1822 - Clemens von Althaus, Offizier der Befreiungsarmee
Vom Unterschied der Klassen
Lima, Peru
Der Unterschied der Rassen übt hier, fast mehr als in irgendeinem anderen Teil Südamerikas, einen mächtigen Einfluß auf die Verhältnisse der Gesellschaft aus. Zuerst kommen die Weißen, d.h. die Abkömmlinge von Spaniern oder Altspanier. Eine zweite Hauptabteilung bilden die sogenannten farbigen Leute, die aus der Mischung von Weißen, Negern und Indios entstehen, nämlich die Sambos (Mulatten, von Weißen und Schwarzen), die Sambo-Chinos (von Indios und Schwarzen abstammend), die Qarterones, die sich schon mehr den Weißen nähern, und dann die bis ins Unendliche fortgehenden Mischungen unter diesen. Eine dritte Hauptabteilung besteht aus den Indiern [im Folgenden Indios genannt], und zwar aus den Indios aus dem Inneren des Landes, welche durch Sprache und Sitten völlig abgesondert sind, sowie aus den Indios an der Küste und den Mestizen (einer Mischung von Spaniern und Indios): Endlich kommen die Neger, die jedoch nur an der Küste zahlreich sind, und, meist als Sklaven, den Ackerbau sowie alle Arbeit in den Plantagen verrichten. Die sogenannte gebildete Klasse besteht bloß aus den Altspaniern und den wohlhabenderen Kreolen. Meist waren die Spanier, die hierher kamen, arm; indessen hatte selbst der ärmste Schuhputzer jenes Landes mehr Anspruch auf den Titel eines Caballero als der reichste Kreole. Nicht nur bei Besetzung der öffentlichen Stellen erhielten sie den entschiedensten Vorzug, sondern auch den Ärmsten gelang es, eine reiche Kreolin zu heiraten. Dadurch geschah es, daß sowohl die ersten Zivil- und Militärstellen als auch fast das ganze Kapitalvermögen des Landes in ihre Hände kamen. Die Reichen kauften für 20-30.000 Piaster einen Marquis- oder Grafentitel und stifteten Majorate, wodurch sich der älteste Sohn als Erbe des Ganzen denn auch jeden weiteren Strebens nach Ausbildung enthoben glaubte. Die jüngeren Söhne, die auch nichts lernten, errichteten einen Kramladen oder wurden Pfaffen. Auch gab es viele Stellen, die keine besonderen Vorkenntnisse erforderten, und welche von diesen Menschen gekauft wurden, um in Verwaltung derselben ihr ausgelegtes wie ihr künftiges Kapital sich beiseite zu schaffen. Endlich war auch der Großhandel stets in den Händen weniger Spanier, die sich mit den Vizekönigen wohl verstanden und mit Hilfe des Cadixer Monopols Millionen erwarben. Wie in dieser Verbindung von Glücksjägern, von Unwissenheit und Betrug, Bildung und Sitte beschaffen sein konnten, läßt sich leicht ermessen.
Die Frauen teilen die Entwürdigung der Männer. Coquetterie und Putz bilden ihre einzige Beschäftigung. Der ungeheure Luxus, der hier herrscht, hat auch bei ihnen fast jedes andere Interesse als das des Geldes verdrängt, und sie sind mit allen Ränken vertraut, um sich diese zu verschaffen. Dabei sind sie ebenso ungebildet als träg. Den ganzen Tag sitzen sie auf dem Sopha und rauchen Cigarren. Die Kinder sind in den Händen der Negerinnen und Mulattinnen, und leben mit diesen und wie diese in dem Schmutz des Hinterhauses. Nähen, Kochen und alle ähnliche Arbeiten werden bloß von den niederen Klassen verrichtet. In sehr vielen Häusern z.B. wird gar nicht gekocht, sondern jedes einzelne Glied der Familie schickt, wie es ihm gerade einfällt, nach den öffentlichen Plätzen und Straßen, wo tausende von Negerinnen und Mulattinnen allerlei höchst unsaubere und unschmackhafte Speisen kochen, sieden und braten. Sie können sich denken, wie mir zu Mute war, wenn ich in irgendein gutes Haus zu Besuch kam und nun hier die Mutter vor einem Stück gebackenen Fisch, dort eine der Töchter vor einem Stück Kuchen, eine zweite vor einem Teller Brei, eine dritte vor einem Gericht Reis etc. erblickte, jede abgesondert für sich und in höchst preziöser Haltung ihrer Portion, welche auf einem schmutzigen, irdenen Teller oder auf einem Stück Kürbisschale lag, verzehrend, ohne andere Gerätschaft als ihre Finger, mit denen sie jede Speise sehr geschickt zum Munde zu bringen wissen. Unter sich sehen sich hier die Weiber wenig, wissen aber Alles, was bei den anderen vorgeht, und leben, wegen der vielen Collisionen in ihren Liebeshändeln, in steter Feindschaft.
Die hiesigen Bildungsanstalten bestehen aus einigen Universitäten, wie man sie hier nennt, aber eigentlich schlechten Collegien, wo etwas Mathematik, alte Philologie und sogenannte Philosophie gelehrt wird. Die Juristen, namentlich die Advokaten, erlernen ihre Wissenschaft wie ein Handwerk bei einem anderen. Die Pfaffen werden in den Klöstern abgerichtet. Die Ärzte endlich treiben ihr Studium und ihr Gewerbe wie bei uns die Barbiere, und sind überdies meist Mulatten, da auf der ganzen Kunst hier eine Art Infamie ruht, etwa wie in manchen Ländern Europas auf dem Gewerbe der Abdecker.
Bücher sind selten, und namentlich bei den Bibliotheken sorgte die Inquisition durch Confiscation der allerunschuldigsten Werke dafür, daß sie kein Mittel zur Verbreitung der Aufklärung würden.
Handwerke und Künste sind ebenfalls weit zurück, und selbst der Hauptnahrungszweig des Landes, der Bergbau, wird in höchstem Grade schlecht und nachlässig betrieben. Trotz all dem ist aber doch nicht zu leugnen, daß sich hier nicht nur einzelne sehr aufgeklärte und gebildete Menschen finden, sondern das auch das Volk im Ganzen sehr gute Anlagen und ein sehr schnelles Fassungsvermögen zeigt, so daß eine von außen ungehemmte Entwicklung vielleicht in nicht sehr ferner Zukunft ganz andere Resultate zeigen dürfte, als bisher unter dem doppelten weltlichen und geistlichen Druck möglich waren. Das fortdauernd ungewisse Verhältnis zu dem sogenannten Mutterlande, innere Parteiungen, ein Kampf mit den Nachbarstaaten, ein Rivalitätsverhältnis gegen Nord-Amerika (das sich vielleicht später mehr und mehr entwickeln dürfte), alles dies kann nur dazu dienen, die in Schlummer gesunkene Tätigkeit der Bewohner nach allen Seiten aufzuregen; und da, wo der Himmel so glücklich ist, daß die Natur dem Menschen auf halbem Wege entgegenkommt, da bedarf es nur der Tätigkeit, um nach innen und nach außen die glücklichsten Resultate sich entwickeln zu sehen. Der Kampf nach außen und der Meinungskampf im Innern wird die in Geistesdruck und Sklaverei begraben gelegene Selbstständigkeit wieder erwecken; Verbreitung der Kenntnisse und freiere Bildung wird der eingewurzelten Selbstsucht eine großartigere Richtung und ein vielversprechenderes Ziel geben. Das Meer wird auf seine Bahnen locken, und auf ihm wird das englische Blut der Nord-Amerikaner mit dem spanischen Süd-Amerikas zusammentreffen, und im gegenseitigen Ringen nach Einem Ziele sich heben und beleben. Doch kehren wir zu den allgemeinen Betrachtungen zurück, um auch die übrigen Rassen dieses Landes noch etwas näher ins Auge zu fassen.
Die Indios der Küste, die alle nur die spanische Sprache sprechen, sind die Ackerbauern des Landes und versehen die Städte mit allen Erzeugnissen des Bodens. Ihr allgemeiner Hang zur Faulheit läßt sie aber nicht im geringsten vorwärts kommen, indem sie nur so viel arbeiten, als sie brauchen, um notdürftig leben zu können. Dies aber beschränkt sich auf sehr weniges, denn sie sind äußerst genügsam und bedürfnislos. Sie tragen übrigens alle Merkmale eines unterdrückten Volkes an sich, sind kriechend, äußerst höflich, dabei unter sich stolz, und mit einem tödlichen Haß gegen alle Weißen erfüllt. Daher mischen sie sich auch, wenigstens in den Dörfern, nie mit Weißen; nun in und bei den größeren Städten gibt es Mestizen. Die letzteren, so wie die farbigen Leute, wie Mulatten, Quarterones und alle übrigen Mischungen machen die gemeine Arbeitsklasse in den Städten aus. Das ist, im Ganzen genommen, ein sehr vorzüglicher Menschenschlag. Sie sind lebhafter, arbeitsamer und industriöser als alle übrigen Klassen, und da sie gegen diese auch außerdem an Volkszahl sehr überwiegend sind, so hatte man früher von ihrem unternehmenden Geiste Alles zu fürchten.
Die Indios der Sierra oder des Inneren machen die Hauptbevölkerung des Landes aus, sind aber, schon durch ihre beibehaltene alte Muttersprache, von den übrigen Klassen fast ganz abgesondert. Sie leben im Innern der Sierra, wo es schon ziemlich kalt ist, in kleinen, mit Stroh bedeckten Hütten, welche von trockenen Steinen aufgebaut und mit Moos ausgestopft sind. Ihr Bett ist ein Schafsfell, auf dem sie, stets angekleidet, liegen. Sie leben in größter Armut und sind, wie die Indios der Küste ebenso träg wie bedürfnislos. Die Männer treiben bloß Viehzucht; die Weiber hingegen versehen das Hauswesen, spinnen, weben und bestellen das Feld. Sie bauen Erdäpfel, Mais und süße Pataten und machen auch Käse. Einen Teil davon verkaufen sie in die Städte, und der geringe Erlös reicht hin zur Befriedigung ihrer noch geringeren Bedürfnisse. Gastfreiheit ist beinahe jedem Indio heilig. Der Mais ist ihre Hauptnahrung, und ihre gewöhnliches Getränk der Chica, eine Art Bier, welches ebenfalls aus Mais bereitet und durch Hinzumischung von allerlei Kräutern und Zucker sehr berauschend gemacht wird. Wasser halten sie für schädlich und trinken es sehr selten.
Ihr langes, schlichtes Haar ist ihre Lieblingszierde. Die Weiber schlingen es in viele kleine Flechten, die über den Rücken, oder in zwei große, die über die Brust herabhängen. Die Männer hingegen flechten es in einem langen Zopf, den sie beim Eintreten in die Kirche auflösen, beim Heraustreten aber sogleich wieder zusammenbinden, was noch von ihren früheren heidnischen Zeiten herrühren soll. Überhaupt macht sich ihre Anhänglichkeit an die alten Gebräuche und an den Aberglauben ihrer Väter überall bemerkbar. Statt daß die Neger, selbst die unmittelbar aus Afrika kommenden, im Durchschnitt alle sehr eifrige Christen werden, sind die Indios nur den Ceremonien des Christentums zugetan. Willig verwenden sie ihr ganzes Einkommen auf Feste und äußere Religionsgebräuche (welches die Pfaffen sehr gut zu benutzen wissen), sonst aber folgen sie mehr ihren nationalen Sagen und Überlieferungen; und so wie der Inhalt ihrer meisten Lieder nur die Taten ihrer Väter besingt, so mischt sich auch in ihren Gottesdienst stets die unvertilgbare Erinnerung an ihre frühere Landesreligion, wo die Kinder der Sonne noch die glänzenden Feste ordneten. Deswegen wurde sie auch bis jetzt vom Papste noch nicht für mündig im Glauben erklärt, was doch sonst bei allen Neubekehrten geschah. Blickt man etwas tiefer, so möchte vielleicht gerade in diesen Zügen eine Andeutung liegen, daß ein Volksstamm, der so sehr an der Eigentümlichkeit der Väter hängt, und für Feste und öffentliche, ihm als heilig erscheinende Beziehungen sein ganzes Einkommen willig opfert, daß ein solcher Volksstamm, sage ich, selbst in den Verirrungen dieser Eigentümlichkeit, die aus seiner bisherigen natürlichen Lage notwendig hervorgehen mußten, eine edlere und höhere Seite seines innern Lebens zeigt, die aber freilich erst durch das Christentum, oder wenigstens durch das zu jedem geistigen und politischen Frevel mißbrauchte Chrsistentum, nicht entfaltet werden konnte, so daß der harmlose Indio nur der heitern Seite jener ihm sonst fremden Lehre sich zuwandte, den Festen und Ceremonien, die seiner sinnlichen Natur zusagten und ihm seine früheren nationalen Feierlichkeiten, vielleicht auch mancher äußeren Ähnlichkeit wegen, ersetzen. So möchte denn auch seine Trägheit und Bildungslosigkeit zuletzt auf einem Grunde beruhen, der, statt eine Anklage gegen ihn mehr eine Anklage gegen die Europäer werden dürfte. Jede Tätigkeit nach außen ward durch die ins Land eingedrungenen Fremden gehemmt, jede Frucht der Tätigkeit im Innern ward eine gewisse Beute des Despotismus, des Raubs oder des Betrugs dieser Fremden. Was konnte da anders entstehen als daß das um die Freiheit und das Land der Väter betrogene Volk sich in völliger Passivität zurückzog, um abgesondert, mit halb traumartiger Erinnerung an die Vorzeit, bloß in und mit der Natur zu leben, die ihm freiwillig Alles bot, was seine Genügsamkeit bedurfte, so daß es nicht von heute auf morgen sorgt, sondern Alles hingibt für Putz und Fest als das Einzige, was ihm in solcher Lage noch zu heitern Ausschmückung seines sonst so einfachen Daseins dienen konnte.
Die Neger endlich betreffend, so wurde allen, welche zur Verteidigung des Landes die Waffen ergriffen, die Freiheit gegeben. Bei den übrigen, welche meist als Sklaven auf den Gütern der Reichen an der Küste alle Arbeit verrichteten, wurde wenigstens die körperliche Züchtigung in den meisten Fällen abgeschafft. Auch früher schon wurden sie hier viel besser behandelt als in den übrigen europäischen Kolonien, und nie zu übertriebener Arbeit angehalten. Indessen ist durch jene Emancipation sowohl als durch diese Milderung ihrer Behandlung zum augenblicklichen großen Nachteil des Landes eine bedeutende Störung und Vernachlässigung im Betreibe des Ackerbaues eingetreten, wodurch – besonders, da die jetzt geborenen frei sind – eine ganz neue Ordnung herbeigeführt werden wird.
Althaus, Clemens von
Mittheilungen aus Süd-Amerika von einem deutschen Offizier
In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 25
Stuttgart und Tübingen 1827