1536 - Ulrich Schmiedel
Die erste Gründung von Buenos Aires
Argentinien
Sind also mit Gottes Segen Anno 1535 [richtig: 1536] am Rio della Plata glücklich angekommen. Allda haben wir einen indianischen Flecken gefunden, in dem ungefähr 2.000 Mannsbilder waren welche sich Zechuruas nennen. Die haben nichts anders zu essen als Fisch und Fleisch und geht dies Volk ganz nackt und bloß; nur allein die Weiber, die tragen ihre Scham bedeckt mit einem kleinen baumwollen Tüchlein, das ihnen vom Nabel bis auf die Knie geht. Als wir dahin kamen, haben sie mit ihren Weibern und Kindern die Flucht ergriffen und den Flecken verlassen.
Da befahl unser Oberster Don Pedro de Mendoza, dass man das Volk wieder zu Schiffe bringen und auf die andere Seite des Wassers Parana übersetzen solle, wo der Fluß nicht breiter als 8 Meilen ist.
An diesem Ort haben wir eine Stadt gebaut, welche man Buenos Aires nannte, das heißt zu deutsch gute Luft. Wir hatten auch auf den 14 Schiffen 72 Pferde und Stuten aus Spanien mitgebracht. Auf diesem Landstrich haben wir auch einen Flecken gefunden, darinnen indianisches Volk, das man Carendies nennt, wohnte. Es waren ungefähr 3.000 Mann samt Weibern und Kindern, so wie die Zechuruas von Gestalt und vom Nabel bis zu den Knien bekleidet. Sie haben uns Fisch und Fleisch zu essen gebracht.
Diese Carendies haben keine eigentliche Wohnung, sondern ziehen im Land herum wie bei uns die Zigeuner, und wenn sie zur Sommerszeit reisen, ziehen sie manchmal mehr als dreißig Meilen über trockenes Land, wo sie nicht einen Tropfen Wasser zu trinken finden. Und wenn sie einen Hirschen oder anderes Wild erlegen, trinken sie deren Blut. Sie finden und zuzeiten eine Wurzel, die sie Cardes nennen und gegen den Durst essen. Dass sie aber Blut der Tiere trinken, geschieht nur deshalb, weil sie so gar kein Wasser noch sonst etwas zu trinken haben und vielleicht sonst vor Durst sterben müssten.
Diese Carendies haben um die vierzehn Tage in ihrer Armut mit uns Fisch und Fleisch geteilt und in unser Lager gebracht und nur einen Tag, an dem sie nicht zu uns kamen, ausgesetzt. Deswegen hat unser Oberster Don Pedro de Mendoza einen Richter, Jan Baban genannt, samt zwei Knechten zu ihnen geschickt (denn dieses Volk der Carendies hielt sich bei 4 Meilen Weges von unserem Lager entfernt). Die verhielten sich aber dermaßen gegenüber den unseren, daß sie alle drei wohl verbläuten und sie dann wieder zurückschickten. Als aber unser Oberster Don Pedro de Mendoza dies nach Ansage des Richters vernommen hatte, was einen großen Aufruhr im Lager anfing, schickte er seinen lieben Bruder Don Diego de Mendoza mit 300 Landsknechten und 30 wohlgerüsteten Reitern, unter denen ich dann auch einer war, gegen sie aus, mit dem Befehl, die genannten indianischen Carendies alle totzuschlagen und zu fangen und ihren Flecken einzunehmen. Als wir aber zu ihnen kamen, waren ihrer wohl bei 4.000 Mann, denn sie hatten ihre Freunde zu sich gerufen.
Als wir sie dann angreifen wollten, stellten sie sich dermaßen zur Wehr, dass wir den ganzen Tag mit ihnen zu schaffen hatten; wie sie dann auch unseren Hauptmann Don Diego de Mendoza samt sechs Edelleuten töteten und von den Landsknechten zu Roß und zu Fuß ungefähr 20 erschlugen. Auf ihrer Seite aber sind bei tausend Mann umgekommen. Sie haben sich also gegen uns tapfer gewehrt, daß wir dessen gar wohl empfunden haben.
Diese Carendies haben zu ihrer Wehr Handbögen und Tardes; die sind wie halbe Spieße gemacht und haben vorne dran eine Spitze aus Feuerstein wie ein Pfeil. Sie haben auch Kugeln aus Stein und daran eine lange Schnur. Solche Kugeln werfen sie einem Pferd oder Hirsch um die Beine, so dass er fallen muss, wie sie auch unseren Hauptmann und die Edelleute (wie ich das selbst gesehen habe) mit diesen Kugeln umgebracht haben. Die Fußsoldaten aber haben sie mit den erwähnten Tardes erlegt. Doch gab uns Gott der Allmächtige die Gnade, dass wir sie besiegten und ihren Flecken einnahmen. Wir konnten aber keinen dieser Indianer fangen. So hatten sie auch ihre Weiber und Kinder, ehe wir sie angriffen, aus ihrem Ort fliehen lassen. Hier fanden wir dann nichts anderes als Kürschnerwerk von den Nüdern oder Ottern, wie man sie nennt, auch viel Fisch, desgleichen Fischmehl und Fischschmalz. Dort blieben wir 3 Tage und zogen danach wieder in unser Lager; doch ließen wir von unserem Volk hundert Mann im Flecken zurück, die sollten mit den Indianernetzen fischen zum Unterhalt unseres Volks, weil es dort ein besonders gutes Fischwasser gab.
Es bekam ein jeder am Tag nur sechs Lot Mehl vom Korn als Essen und jeden dritten Tag einen Fisch. Die Fischerei währte so zwei Monate lang. Wenn einer sonst einen Fisch essen wollte, musste er dafür einen vier Meilen Wegs danach gehen.
Als wir nun wieder in unser Lager kamen, teilte man das Volk auf in solche, die zum Krieg und solche, die zur Arbeit tauglich waren; denn es wurde jeder gebraucht. Und man baute da eine Stadt mit einen Erdwall darum, der einen halben Spieß hoch war, und darin ein festes Haus für unseren Obersten. Die Stadtmauer aus Erde war drei Fuß breit, und was man heute baute, fiel morgen wieder ein. Denn das Volk hatte nichts zu essen, litt sehr große Armut und starb vor Hunger. So wollten auch die Pferde nichts leisten. Der Mangel und die Hungersnot waren so groß, da es weder genug Ratten oder Mäuse noch Schlangen oder anderes Ungeziefer gab zur Sättigung des großen jämmerlichen Hungers und der unaussprechlichen Armut. So konnten auch die Schuhe und anderes Leder nicht bleiben, es mußte gegessen sein. Es begab sich, dass 3 Spanier ein Ross entwendeten und heimlich aufaßen. Und als man das gewahrte, wurden sie festgenommen und mit schwerer Pein deswegen befragt. Als sie nun solches bekannt hatten, wurden sie zum Tod am Galgen verurteilt und gehenkt. In derselben Nacht gesellten sich drei Spanier zusammen; die gingen zum Galgen zu den drei Gehenkten, hieben ihnen die Schenkel vom Leib herab und haben große Stücke Fleisch aus ihnen geschnitten und trugen die zur Sättigung ihres großen Hungers in ihre Unterkunft. So hat auch ein Spanier seinen Bruder, der in der Stadt Buenos Aires gestorben war, aus übermäßigem Hunger gegessen.
Als nun unser oberster Hauptmann Don Pedro de Mendoza sah und merkte, dass er seine Leute an diesem Ort nicht länger erhalten könnte, befahl er, aufs eiligste vier kleine Schiffe auszurüsten, die man Brigantinen, das sind Rennschiffe, nennt und die man rudern muss. In jedem mögen vierzig Mann fahren. Daneben ließ er noch drei andere bauen, die kleiner waren und die man Boot oder Bottel nennt. Als nun diese sieben Schiffe fertig und ausgerüstet waren, ließ unser Oberster Hauptmann die Leute zusammenrufen und schickte Georgen Luchsam mit 350 gerüsteten Männern den Fluss Parana hinauf, um Indianer zu suchen, damit wir Speise und Proviant bekommen möchten.
Als aber die Indianer uns wahrnahmen, konnten sie uns keine andere und größere Buberei antun, als Speise und Proviant und auch ihre Flecken zu verbrennen und zu zerstören, und alle flohen. Damit hatten wir wieder nichts zu essen. So gab es pro Mann nur drei Lot Brot am Tag, so dass also auf dieser Reise die Hälfte Hungers starb. Deshalb mussten sie wieder umkehren zum genannten Flecken, an dem unser Hauptmann Don Pedro de Mendoza war. Der wunderte sich sehr darüber, dass so wenig Volk wieder zurückkam, obwohl sie doch nur fünf Monate ausgewesen waren und begehrte deshalb von unserem Hauptmann Georgen Luchsam einen Bericht über den Verlauf dieser Reise. Der erklärte ihm daraufhin, dass die, so ausgeblieben, vor Hunger gestorben wären, weil die Indianer alles Essbare, wie schon erzählt, verbrannt hatten und geflohen waren.
Nach all diesem blieben wir noch einen Monat lang in der Stadt Buenos Aires in großer Armut zusammen und warteten, bis man die Schiffe hergerichtet hatte. Unterdessen - Anno 1535 [richtig: 1536] - kamen die Indianer mit großer Macht und Gewalt über uns und unsere Stadt Buenos Aires, etwa 23.000, und unter ihnen waren folgende Nationen: Carendies, Bartennis, Zechuruas und Tiembus. Dieser aller Absicht und Ziel war es, uns allesamt umzubringen und bis aufs Haupt zu erlegen. Aber Gott dem Allmächtigen sei Lob, Preis und Ehre gesagt, der die Mehreren und den größten Teil von uns erhalten hat; denn mit den Hauptleuten, Fähnrichen und anderem Kriegsvolk kamen auf unserer Seite nicht mehr als 30 Männer um.
Von den ersten Indianern, die gegen unsere Stadt Buenos Aires vorrückten, versuchten etliche einen Sturmangriff. Ein Teil schoss mit feurigen Pfeilen hinein auf unsere Häuser, die mit Ausnahme des Hauses unseres Hauptmanns, das mit Ziegeln gedeckt war, alle Strohdächer hatten. So brannten sie die Häuser unserer Stadt bis auf den Grund nieder. Diese Pfeile der Indianer sind aus Rohr gemacht, die sie an der Spitze anzünden, ehe sie sie abschießen. Sie haben auch Holz, aus denen sie Pfeile machen. Wenn sie angezündet und geschossen werden, erlöschen sie nicht, sondern sie entzünden die mit Stroh gedeckten Häuser und was sie antreffen.
So verbrannten uns auch die Indianer in diesem Gefecht vier große Schiffe, die eine halbe Meile von uns entfernt auf dem Wasser lagen. Das Volk aber auf diesen vier Schiffen, als es den großen Tumult der Indianer sah, floh auf die drei anderen Schiffe, die nicht weit davon lagen und mit Geschützen bestückt waren. Und als sie die vier Schiffe, die von den Indianern angezündet worden waren, brennen sahen, stellten sich zur Wehr und ließen das Geschütz auf die Indianer abgehen. Als das die Indianer sahen und das Geschütz vernahmen, zogen sie alsbald davon und ließen die Christen in Frieden. So geschehen am St. Johannistag im Jahr 1535 [richtig: 1536].
Da nun alles vergangen und vollendet war, musste alles Volk in die Schiffe gehen. Und unser oberster Hauptmann Don Pedro de Mendoza übergab das Volk und das ganze Regiment an seiner Statt im Verzicht an Johan Eyollas und machte ihn zu unserem Generalhauptmann. Der musterte das Volk und fand, daß von den 2.500 Mann, die ausgefahren waren, nicht mehr als 560 noch am Leben und vorhanden waren; die anderen waren alle gestorben und meistenteils durch den großen Hunger umgekommen.
Danach ließ unser Hauptmann Johan Eyollas acht kleine Schiffe, Brigantinen und Boote, sinnvoll ausrüsten und nahm darauf 400 von den 560 Mann, die noch vorhanden und verblieben waren, mit sich. Die anderen 160 ließ er auf den vier großen Schiffen unter dem Kommando des Hauptmanns Johan Romero zurück, damit sie auf diese achten sollten. Und er gab ihnen für ein Jahr Proviant, der dann reichen würde, wenn jeder Soldat täglich acht Lot Brot bekäme, von dem er aber nicht satt werden konnte. Wer aber mehr haben wollte, der mußte sich selber darum kümmern.
Vierte Schiffart. Warhafftige Historien. Einer wunderbaren Schiffart, welche Ulrich Schmiedel von Straubing von Anno 1534 biß Anno 1554 in Americam oder Neuwewelt, bey Brasilia vnd Rio della Plata gethan …
Hrg. von Levinus Hulsius
Nürnberg 1602