1253 - Wilhelm von Rubruk
Über die Tataren
Überall zwischen „Donau und Sonnenaufgang“
So gut wie ich vermag, will ich Euch ihre Sitten und ihre Lebensweise schildern. Nirgends haben sie eine feste Siedlung, noch wissen sie vorher ihren nächsten Aufenthaltsort. Skythien, das Land von der Donau an bis nach Sonnenaufgang, haben sie unter sich aufgeteilt. Jeder Häuptling kennt je nach der größeren oder kleineren Zahl seiner Untertanen die Grenzen seines Weidelandes und weiß, wo er im Winter und Sommer, Frühling und Herbst weiden muß. Denn im Winter ziehen sie mehr nach Süden in wärmere Gegenden, im Sommer suchen sie den Norden auf und kühlere Gegenden. Wasserlose Weideplätze suchen sie im Winter auf, wenn Schnee dort liegt. Diesen nehmen sie an Stelle von Wasser. Ihr Schlafzelt errichten sie auf einem kreisförmigen Rahmen aus Rutenflechtwerk. Die Streben bestehen aus Zweigen, die nach oben in einem kleinen Reifen zusammenstoßen. Darüber erhebt sich ein Kragen gleichsam als Schornstein. Dies Gerüst bedecken sie mit weißem Filz. Häufig tränken sie noch den Filz mit Kalk oder weißer Erde und Knochenpulver, damit er heller glänzt. Zuweilen nehmen sie dazu auch schwarzen Filz. Rings um den Schornstein verzieren sie den Filz mit allerhand schönen Bildern. Vor den Eingang hängen sie ebenfalls Filz, der mit Stickereiarbeit geschmückt ist. Denn sie besticken den gefärbten oder auch anderen Filz mit Darstellungen von Weinstöcken, Bäumen, Vögeln und wilden Tieren. Diese Zelte bauen sie so groß, daß sie zuweilen eine Breite von dreißig Fuß haben. Ich habe nämlich einmal die Breite zwischen den Räderspuren eines Wagens mit zwanzig Schritt gemessen, und, als das Zelt dann auf dem Wagen stand, ragte es auf jeder Seite noch mindestens fünf Fuß über die Räder hinaus. Vor einem Wagen zählte ich zweiundzwanzig Ochsen, um ein Zelt zu ziehen, elf in einer Reihe breit vor dem Wagen und die elf anderen davor. Die Wagenachse war von der Größe eines Schiffsmastes, und ein Mann stand im Eingang des Zeltes auf dem Wagen und lenkte die Ochsen. Ferner verfertigten sie sich aus gespaltenen dünnen Ruten viereckige Behälter von der Gestalt einer großen Kiste. Darüber errichten sie aus ebensolchen Ruten ein Schutzdach, machen am vorderen Ende einen kleinen Eingang und bedecken darauf diesen Kasten oder, wenn man will, auch kleinen Wohnraum mit schwarzem Filz, der mit Talg oder Schafsmilch getränkt ist und so gegen Regen schützt. Sie schmücken ihn ebenfalls mit Stickereiarbeit und benutzen solche Truhen zur Aufbewahrung ihres gesamten Hausgeräts und ihrer Wertgegenstände. Sie befestigen sie auf hohen Wagen, die von Kamelen gezogen werden und so auch Flüsse überschreiten können. Sie nehmen diese Kisten niemals von den Wagen herab.
Wenn sie ihre Wohnzelte von den Karren herunterstellen, dann kehren sie den Eingang stets nach Süden. Zu beiden Seiten des Zeltes fahren sie danach ihre Wagen mit den Vorratskisten auf in einer Entfernung von einem halben Steinwurf, so daß das Zelt zwischen zwei Wagenreihen zu stehen kommt, gleichsam zwischen zwei Mauern. Die Frauen verfertigen sich sehr hübsche Wagen, die ich Euch nur mit einer bildlichen Darstellung zu beschreiben vermöchte. Und alles würde ich Euch abgemalt haben, wenn ich es gekonnt hätte. Ein reicher Mongole oder Tatare besitzt wohl hundert bis zweihundert solcher Vorratswagen. Baatu hat sechsundzwanzig Frauen, und jede von ihnen hat ein großes Zelt. Die anderen kleinen sind dabei nicht mitgerechnet, die hinter dem großen aufgestellt werden und gleichsam als Kammern dienen, in denen die Mädchen wohnen. Zu einem jeden dieser Zelte gehören zweihundert Karren. Wenn sie ihr Zeltlager errichten, dann erhält die erste Frau ihren Platz an der westlichen Seite für ihr Zelt, danach folgen die anderen der Reihe nach bis zum Zelt der letzten Frau auf der östlichen Seite mit je einem Zwischenraum von einem Steinwurf. Ein solches Zeltlager eines reichen Mongolen sieht aus wie eine große Stadt, obwohl nur sehr wenige Männer sich darin aufhalten. Eine junge Frau vermag zwanzig bis dreißig Karren zu führen, da das Land so flach ist. Die mit Ochsen oder Kamelen bespannten Wagen verknüpfen sie hintereinander; auf dem vordersten sitzt eine junge Frau zum Lenken des Ochsen, und alle anderen Gefährte rücken in gleichem Schritte nach. Wenn man an eine schlechte Wegstelle kommt, dann lösen sie die Wagen voneinander und führen sie einzeln hindurch. Langsam nur kommen sie vorwärts, gerade wie ein Schaf oder ein Ochse ausschreiten kann.
Wenn sie das Zelt mit dem Eingang nach Süden aufgestellt haben, dann errichten sie das Lager des Herrn auf der Nordseite. Der Frauensitz ist immer auf der Ostseite, d. h. links vom Lager des Hausherrn, der von seinem Sitze aus nach Süden schaut. Der Platz für die Männer ist auf der Westseite, also rechts vom Hausherrn. Niemals würden die eintretenden Männer ihren Köcher auf die Frauenseite hängen. Über dem Kopfe des Herrn hängt an der Wand ein Bild aus Filz ähnlich wie eine Puppe oder kleine Statue. Sie nennen dies den Bruder des Herrn. Eine gleiche Puppe befindet sich über dem Kopfe der Herrin, als deren Bruder bezeichnet. Und zwischen diesen beiden hängt etwas höher eine kleinere und schmächtigere, gleichsam als Hüterin des ganzen Hauses. An ihre rechte Seite, zu Füßen des Lagers auf erhöhtem Ort legt die Hausherrin ein kleines Ziegenfell, das mit Wolle oder etwas Ähnlichem gefüllt ist; daneben stellt sie eine kleine Puppe, die auf die Dienerinnen und Frauen blickt. Neben dem Eingang auf der Frauenseite ist ebenso eine andere Puppe mit einem Kuheuter für die Frauen, welche die Kühe melken. Es ist nämlich die Aufgabe der Frauen, die Kühe zu melken. Auf der anderen Seite des Eingangs, auf der Männerseite, ist eine andere Puppe mit einem Stuteneuter für die Männer, die die Stuten melken.
Sobald sie zum Trinken beisammen sind, opfern sie zunächst von ihrem Getränk dem über dem Kopfe des Hausherrn hängenden Bilde, dann den anderen der Reihe nach. Hierauf verläßt der Schenk das Zelt mit Becher und Trank und opfert dreimal nach Süden zu unter jedesmaligen Kniebeugen dem Feuer, ebenso nach Osten der Luft, nach Westen dem Wasser und nach Norden den Toten. Wenn der Hausherr nun den Becher in der Hand hält und trinken will, so gießt er zunächst davon etwas auf die Erde. Ebenso, wenn er zu Pferde sitzt und trinken will; dann besprengt er zuvor den Hals oder die Mähne des Pferdes. Nachdem nun der Schenk so nach allen Himmelsrichtungen geopfert hat, kehrt er ins Zelt zurück. Dort sind zwei Diener bereit mit zwei Bechern und zwei Schalen. Sie bringen das Getränk dem Hausherrn und seiner Frau, die neben ihm auf dem Lager sitzt. Und wenn er mehrere Frauen hat, so sitzt am Tage die neben ihm, die zur Nacht bei ihm schläft. Alle anderen müssen an diesem Tage in ihr Zelt zum Trinken kommen. Daselbst hält man die Sitzung ab an diesem Tage, und alle Geschenke, die an diesem Tage einkommen, wandern in den Schatz jener Frau. Eine Bank mit einem Schlauch voll Milch oder mit einem anderen Getränk und mit Bechern steht am Eingang.
Im Winter brauen sie sich ein sehr gutes Getränk aus Reis, Hirse, Weizen, Honig; es ist klar wie Wein. Letzterer wird ihnen aus entfernten Gegenden zugebracht. Im Sommer trinken sie nur Kosmos [Pferdemilch]. Er ist immer im Zelt vorhanden, gleich am Eingang steht er. Daneben steht ein Zitherspieler mit seiner kleinen Zither. Unsere großen Zithern und Geigen sah ich dort nicht, aber viele andere Instrumente, die es nicht bei uns gibt. Wenn der Herr zu trinken anfängt, dann ruft laut einer der Diener: „Ha!“, und der Spieler schlägt in seine Zither. Bei einem großen Festgelage klatschen dann alle in die Hände und tanzen sogar nach der Melodie: die Männer vor dem Herrn und die Frauen vor der Herrin. Ist der Herr fertig mit Trinken, dann ruft der Diener wie zuvor, und der Spieler verstummt. Hierauf trinken alle im Umkreis, Männer und Frauen, und manchmal trinken sie um die Wette, unbesonnen und unmäßig. Wenn sie jemanden zum Trinken auffordern wollen, packen sie ihn bei den Ohren und ziehen ihn kräftig daran, um ihm gleichsam die Kehle weit zu machen, und sie klatschen und springen um ihn herum. Wenn sie jemandem ein rechtes Vergnügen bereiten wollen, dann nimmt einer einen vollen Becher, zwei andere begleiten diesen, je einer rechts und links von ihm, und so begeben sich alle drei singend und tanzend zu jenem, dem sie den Becher darbringen wollen. Wenn aber dieser seine Hand ausstreckt, den Becher in Empfang zu nehmen, dann schnellen sie plötzlich zurück, kommen wieder wie zuvor, und so narren sie ihn drei- oder viermal, indem sie jedesmal den Becher zurückziehen, bis der so Begrüßte ganz erheitert ist und ordentlichen Durst bekommen hat. Dann reichen sie ihm den Becher, und sie singen dabei, klatschen mit den Händen und trampeln mit den Füßen, bis er ausgetrunken hat.
Hinsichtlich ihrer Nahrung und Lebensmittel mögt Ihr erfahren, daß sie unterschiedslos alles Tote aufessen, und bei solchen Mengen an Groß- und Kleinvieh muß schon manches Stück Vieh sterben. Solange sie aber im Sommer Kosmos, d. i. Pferdemilch, haben, kümmern sie sich nicht um andere Nahrung. Wenn daher in dieser Zeit ein Ochse oder ein Pferd stirbt, dann trocknen sie das Fleisch, indem sie es in dünne Streifen schneiden und in die Sonne und den Wind hängen. Es wird ohne Salz sofort trocken und riecht nicht. Aus den Eingeweiden der Pferde bereiten sie sich Würste, die besser sind als solche aus Schweinefleisch. Sie essen sie gleich frisch. Das übrige Fleisch heben sie für den Winter auf. Aus Ochsenhäuten machen sie sich große Schläuche, die sie im Rauch sehr gut trocknen. Aus dem hinteren Teil einer Pferdehaut machen, sie sich sehr hübsche Schuhe. Das Fleisch eines Hammels reicht für fünfzig bis hundert Menschen. Sie schneiden es in einer Schale in Stücke mit Salz und Wasser. Eine andere Suppe nämlich bereiten sie sich nicht. Je nach der Zahl der Essenden reichen sie jedem ein oder zwei Stück mit der Messerspitze oder mit einer eigens dazu gefertigten Gabel, wie unsere, mit der wir in Wein eingekochte Birnen oder Obst zu essen pflegen. Bevor das Fleisch des Hammels ausgeteilt wird, nimmt sich der Herr selbst, was ihm gefällt. Gibt er jemandem ein besonderes Stück, so muß dieser es allein aufessen und darf niemandem davon geben. Vermag er es nicht aufzuessen, so nimmt er es sich mit oder gibt es seinem Diener zur Aufbewahrung, wenn dieser da ist. Wenn nicht, so steckt er es in seinen Captargac. Dies ist ein viereckiger Vorratssack, den sie bei sich tragen zu diesem Zweck. Auch die Knochen tun sie dahinein, wenn sie keine Zeit haben, sie ordentlich abzunagen. Sie knabbern sie dann später ab, damit nichts an Nahrung verlorengeht.
Den Kosmos, d. i. Stutenmilch, bereiten sie auf folgende Weise. An zwei in der Erde steckende Pfähle spannen sie einen langen Strick über den Erdboden. Daran binden sie gegen neun Uhr ungefähr die Füllen von den zu melkenden Stuten. Dann stellen sich die Mütter neben ihre Füllen und lassen sich ruhig melken. Ist eine dabei allzu wild, dann nimmt ein Mann das Füllen, stellt es unter, läßt es ein wenig saugen und zieht es dann wieder weg, und nun tritt der Melker wieder an die Stelle des Füllens. Hat man nun eine große Menge Milch beisammen, die ebenso süß ist wie Kuhmilch, solange sie frisch ist, dann gießt man sie in einen großen Schlauch oder in einen Krug und beginnt damit, sie zu buttern mit einem dazu geeigneten Holze. Dies ist unten so dick wie ein Menschenkopf und innen ausgehöhlt. Sie quirlen möglichst schnell, und dann fängt die Milch an, Blasen zu treiben wie neuer Wein und sauer zu werden oder zu gären. Hierauf gießen sie sie ab und behalten die Butter zurück. Nun kosten sie die Milch und, wenn sie mäßig prickelnd ist, trinkt man sie. Sie prickelt nämlich auf der Zunge wie Traubenwein, wenn man davon trinkt, und sie hinterläßt einen Geschmack auf der Zunge wie nach Mandelmilch. Sie stimmt das Innere des Menschen heiter und macht schwache Köpfe sogar trunken. Sie ruft auch viel Urin hervor. Zum Gebrauch für ihre Gebieter brauen sie auch Karakosmos, d. i. schwarzen Kosmos. Stutenmilch gerinnt bekanntlich nicht, wie dies im allgemeinen bei jedem Tier der Fall ist, bei dem man noch nicht im Magen seines Jungen geronnene Milch gefunden hat. Im Magen des Füllens findet man keine geronnene Milch. Daher gerinnt Stutenmilch nicht. Deshalb quirlen sie die Milch derartig, daß sich alles Dicke zu Boden setzt wie Weinhefe, während das Klare sich darüber absetzt und wie Molken oder heller Most aussieht. Dieser Bodensatz ist ganz weiß. Er wird den Knechten gegeben und ist ein gutes Schlafmittel. Die Herren trinken die klare Flüssigkeit, und sie ist fürwahr ein mildes und anregendes Getränk. Baatu hat dreißig Dienstleute rings um sein Lager in einer Entfernung bis zu einer Tagesreise. Von diesen muß ihm jeder täglich solche Milch von hundert Stuten abliefern, das macht täglich die Milch von dreitausend Pferden. Dazu kommt noch die gewöhnliche weiße Milch, die er von anderen bekommt. So wie die Bauern in Syrien den dritten Teil ihrer Feldfrüchte abliefern, so müssen sie hier im Lager ihres Herrn von jedem dritten Tag ihren Ertrag an Pferdemilch abgeben. Aus der Kuhmilch gewinnen sie zunächst Butter und kochen diese vollständig ein und tun sie in dafür bestimmte Schaffelle. Die Butter bleibt ungesalzen und verdirbt nicht infolge des starken Einkochens. Sie heben sie für den Winter auf. Die nach dem Buttern übrigbleibende Milch lassen sie möglichst sauer werden und kochen sie dann. Dadurch gerinnt sie, und das Lab trocknen sie an der Sonne. Es wird hart wie Eisenschlacke. In Säcken heben sie es für den Winter auf. Wenn ihnen dann zur Winterszeit die Milch fehlt, dann legen sie dieses scharfe Lab, das sie selbst Gruit nennen, in einen Schlauch, gießen warmes Wasser darüber, schütteln kräftig, bis es sich im Wasser auflöst. Dies wird dadurch säuerlich, und solches Wasser trinken sie dann an Stelle von Milch. Sie hüten sich sehr, einfaches Wasser zu trinken.
Die großen Herren besitzen Dörfer in den südlichen Gegenden. Von dort bekommen sie im Winter Hirse und Mehl. Die ärmeren Leute müssen sich so etwas eintauschen gegen Schafe und Tierhäute. Die Sklaven füllen sich ihren Bauch mit gewöhnlichem Wasser und sind damit zufrieden. Sie fangen sich auch Mäuse, von denen es dort viele Arten gibt. Mäuse mit langen Schwänzen essen sie nicht, sondern sie geben sie den Vögeln. Haselmäuse essen sie, ebenso alle anderen Arten, die einen kurzen Schwanz haben. Es gibt dort auch viele Murmeltiere, die sie dort sogur nennen. Diese nisten im Winter zu zwanzig bis dreißig in einer Höhle zusammen und schlafen sechs Monate lang. Diese fängt man zahlreich. Auch Kaninchen kommen dort vor mit einem langen Schwanz wie eine Katze, an dessen Ende schwarze und weiße Haarbüschel sind. Und viele andere kleine Tiere haben sie, die gut als Nahrung dienen, die sie selbst sehr gut unterscheiden. Hirsche fand ich dort nicht. Hasen sah ich nur wenige, aber viel Gazellen, und ebenso viel Waldesel, die wie Maultiere ausehen. Ich sah auch noch eine andere Tierart, die man arcali nennt, vom Aussehen eines Schafes, mit gedrehten Hörnern wie ein Widder. Diese Hörner aber sind so groß, daß ich mit einer Hand kaum deren zwei hochheben konnte. Sie verfertigen sich große Becher daraus. Falken, Habichte, Reiher haben sie in großer Menge. Sie tragen sie alle auf der rechten Hand. Dem Falken legen sie einen kleinen Riemen um den Hals, der ihm bis zur Mitte der Brust herunterhängt. Damit beugen sie ihm mit der linken Hand Kopf und Brust, wenn sie ihn auf die Beute loslassen, damit er nicht vom Wind zurückgetrieben oder nach oben entführt wird. So erwerben sie sich einen großen Teil ihrer Nahrung durch die Jagd.
Hinsichtlich ihrer Kleidung und ihrer Tracht mögt Ihr wissen, daß sie seidene und goldene Gewebe und Baumwollstoffe, mit denen sie sich im Sommer bekleiden, aus Cathaia (China) beziehen und aus anderen Gegenden des Ostens, selbst aus Persien und anderen südlichen Ländern. Im Winter bekleiden sie sich mit kostbaren Fellen aller Art, wie ich sie niemals in unserer Heimat gesehen habe. Sie werden ihnen aus Rußland zugebracht, aus Moxel (nördlich des Don), Großbulgarien (an der mittleren Wolga) und Pascatur (am Oberlauf des Ural) d.i. Groß Ungarn und Kerkis (das Land der Kirgisen), die alle im Norden liegen und waldreich sind, und aus vielen anderen Gegenden des Nordens, die ihnen Untertan sind. Im Winter tragen sie stets zwei Pelzröcke, einen mit der Haarseite nach innen, den zweiten mit der Haarseite nach außen gegen Wind und Schnee. Sie nehmen zu den letzteren die Felle von Wölfen, Füchsen oder Waldhunden. Solange sie sich im Zelte aufhalten, tragen sie einen anderen und kostbareren. Die Armen nehmen Hunde- und Ziegenfelle zu dem äußeren Rock.
Wenn sie auf wilde Tiere jagen wollen, dann versammeln sie sich in großer Menge und umstellen ringsum das verabredete Jagdgebiet. Langsam nähern sie sich dann und treiben die Tiere gleichsam in einen Kessel. Sie schießen dann mit Pfeilen auf sie. Sie verfertigen sich auch Beinkleider aus Fellen. Die Reichen füttern sogar ihre Kleidungsstücke mit einem überaus weichen, leichten und warmen Seidenstoff. Die Armen dagegen füttern sie mit Tuch, Baumwolle oder einer feineren Wolle, die sie aus der groben zu gewinnen verstehen. Aus der groben Wolle bereiten sie den Filz, mit dem sie ihre Zelte und Vorratskisten bedecken und aus dem sie sich auch ihre Lagerstätten machen. Aus einer Mischung von Wolle und zu einem Drittel Pferdehaaren verfertigen sie sich Stricke. Ferner machen sie sich aus Filz Decken, Sattel und Regenmäntel. So dient ihnen die Wolle zu vielerlei. Das war die Kleidung der Männer.
Oben auf dem Kopf scheren sich die Männer ein Viereck aus; von dessen beiden vorderen Ecken aus scheren sie sich die Haare zu beiden Seiten des Kopfes bis an die Schläfen. Ferner schneiden sie an den Schläfen die Haare weg, ebenso im Nacken bis auf die Hinterhauptwölbung und auf dem vorderen Teil der Stirn. Vorn auf dem Kopf lassen sie sich ein Haarbüschel stehen, das bis auf die Augenbrauen herabfällt. Ebenso lassen sie an den Ecken des Hinterkopfes die Haare stehen. Die letzteren flechten sie in Zöpfe und knoten sie hoch bis zu den Ohren.
Die Kleidung der Mädchen unterscheidet sich nicht von der der Männer, nur daß sie etwas länger ist. Am Tage nach ihrer Hochzeit aber scheren sie sich die vordere Hälfte des Schädels. Dann tragen sie ein weites Kleid ähnlich wie eine Nonnenkutte, nur in allem weiter und länger, das vorn geschlitzt ist und auf der rechten Seite zusammengebunden wird. Denn darin unterscheiden sich die Tataren von den Türken, daß die letzteren das Überkleid auf der linken Seite zusammenbinden, während es die Tataren stets rechts tun. Außerdem haben sie einen Kopfschmuck, den sie bocca nennen. Man verfertigt ihn aus Baumrinde oder einem ähnlichen leichten Stoffe, wenn sie so einen finden können. Er ist dick und rundlich, daß man ihn mit zwei Händen umfassen kann, von der Länge einer Elle und mehr, oben viereckig wie ein Säulenknopf. Sie bedecken ihn mit kostbarem, seidenem Tuch. Innen ist er ausgehöhlt, und oben auf den viereckigen Knopf stecken sie eine Gerte aus schlankem Federrohr oder Schilfrohr, ebenfalls von der Länge einer Elle und mehr. Am oberen Ende schmücken sie diese Gerte mit Pfauenfedern und rings um den Schaft herum mit kleinen Schwanzfedern von der Amsel und auch mit kostbaren Steinen. Die reichen Frauen tragen diesen Schmuck oben auf dem Kopf. Sie ziehen ihn straff an mit einem Schultertuch, das zu diesem Zweck oben ein Loch hat. Ihre Haare fassen sie oben auf dem Hinterkopfe in einen Knoten zusammen und stecken ihn in den bocca. Diesen befestigen sie kräftig unter dem Kinn. Wenn daher viele Frauen zusammenreiten, und man sieht sie von ferne, so erscheinen sie wie Krieger mit Helmen auf den Köpfen und erhobenen Lanzen. Dieser bocca sieht nämlich wie ein Helm aus und die Gerte darüber wie eine Lanze. Die Frauen sitzen sämtlich wie die Männer mit gespreizten Schenkeln auf dem Pferde. Ihr Kleid schnüren sie mit einem himmelblauen seidenen Tuche über den Hüften zusammen. Eine andere Binde legen sie um die Brust, und unter die Augen binden sie ein weißes Tuch, das bis auf die Brust herabfällt. Die Frauen sind ziemlich dick, und eine kleine Nase gilt als besondere Schönheit. Daneben verunstalten sie sich noch in häßlicher Weise durch Bemalung des Gesichts. Um zu gebären, legen sie sich niemals auf das Lager.
Die Aufgabe der Frauen besteht darin, die Wagen zu lenken, die Zelte auf- und abzunehmen, die Kühe zu melken, Butter und Gruit zu machen, die Felle zuzubereiten und sie zusammenzunähen. Dies tun sie mit einem Faden aus Sehnen. Sie spalten nämlich die Sehnen in sehr dünne Fäden, und diese drehen sie zu einem langen Faden zusammen. Sie nähen sich auch die Schuhe, Strümpfe und andere Kleidungsstücke. Sie waschen niemals die Kleidung, weil, wie sie sagen, Gott darüber erzürnt und weil es dann donnert, wenn sie sie zum Trocknen aufhängen würden. Sie verprügeln sogar die Waschenden und nehmen ihnen die Wäsche weg. Den Donner fürchten sie über alles. Sie entfernen dann alle Fremden aus ihren Zelten und hüllen sich in schwarzen Filz ein und verstecken sich darin, bis alles vorbei ist. Sie waschen auch niemals ihre Näpfe, sondern wenn das Fleisch gekocht ist, dann spülen sie die Schüssel, in die sie es legen wollen, mit kochender Fleischbrühe aus dem Kessel aus und gießen diese nachher in den Kessel zurück. Sie verfertigen auch den Filz und bedecken damit die Zelte.
Die Männer verfertigen sich Bogen und Pfeile, sie machen sich Steigbügel und Zügel und fertigen sich Sättel an. Sie zimmern die Zelte und Wagen, hüten die Pferde und melken die Stuten, quirlen den Kosmos, d. i. Pferdemilch, und machen Schläuche, in welchen sie ihn aufbewahren. Sie hüten auch die Kamele und beladen sie. Schafe und Ziegen hüten sie vermischt, und manchmal werden sie von den Männern, manchmal von den Frauen gemolken. Mittels saurer, dicker und gesalzener Schafmilch bereiten sie ihre Felle zu. Wenn sie sich die Hände oder den Kopf waschen wollen, dann nehmen sie den Mund voll Wasser und lassen es langsam aus dem Munde über die Hände fließen, befeuchten damit das Haar und waschen sich den Kopf.
Hinsichtlich der Hochzeit mögt Ihr wissen, daß jeder seine Frau kaufen muß. Daher sind zuweilen die Mädchen schon ziemlich ins Alter gekommen, ehe sie heiraten. Bis zu ihrem Verkauf bleiben sie nämlich immer bei den Eltern. Den ersten und zweiten Grad der Blutsverwandtschaft halten sie inne, dagegen kümmern sie sich nicht um Verschwägerungsgrade. Sie heiraten zugleich oder nacheinander zwei Schwestern. Eine Witwe verheiratet sich bei ihnen nicht wieder, denn sie glauben, daß alle, die ihnen in diesem Leben dienen, es auch im künftigen Leben tun werden. Daher glauben sie auch, daß eine Witwe nach ihrem Tode stets zu ihrem ersten Mann zurückkehrt. Es herrscht deshalb bei ihnen die schändliche Sitte, daß der Sohn zuweilen alle Frauen seines Vaters übernimmt, nur seine Mutter nicht. Denn der jüngste Sohn erbt immer die Zelte seiner Eltern. Er muß daher für alle Frauen seines Vaters sorgen, die ihm mit dem väterlichen Erbe zukommen, und, wenn er will, macht er sie auch zu seinen Frauen. Er ist sich dabei keiner Schuld bewußt, wenn er nach seinem Tode zu seinem Vater zurückkehrt. Hat nun also jemand einen Heiratsvertrag abgeschlossen, dann veranstaltet der Vater des Mädchens ein Gastmahl, und das Mädchen flieht zu ihren Blutsverwandten und versteckt sich dort. Der Vater sagt darauf: „Nun gehört meine Tochter dir; nimm sie dir, wo du sie findest.“ Der Bräutigam sucht sie nun mit seinen Freunden, bis er sie findet. Er muß sie mit Gewalt ergreifen und gleichsam gewalttätig in sein Zelt führen.
Hinsichtlich ihrer Rechtspflege mögt Ihr wissen, daß sich in einen Zweikampf von Männern niemand anders hineinzumischen wagt. Selbst der Vater wagt nicht, seinem Sohne zu helfen. Der im Unrecht Befindliche kann aber an seinen Häuptling appellieren. Wer ihn danach noch angreift, wird getötet. Dieser Anruf des Stammesführers muß sofort vorgenommen werden. Und der das Unrecht erlitten hat, führt den anderen gleichsam als seinen Gefangenen. Mit dem Tode bestrafen sie nur, wenn einer auf der Tat erwischt worden ist oder sie eingestanden hat. Zeugen aber mehrere gegen ihn, so bringen sie ihn durch die Folter zum Geständnis. Mit dem Tode bestrafen sie Mord und auch den Beischlaf mit einer anderen als der eigenen Frau. Ich betone mit einer anderen Frau oder mit einem anderen Mädchen; denn die Sklavinnen sind jedem freigestellt. Ebenso steht Todesstrafe auf einen großen Diebstahl. Für einen kleinen Diebstahl, wie z. B. den eines Schafes, wofern nicht öftere Wiederholung vorliegen sollte, gibt es grausame Prügelstrafe. Zu hundert Schlägen sind auch hundert Stöcke nötig, d. h. für den Fall, wenn die Strafe vom Richter zugemessen worden ist. Ebenso werden falsche Gesandte getötet, d. h. solche, die sich als Gesandte ausgeben und es nicht sind, auch Zauberer. Über letztere werde ich Euch später noch mehr berichten, da sie als Giftmischer gelten.
Einen Verstorbenen beklagen sie durch lautes Heulen. Seine Angehörigen sind auf ein Jahr von Abgaben befreit. Wer beim Tode eines Erwachsenen zugegen ist, betritt ein Jahr lang nicht das Zelt des Mangu Khan. War es aber ein Kind, das gestorben ist, so darf er dies Zelt einen Monat lang nicht betreten. Ist der Verstorbene aus vornehmem Geschlecht, aus dem Geschlecht des Chingis, ihres ersten Vaters und Herrschers, so hinterläßt man stets ein Zelt neben seiner Begräbnisstätte. Diese selbst kennt man nicht. In der Gegend der Gräber ihrer Edlen ist stets ein kleiner Bewachungstrupp. Ich habe nicht beobachtet, daß sie ihren Toten Schätze mit ins Grab geben. Die Kumanen errichten einen großen Hügel über dem Verstorbenen, und darauf stellen sie ihm eine Bildsäule, mit dem Antlitz nach Osten gewendet, die einen Becher in der Hand vor den Nabel hält. Den Reichen errichten sie sogar Pyramiden, das sind kleine spitze Bauten, und manchmal sah ich auch große Türme aus gebrannten Ziegelsteinen, auch steinerne Häuser, obwohl es dort keine Steine gibt. Bei einem jüngst Verstorbenen sah ich, daß sie ihm sechzehn Pferdehäute rings um das Grab gehängt hatten, vier nach jeder Himmelsrichtung zwischen hohen Stangen. Und Kosmos hatten sie ihm zum Trinken daneben gesetzt und Fleisch zum Essen. Und dennoch sagten sie von ihm, daß er getauft worden wäre. Weiter nach Osten sah ich Grabstätten anderer Art, nämlich große mit Steinen gepflasterte Felder, teils rund, teils viereckig, und innerhalb eines solchen Feldes befanden sich nach den vier Himmelsrichtungen vier große, aufgestellte Steine.
Wird jemand krank, so legt er sich nieder und steckt ein Zeichen über sein Zelt, daß ein Kranker drinnen liegt und niemand eintrete. Daher besucht niemand den Kranken, nur sein Diener. Wird jemand aus einem großen Lager krank, dann stellen sie ringsherum in weitem Umkreis Wächter auf, die innerhalb dieses Gebietes niemanden durchlassen. Sie fürchten nämlich sehr, daß ein böser Geist oder Wind zugleich mit hineinkomme. Ihre Weissager rufen sie herbei gleichsam als ihre Priester.
Herbst, Hermann (Übersetzer und Herausgeber)
Der Bericht des Franziskaners Wilhelm von Rubruk über seine Reise in das Innere Asiens in den Jahren 1253-1254
Leipzig 1925