Um 1864 - Emmeline Lott
(Gouvernante im Harem des Vizekönigs von Ägypten)
Mit den Haremsprinzessinnen vor Chios
Ihre Hoheiten amüsierten sich damit, vor sich hin zu essen (hauptsächlich verdrückten sie Obst und rohes Gemüse), und das von vier Uhr morgens bis Mitternacht. Matrosen und Soldaten waren häufig angetrunken, was von der Menge Araki herrührte, einem Dattelschnaps, den sie zu sich nahmen. Das überraschte mich eigentlich, denn ich war immer der Meinung gewesen, es sei gegen die mohammedanische Religion, geistige Getränke zu sich zu nehmen. Sie nannten es Kef, "dolce far niente". Manchmal vergnügten sie sich damit, ihr bacchanalisches Lieblingslied zu singen.
Während der ganzen Reise, die sieben Tage dauerte, obwohl sie leicht in vieren zu schaffen gewesen wäre, kamen immer wieder Gruppen von Frauen, reiche wie arme, und brachten große Körbe gefüllt mit den Früchten der Jahreszeit, insbesondere Orangen, Zitronen, Kürbisse, Kirschen und Pflaumen, Konfekt, Gurken, Kuchen, Konfitüren, kandierte Früchte, und dazu noch Geschenke in Form von hier gemachten Tonkrügen, Spielzeug (von dem manches sehr geschickt hergestellt war), superbe durchbrochene Seidenstrümpfe, hiesige Sachen, Schals, Kaugummi in großen Behältern, von denen die meisten die türkischen Delikatesse, Lentiscus oder Mastix von Chios, enthielten. (Der Handel damit unterliegt einem Monopol und ist eine sprudelnde Quelle für illegale Transaktionen und Verbrechen in jeder Form.) Auch gab es eine Art Brei, bestehend aus Mehl, Wasser, Zucker, frischen und gebrühten Mandeln, Zitronenkernen etc., der so süß war wie Sirup. Ich habe ihn oft probiert.
Als wir vor der Insel Chios ankamen, waren Ihre Hoheiten unverschleiert im Salon und vergnügten sich damit, Seidenstrümpfe und verschiedene andere Artikel zu begutachten, die von den Besuchergruppen präsentiert worden waren. Mehrere Boote legten vom Ufer ab, die meisten voll besetzt, darunter waren auch der Gouverneur und seine Begleitung, und auch Händler mit ihren Waren.
Die Hoheiten waren so mit ihren Nouveautés beschäftigt, dass ich auf die Annäherung der Boote nicht achtgab. Ich stand nahe den offenen Fenstern des Salons, als ich bemerkte, dass eine Anzahl Boote unsere Fregatte umkreiste. Plötzlich kamen sie so nahe, dass die Männer, wenn sie gewollt hätten, mit ihren Händen die Öffnung hätten erreichen und hereinspringen können. Ich sah die Prinzessin Validé und die Prinzessin Epouse lächeln, während sie die Leute in den Booten beobachteten, und fragten mehrfach, ob nicht manche "guzel" und andere "batal" seien? Aber als dann die Männer näher kamen, die vielleicht dachten, es handele sich nur Haremsdamen oder Sklavinnen, schrie die Prinzessin Epouse auf und zog sich zurück; die Prinzession Validé sprang von ihrem Diwan auf, und ich stellte mich vor sie, während sie Verstecken spielten. Entsprechend ihrer Befehle erwiderte ich die Grüße der Männer in den Booten, die alle ihre Riemen senkrecht gestellt hatten und mich grüßten. Das bereitete den Prinzessinnen großes Vergnügen, denn dieser Zeitvertreib gefiel ihnen sehr, und sie fragten mich immer wieder, ob ich nicht auch meinte, dass es ein großer Spaß sei, denn ganz bestimmt würden die Honoratioren zu Hause berichten, dass sie Ihre Hoheiten die Prinzessinnen vor Augen gehabt hätten, wo sie doch bloß die Gouvernante des Großen Paschas gegrüßt hätte.
Ich lächelte nur. Aber es ist Tatsache, dass diese Leute die Hoheiten tatsächlich gesehen hatten, und zwar (glaubt es oder nicht, Ihr Söhne des Propheten, Moslems und Rechtgläubige) unverschleiert!
In dem Moment, in dem die Prinzessin Epouse aufschrie, endete die Farce, denn hereingerauscht kamen die Eunuchen und zogen die Vorhänge vor die Fensteröffnungen, und an Deck warnten sie die Eindringlinge mit blank gezogenen Schwertern.
Lott, Emmeline
The Englisch Governess in Egypt: Harem Life in Egypt and Constantinople
Band 2, London 1866
Übersetzung: U. Keller