 1860 und 1861
Band 1, Leipzig 1862