1895 - Fritz W. Up te Graff
Vampir-Fledermäuse
Am Napo, Peru
Wir legten uns diese Nacht auf dem Fußboden des Schuppens schlafen, jeder zufrieden mit der Aussicht auf die Reise, die wir den nächsten Morgen zusammen antreten sollten. Meine Träger schliefen am anderen Ende, ein paar Meter weiter weg. Es fiel mir stark auf, daß die Indianer sich zum Schlafen vom Kopf bis zu den Füßen in die Baumwolldecken einwickelten, die jeder ebenso wie seine Nahrung trug. Ich sagte etwas zu Jack über „diesen Haufen Mumien, die wir bei uns hätten“, und er brummte eine spöttische Bemerkung: „Sie scheinen sich vor der Nachtluft zu fürchten.“ Dabei ließen wir es.
Wir lagen einige Zeit und sprachen, als ich plötzlich bemerkte, daß ab und zu etwas an dem einen Ende des Schuppens hineingeflogen kam, über uns kreuzte und am andern Ende in die Nacht verschwand. Zuweilen, als die Nacht fortschritt, waren diese Gespenster so nahe über uns, daß wir die Luft von der Bewegung ihrer Flügel auf unseren Gesichtern fühlten. Eulen, sagten wir, denn diese waren das einzige, was wir kannten und was so still bei Nacht fliegt. Endlich schliefen wir ein, und ich erwachte erst, als es dämmerte. Als wir aufstanden, war das erste, was ich bemerkte, ein Gefühl von Ermüdung und Schwindel, das mich überraschte, denn ich hatte sehr gut geschlafen. Ich wandte mich zu Jack um, um zu sehen, wie er sich fühle, und war sprachlos, einen großen, häßlichen Blutklumpen seinem Hinterkopf hängen zu sehen. Ich dachte gleich an die Indianer, die schon auf und mit dem Feuer beschäftigt waren. Jack gestand, sich auch schwach zu fühlen, aber Wunden hatte er keine. Ich verbrachte fast eine Viertelstunde damit, irgendeine Spur eines Schnittes zu finden, der groß genug war, solchen Blutverlust zu verursachen. Dann bemerkte ich einen dunkelroten Fleck am Fußende meiner eigenen Decke, aber meine Füße schienen keine Blutspur zu haben. Endlich machte ich die Indianer darauf aufmerksam, da ich keine Erklärung finden konnte. Und da sah ich, daß einer von ihnen eine ebensolche Pfütze auf dem Fußboden hinterlassen hatte, wo er geschlafen hatte. Die Indianer lachten, als sei das die natürlichste Sache der Welt und sagten, die Nachtvögel hätten sich genährt. Sie zeigten uns gleich unsere eigenen Wunden, die wir nicht hatten finden können. Jack war an der Stirn angezapft ich an der großen Zehe.
Das war meine erste Begegnung mit dem Vampir.
Der einzige Distrikt zwischen Iquitos und den Anden, wo ich der eigentlichen blutsaugenden Vampir-Fledermaus begegnet bin, ist die Zone, durch die der Napo fließt. Die Fledermaus sucht seine Opfer auf beiden Seiten mehrere Kilometer weit heim, geht aber, wie ich glaube, nie weit landeinwärts. Sie unterscheidet sich von der Spießblattnase, die die sich fast ganz von Früchten nährt, und von dem großen Vampir, der etwa 70 Zentimeter breit und ganz harmlos ist. Im allgemeinen sieht sie der gewöhnlichen Fledermaus ähnlich, nur daß sie etwas größer ist. Mit ausgebreiteten Flügeln mißt sie 25-30 Zentimeter. Sie mag vor Zeiten von Früchten gelebt haben, aber wenn dies der Fall ist, so hat sie sich, wie der neuseeländische Papagei, der Schafe tötet, seitdem einer kräftigeren Nahrungsweise zugewendet. Jedenfalls lebt sie jetzt von Blut, das sie aus lebenden Tieren und Menschen saugt. Es scheint, daß dies die einzige Form der Ernährung dieser Gattung ist, obwohl im Fall der Spießblattnase vermutet wird, daß sie von Früchten und Blut lebt, was ein Zwischenstadium in dem Prozeß des Überganges bedeuten würde. Es gibt auch eine Anzahl anderer Spielarten der Fledermausfamilie, die gemeinhin als „Vampir“ bekannt sind, wahrscheinlich wegen ihrer teuflischen Erscheinung. Sie tragen ihren Namen aber insofern irrtümlich, als der Name volkstümlich „Blutsauger“ bedeutet und sie tatsächlich entweder Frucht- oder Insektenfresser sind.
Die blutsaugende Vampir-Fledermaus ist mit zwei Paar sehr scharfen Schneidezähnen ausgerüstet. Die Wunden, die sie macht, sind ganz zylindrisch, etwa drei Millimeter im Durchmesser und eineinhalb Millimeter tief. Wo das Fleisch mit dichter Haut bedeckt ist wie an den Füßen, ist das Loch viel größer, damit diese eineinhalb-Millimeter-Punktur direkt ins Fleisch selbst gemacht werden kann. Es scheint, daß dies notwendig ist, um das Blut richtig ausströmen zu lassen. Diese ganz kreisförmigen Wunden werden wahrscheinlich mit den Schneidezähnen gemacht, die scharfgeschliffene Ränder haben.
Die Vampir-Fledermaus ist ferner dafür bekannt, daß sie den Schläfer, den sie angreift, niemals aufweckt und daß sie auch nie einen Menschen angreift, der den Schlaf nur heuchelt. Ich habe sehr oft versucht, sie bei der Arbeit zu erwischen. Sie fangen sogar nicht einmal an, wenn bei einer Anzahl Menschen noch einer wach ist. Um ihren Zweck zu erreichen, müssen sie über ihrem Opfer schweben, ohne sich niederzulassen, absolut geräuschlos und unbeweglich. Ließe sich ein Körper von solchem Gewicht fallen, so würde sicher das argloseste Opfer aufwachen.
Es ist auch selbstverständlich, daß eine Wunde von dieser Tiefe nicht gemacht werden könnte, ohne den Patienten aufzuwecken, wenn nicht in irgendeiner Form eine lokale Gefühlslosigkeit hervorgerufen würde. Deswegen komme ich zu dem Schluß, daß diese Tiere ein Anästhetikum aus einer Drüse in ihrem Mund oder Hals absondern, das sie in die Wunde einspritzen, sobald die Haut durchbissen ist. Die Wunde scheint auch keimfrei zu sein, und bei einiger Sorgfalt heilt sie fast sofort, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die Folgen des Blutverlustes machen sich jedoch mehrere Tage lang geltend.
Der Vampir hat beim Fressen nicht die Gewohnheit, die ganze Masse des Blutes bei sich zu behalten, die er seinen Opfern aussaugt. Vielmehr geht die Hauptmasse gleich durch seine Därme, nachdem er sich den Teil einverleibt hat, der für ihn Nährwert hat. Dies habe ich viele Male aus der Stelle ersehen können, in der ich immer die Blutlache nach einem Angriff auf meine Person fand. Ich bin wohl wenigstens fünfundzwanzigmal angegriffen worden und beobachtete, daß das Blut sich etwa zehn Zentimeter weit (etwas mehr als der Körper der Fledermaus lang ist) von der Stelle befand, wo es eingesogen worden war. Um die Wunde selbst klebt niemals Blut. Noch ein anderer Beweis für meine Ansicht wurde nach meinem Dafürhalten durch einen Fall gegeben, von dem ich einige Tagesreisen Napo-abwärts an der Sunomündung hörte. Der Besitzer einer Handelsstation verlor in einer Nacht achtzehn Hühner, die er vor dem Vampir mit einem Drahtgitter vor dem Vampir geschützt hatte. Am Morgen fand er nicht nur die toten Vögel, sondern auch den einzigen Räuber, der zusammengefaltet wie eine Ziehharmonika schlafend vom Dach herunterhing. Wie konnte ein so kleines Tier das Blut so vielen Geflügels bei sich behalten?
Meine Beobachtung, daß die Fledermäuse sich wahrscheinlich beim Fressen nicht niederlassen, wurde noch durch die Tatsache erwiesen, daß die Verwundungen dieser Hühner alle an der gleichen Stelle waren, am Kamm. Kein Huhn würde dulden, daß irgendwas sich in seinem Nacken oder seinem Gesicht festsetzt und in aller Ruhe sich daran macht, ihm ein Loch in den Kopf zu bohren.
Da ferner Fledermäuse keine Beine haben und ihre Flügel mit ihren Gliedern eins sind, wo sollte der Vampir sein einziges Stützwerkzeug, nämlich die handartigen Klauen in den Hauptrippen der Flügel, eingesetzt haben, um seine Beute anzuzapfen?
Wie man sich vorstellen kann, erweisen sich diese Tiere am Ufer des Napo als die Ursache großer Belästigung. Einige Mitglieder indianischen Bootsmannschaften, die Jack und ich zu verschiedenen Zeiten in Dienst nahmen, waren nach zwei oder drei Punkturen in einer Nacht nahezu arbeitsunfähig. Wir versuchten, uns und unsere Indianer mit baumwollenen Toldas (Planen) zu schützen, die wie Moskitonetzrahmen aufgestellt wurden. Aber sobald irgendein Teil unseres Körpers den Stoff berührte, machte der Vampir durch den Stoff ein Loch, so groß wie sein Kopf, und ging wie gewöhnlich zum Angriff über. Am meisten bevorzugen sie Füße, Stirn, Nase, Hände und Ellbogen. Andere Male versuchten wir draußen auf den Sandbänken zu schlafen, in der Hoffnung, daß die Vampire den Wald nicht verlassen würden. Dabei trachteten wir möglichst zu vermeiden, unter einer Decke zu schlafen, wenigstens was unsere Köpfe betraf, um nur das Vergnügen zu genießen, unter den Sternen schlafen zu können. Hände und Füße deckten wir zu, in der Hoffnung, diesen Bestien zu entrinnen, falls sie uns finden sollten. Vergebliches Hoffen! Sie nahmen stets ihre geheimnisvolle Operation an unseren Gesichtern vor. Mit einem Wort: Es gab kein Entrinnen.
Viel ist über die Vampir-Fledermaus geschrieben worden, Wahres und Erdachtes, was irreführend, wenn nicht übertrieben ist. Zum Beispiel wird gewöhnlich behauptet, diese Tiere hätten ganze Herden Vieh umgebracht, die nach verschiedenen Teilen von Ost-Ecuador eingeführt worden waren. Dies mag wahr sein, aber doch nur indirekt. Der Schluß, den man aus dieser Angabe ziehen muß, ist, daß das Vieh an Blutverlust starb. Dies ist aber nicht der Fall. Sie starben an Maden, die von Schmeißfliegen in die von Fledermäusen gemachten Wunden gebracht wurden und gegen die sich das Vieh nicht wehren konnte.
Ihrer Gewohnheit beim Menschen entgegengesetzt greifen die Vampire die Vierfüßler in wachem Zustand an. Ich habe sie nachts auf dem Rücken von Pferden und Kühen gesehen, wie sie über dem Widerrist schwebten, offenbar zur großen Qual de armen Tiere. Die Fledermäuse scheinen zu wissen, daß die überlegene Intelligenz des Menschen ihnen eine Quelle der Gefahr ist. In einigen Teilen des Napo-Tals gibt es eine kleinere Art einer blutsaugenden Fledermaus, die das Vieh, aber niemals Menschen anfällt. Die Vampir-Fledermaus ist für mich die abstoßendste der unzähligen Plagen des Amazonasgebietes; beim bloßen Gedanken daran läuft es mir oft kalt über den Rücken.
Graff, Fritz W. Up te
Bei den Kopfjägern des Amazonas. Sieben Jahre Forschung und Abenteuer
Leipzig 1924