Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1736 - Johann Georg Gmelin
Von Fenstern und Öfen
Jakutsk

 

Es wurde Winter. Denn am 19. September fing der Lenafluß an, Eis zu treiben, welches alle Tage zunahm, bis endlich den 28. ebendieses Monats der Fluß damit dergestalt überzogen war, daß man kein Wasser mehr sah. Das Eis kam endlich so häufig, daß es sich hin und wieder zwischen den Inseln stopfte und an dem Ufer stehenblieb; das folgende vermehrte es immer, so daß die Öffnung nach und nach schmaler wurde, bis sich auch endlich diese stopfte.
   Die kleinen Zwischenarme von Wasser aber, die hin und wieder zwischen dem Eise waren, froren auch zu, und dieses in so kurzer Zeit, daß man schon den Tag darauf beladene Schlitten darüberfahren sah. Das Eis des Flusses wurde in wenigen Tagen so dick, daß man Stücke von ein bis fünf Viertel Arschin [1 Arschin = 71 cm] fast allenthalben, wo man wollte, aus dem Fluß brechen konnte, welches sowohl für uns Ausländer als für die Einwohner von großem Nutzen war. Wenn die Fenster der Wohnungen nicht recht wohl schließen, so sind sie nicht vermögend, die Zimmer genugsam vor der Kälte zu verwahren; auch die Keller, darin man Getränke wie Bier, Met, Wein hat, können mit den gewöhnlichen Mitteln, Roßmist und Türen nicht genug vor dem Froste gesichert werden. Es werden also Stücke von reinem Eise, darin kein Unflat ist, in der Größe der Fenster ausgehauen und von außen eingesetzt. Wenn man sie nur ein wenig mit Wasser begießt, daß sie anfrieren, so ist das Fenster fertig. Sie benehmen nicht viel vom Lichte, und das Tageslicht fällt da durch; und wenn die Sonne scheint, so ist es nicht im geringsten zu merken, daß es davon in der Stube dunkler würde. Es ist im übrigen ein vortreffliches Mittel, zu verhindern, daß Kälte in die Stube dringen könne, der Sturm mag auch so groß sein, als er will. Wer noch Fenster dazu hat, wie man sie denn in den Wohnhäusern begüterter Leute immer antrifft, der setzt sie von der inneren Seite der Fensterlöcher an. Dieses macht, daß man keinen Dampf von den Ausdünstungen des Eises in der Stube leidet und sich in dergleichen Zimmern trefflich wohl befindet.
   Das Getränk in den Kellern friert nicht leicht, wenn man die Fensterlöcher auf diese Art mit Eis versetzt, und daselbst hat man keine Fenster weiter nötig. Auch diejenigen, die in den Stuben die Fensterlöcher mit bloßem Eise zumachen, können sich zur Not damit behelfen, wofern sie sich nur hüten, alsdann viel in der Stube zu sein, wenn man den Ofen zugemacht hat. Aber die Landeseinwohner achten dieses auch nicht viel.
   Hier muß ich noch etwas anmerken, wie man die Öfen in den Stuben sowohl in ganz Rußland als besonders hier zu bauen pflegt. Die meisten sind irden, weil man nicht allenthalben Eisenhütten in der Nähe hat und es auch nicht in der Mode ist, sich eiserner Öfen zu bedienen. Die es im Vermögen haben, lassen sie sich von Kacheln machen, andere aber von bloßen Ziegelsteinen. Die innere Bauart ist verschieden. Einige lassen zwei bis drei Gewölbe übereinander machen, damit das Feuer länger in dem Ofen herumgehen und sich die Wärme länger darinnen aufhalten könne. Andere haben an einem Gewölbe genug. Die Öffnung, darin das Holz liegt, pflegt nicht gar weit und mit einem eisernen Türlein verschlossen zu sein. Diese Öffnung macht man innerhalb der Stube oder auch draußen. In Petersburg hält man es für einerlei. Einige glauben, es sei besser, daß die Stube von innen geheizt werde; einige halten es für besser, von außen. Die ersten glauben dazu deswegen Ursache zu haben, weil keine Wärme verlorengehe, sondern alle in der Stube bleibe. Die andern sagen, wenn man das innere Türlein des Ofens nur ein wenig zu früh zumache, so entstehe ein solcher schwefliger Dampf in der Stube, welcher entsetzliche Kopfschmerzen und Zittern und Schwachheit der Glieder verursache und den Atem benehme, dahingegen man, wenngleich das äußere Türlein etwas zu früh zugemacht werde, man von allen diesen Unbequemlichkeiten nichts empfinde.
   Ich halte es mit den letzteren. Denn der Dampf von einem zu früh zugemachten Ofen, welchen die Deutschen in Sankt Petersburg Dunst, die Russen Tschad oder Ugar nennen, entsteht, wenn man auf den vom ausgebrannten Holze zurückgebliebenen Kohlen noch eine blaue Flamme sieht. Es kommen demnach alle Wirkungen, die man davon empfinden muß, mit den Wirkungen der Kohlen überein, die noch nicht ausgebrannt sind, deren schädliche Dünste man auch in andern Ländern durch manche betrübte Exempel erfahren hat, da sie sogar zuweilen den Tod verursacht haben.
   Die meisten gemeinen Russen sind hierbei ziemlich unempfindlich, vielleicht, weil sie es von Kindheit an gewohnt sind, dergleichen Dünste zu ertragen. Jedoch erinnere ich mich auch, daß Körper in die Akademie gebracht wurden, deren Tod man nichts anderem zuschreiben konnte. Die Deutschen sind hierin weit empfindlicher. Ein solcher Dampf, wenn er auch nur gering ist, verursacht ihnen Kopfweh, einen Trieb zum Brechen, auch wirkliches Brechen, ein Zittern, nach und nach eine Schläfrigkeit, endlich einen solchen Schlaf, von dem der Schlafende gewiß nicht wieder aufwachen wird, wofern man ihn nicht in die freie Luft trägt und ihn alsdann durch starkes Rütteln wieder zu sich selber bringt.
   Ich schreibe dieses aus eigener Erfahrung. Das Zumachen der Öfen zu begreifen, muß ich noch etwas hinzusetzen, worin das Wesentliche der russischen Öfen besteht. Es wird von einem solchen Ofen, als oben beschrieben ist, ein enger Schornstein, der nicht viel über einen Schuh im Geviert hat, nach einer beliebigen Länge ausgeführt, welcher entweder an einer oder zwei Stellen von oben zugemacht werden kann. In diese Schornsteine kann man also nicht einsteigen oder sich darin umkehren, um sie zu reinigen. Wenn sie nicht gar zu lang sind, so kehrt man sie von oben und unten mit Besen oder bindet eine eiserne Kugel an einen langen Strick und um die Kugel alte grobe Lumpen und läßt sie durch den Schornstein herunterfallen, die dann eine Menge Ruß mit sich hinunter nimmt. Zuzeiten brennt auch der Schornstein aus; wenn er gut ist, so hält er und setzt das Haus nie in eine Gefahr. Er birst auch zuweilen, und in diesem Falle sieht es mit dem Hause gefährlich aus.
   Die Öfen werden gemeiniglich auf der Bühne unter dem Dachstuhl zugemacht. Daselbst ist eine Öffnung in dem Schornstein, worin eine Stürze (ein irdener hohler Zylinder, etwas enger als der Schornstein, welcher außen um die Höhlung mit einem erhabenen doppelten Rande versehen ist) eingesetzt wird. Zwischen den gedoppelten Rand der Stürze wird Sand gestreut, und darauf kommt ein Deckel, der in den Sand fest eingerieben und wodurch der Schornstein völlig verschlossen wird; folglich hört der Zug der Wärme nach oben auf, und sie bleibt in der Stube. Die Seite des Schornsteins, die man hatte öffnen müssen, um die Stürze einzusetzen, wird mit einem eisernen Türlein zur Sicherheit verschlossen. Will man die Stube einheizen, so wird der Deckel auf- und das Türlein zugemacht. Wenn eingeheizt ist, so macht man den Deckel zu, und das Türlein kann man offenstehen lassen oder zumachen. Andere machen die Stürze gleich im Anfange des Schornsteins, ganz zuunterst. Einige haben sie oben und unten. Man kann es aber nicht allemal machen, wie man will. Wann die Schornsteine in einem gemeinen geführt werden, so sieht man leicht, daß man sich mit den Stürzen auch danach richten und dieselben in dem Schornsteine, der dem Ofen eigen ist, machen müsse.
   Diese Art, die Schornsteine zuzuschließen, hat eine große Wirkung auf die Wärme der Stube. Ich habe erfahren, daß, nachdem die Stube des Morgens einmal recht geheizt und der Schornstein auf besagte Weise verschlossen worden, man auch bei der allergrößten Kälte nicht mehr nötig hatte, des Abends zum anderen Mal Feuer in den Öfen zu machen. In ganz Sibirien hält man dafür, daß die Öfen, die von außen und nicht inwendig in der Stube geheizt werden, die besten sind, weswegen auch in Jakutsk, da man doch wegen der Kälte besonders besorgt sein sollte, nicht leicht ein anderer Ofen zu sehen ist, und demungeachtet hat man daselbst an Warme in den Stuben keinen Mangel.
   Wenn ein Ofen gut zieht, so wird keine Wärme leicht zum Ofenloche herausschlagen; ist aber das Feuer ausgebrannt und der Schornstein verschlossen, so kann das Türlein zugemacht werden. Ich habe hingegen oben eine große Unbequemlichkeit erzählt, die durch die inneren Ofentüren entsteht. Und da man in Rußland, besonders in den kalten Ländern, nicht leicht ein Schlafzimmer ohne Ofen hat und gar zu früh einzuheizen pflegt, so kommt diese andere Unbequemlichkeit dazu, daß man durch das Einheizen im Schlafe gestört wird und das Gesinde in das Zimmer lassen muß. Die Liebhaber der inneren Ofentüren behaupten, daß, da man im Winter die Stuben mit großer Sorgfalt zuhielte, durch die Fenster auch nicht der geringste Zug sei, weil sie nicht nur im Winter niemals aufgemacht, sondern auch die allerkleinsten Ritzen mit Hanf verstopft würden, und daß es daher höchst nötig und der Gesundheit höchst ersprießlich wäre, die Luft in der Stube zuweilen zu erneuern, wie man denn in Spitälern und auf Schiffen, wo man mittels der Kunst die Luft verändert, wahrgenommen hätte, daß die Kranken solchergestalt eher gesund, die Gesunden aber weniger krank geworden wären.
   Diese Betrachtung ist in der Tat auch nicht gering zu halten; denn man verändert bei dem Einheizen innerhalb der Stube die Luft alle Tage. Ich gebe diesen Vorteil zu, wenn man nur verhüten könnte, daß Kohlendampf in die Stube käme. Man kann es verhüten, wofern der Ofen nicht zu früh zugemacht wird. Aber dazu sind die Dienstboten in Rußland gar schwer zu gewöhnen, weil sie es gern sehr warm in den Stuben haben, dessen sie sich durch das allzufrühe Zumachen der Öfen gewiß versichern wollen. Und deswegen gefällt mir die andere Art immer besser. Es gibt zur Erneuerung der Luft in den Stuben noch mehrere Mittel als das Feuer in den Öfen.
   
Gmelin, Johann Georg
Reise durch Sibirien; 2. Theil 1735-37
In: Sammlung neuer und merkwürdiger Reisen; 5. Theil
Göttingen 1752

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