1773 - Samuel Johnson
Über schottische Fenster und die Lage der Nationen
Banff
Des Abends kamen wir nach Banff, wo ich mich nichts gesehen zu haben erinnere, was meine Aufmerksamkeit besonders auf sich gezogen hätte. Die alten Städte Schottlands haben für Engländer durchgängig ein ungewöhnliches Aussehen. Meistenteils sind die Häuser, sie mögen groß oder klein sein, aus Steinen gebaut. Ihre Ausgänge sind dann und wann gleich an den Straßen; der Eingang in dieselben hingegen ist sehr oft über einen Absatz von Treppenstufen, der bis ins obere Stockwerk hinauf reicht; und in das Stockwerk unten auf der Erde kommt man nicht anders als über eine innere Treppe, die ins Haus hinunter führt.
Die Kunst, viereckige Glastafeln mit Blei aneinander zu fügen, ist in Schottland nicht sehr üblich; und an manchen Orten ist sie gänzlich vergessen. Die Rahmen an ihren Fenstern sind allesamt hölzern. Sie gehen mit ihrem Glas wirtschaftlicher um als die Engländer; und nicht selten wird in Häusern, die sonst eben nicht bescheiden sind, eine Tafelscheibe aus zwei Stücken zusammengesetzt, die nicht etwa, wie eine zerbrochene Scheibe, aneinander passen, sondern so, dass ein Rand von Glas vielleicht noch um einen Zentimeter über das andere Glas zu liegen kommt. Ihre Fenster hängen auch nicht in Angeln, sondern werden in Kerben, die in den Rahmen gemacht sind, in die Höhe geschoben und herunter gezogen; jedoch sind sie selten mit Rollen und Gewichten versehen. Wer sein Fenster offen haben wollte, der müsste es mit der Hand aufhalten; ausgenommen, dass etwa, wie es sich zuweilen bei erfinderischen Köpfen zutragen mag, ein Nagel da ist, den man durch ein in den Rahmen gebohrtes Loch stecken kann, um das Fenster vor dem Niederfallen zu bewahren.
Was sich ohne einige ungewöhnliche Mühe oder ohne ein besonderes Hilfsmittel nicht tun läßt, das wird oftmals überhaupt nicht getan. Die Unbequemlichkeit der Fenster in Schottland ist schuld daran, dass sie immer überaus dicht verschlossen sind. Die Notwendigkeit, menschliche Wohnungen zu lüften, ist von unseren Nachbarn gegen Norden noch nicht eingesehen worden; und einem Ausländer kann man es sogar in Häusern, die sonst gut gebaut und mit ganz artigem Hausgerät versehen sind, dann und wann wohl zugute halten, wenn er es sich herausnimmt, etwas frischere Luft in den Zimmern zu wünschen.
Solche Bemerkungen über ganz geringe Kleinigkeiten scheinen der Reisebeschreibung etwas von ihrer Würde zu nehmen; und man teilt sie daher den Lesern nie anders mit als mit Unschlüssigkeit und einer kleinen Besorgnis vor Geringschätzung und Verachtung. Allein man sollte doch nicht vergessen, dass das menschliche Leben keineswegs aus einer ununterbrochenen Reihe großer Taten oder mit Geschmack angestellter Vergnügungen besteht. Größtenteils verläuft unsere Zeit mit keinen anderen Beschäftigungen als das wir uns zu tun bequemen, was die Not erfordert, dass wir alltägliche Pflichten erfüllen, dass wir uns kleine Ungelegenheiten vom Halse wälzen und uns dieses oder jene kleine Vergnügen verschaffen. Und unser Wohl- oder Übelbefinden beruht bloß darauf, ob im Großen der Strom unseres Lebens hell und sanft dahinfließt, oder ob er durch kleine Hindernisse und häufige Unterbrechung getrübt wird. Der wahre Zustand jedweder Nation ist der Zustand des gemeinen Lebens. Die Sitten eines Volkes sind nicht in den Schulen der Gelehrsamkeit oder in den Palästen der Hoheit zu finden, wo der Nationalcharakter durch Arbeit oder Unterricht, durch Philosophie oder Eitelkeit unkenntlich oder gar unsichtbar gemacht wird; und man muß auch die Glückseligkeit des Publikums nicht nach den Assembleen der Leute nach der Mode oder nach den Banketts der Reichen schätzen. Die große Masse der Nationen ist weder reich noch modisch; die Leute, aus deren Hauptsumme das Volk besteht, sind auf den Straßen, auf den Dörfern, in den Werkstätten, in den Prachthäusern und Bauernhütten zu finden; und von diesen, in der Summe miteinander betrachtet, muß man das Maß des öffentlichen und durchgängigen Flors und Wohlstandes abnehmen. Je mehr sich der Delikatesse nähern, desto mehr ist eine Nation verfeinert. Je vielfältiger ihre Bequemlichkeiten sind, desto mehr hat man Ursache, eine Nation, wenigstens eine handelnde Nation, reich zu nennen.
Samuel Johnson's Reisen nach den westlichen Inseln bey Schottland
Leipzig 1775
Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hg.)
Reisende in Schottland seit 325 v. Chr.
Wien 2008