Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1483 - Felix Fabri
Das schwebende Kreuz
Kloster Stavrovouni, Zypern

 

Wir Sieben haben einen Knecht aus der Galeere, der den Weg kannte, mit uns genommen und sind abends von der Galeere gefahren und in der Finsternis bis zu einem Dorf namens Arnylia gegangen. Dort dingten wir Maulesel, saßen auf und ritten die ganze Nacht bei Mondschein über viele Berge und Täler mit großem Jubel, denn die Gesellschaft war gut, die Luft kühl und der Weg lustig, voll wohl riechender Kräuter, blühender Stauden und rinnender, süßer, klarer, kalter Wasser. Als nun der Morgenstern aufging, kamen wir in das Dorf, das unten an dem heiligen Berg liegt, da banden wir die Maulesel an und legten uns ein wenig zur Ruhe. Als es ganz Tag geworden war, saßen wir wieder auf und ritten bis zur Höhe des Berges; da banden wir die Tiere an Bäume und gingen zu Fuß ganz hinauf unter großen Mühen, denn der Berg ist sehr hoch und rauh.
    Und als wir ganz oben auf die Spitze kamen, da bereitete ich mich für die Messe vor und las die Messe von Sankt Johannes und Paulus. Nach der Messe führte uns der Kaplan der Kapelle, der zum Franziskanerorden gehörte, an den Ort, da in der Mauer das Kreuz steht; davor beteten wir, und nach dem Gebet besahen wir es, es geht die Sage, dass es schwebte, als die Heilige Helena zu Jerusalem auf dem Kalvarienberg die drei Kreuze fand. Sie hat das allerheiligste Kreuz Christi behalten, nahm aber das Kreuz zur rechten Seite, an dem Dysmas der Schächer gehangen hatte, und brachte es nach Zypern auf diesen Berg und baute eine Kirche und ein Kloster dazu und setzte das Kreuz da hinein. Damit aber dem Kreuz mehr Ehre erwiesen würde, heftete die heilige Frau ein Stücklein vom rechten heiligen Kreuz Christi daran. Nun geht die Sage, dass, als Sankt Helena das Kreuz in die Kirche brachte und auf den Altar stellte, es sich erhob und so unbefestigt und ungebunden in der Luft schwebte. Aber lange später, da dem Kreuz die ihm zustehende Ehre nicht entboten worden war, ist es herab gesunken und steht seitdem an dem Ort. Doch die Meinung der Leute ist noch heute, dass es immerzu an dem Orte stehe, und obwohl es mit beiden Armen in Löchern der Mauer stehe, so könne doch niemand feststellen, dass es anstoße, weder mit den Armen noch mit den Fuß, und es wird darüber disputiert, ob es stehe oder hänge, klebe oder schwebe. Ich fürchtete mich und durfte nicht zu neugierig und vorwitzig in dieser Sache sein. Das Kreuz ist lang und groß, aus hübschem Holz, als wäre es Zypressenholz, und ist vorn mit Silberblech beschlagen.
    Als wir es nun gut besehen hatten, gingen wir aus der Kapelle, standen auf dem Berg und sahen über das ganze Land Zypern, und überall und weit und breit das Meer; es war an diesem Tag heiß und dunstig, wäre es aber ganz klar und lauter gewesen, so hätten wir die Berge von Armenien und Kappadokien und im Heiligen Land die Berge in Galiläa, Karmel, Thabor und Libanon sehen können.
    Wir besahen auch das Kloster, das bei der Kirche gestanden hat und das die Sarazenenheiden vor vielen Jahren zerstört haben, und fanden starke, dicke Mauern, als hätte da vor Jahren ein Schloss gestanden.
    Und dann sind wir wieder herabgestiegen.

 

Fabri, Felix
Eigentlich Beschreibung der Hin unnd Wider Farth zu dem Heyligen Landt gen Jerusalem und furter durch die großen Wüsten zu dem Heyligen Berge Horeb und Sinay …
Frankfurt/M. 1557

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