Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1691 - Engelbert Kämpfer
Tempel in Kyoto

 

Der 18. April war der letzte Tag unseres Aufenthaltes in Miaco, an welchem nach hergebrachter Gewohnheit den vom Hofe kommenden Holländern die Herrlichkeit der am Abhang eines waldigen, wilden Gebirges gelegenen miacoschen Tempel als der größten, kostbarsten und angenehmsten des ganzen Reiches zur Besichtigung dergestalt freigegeben ist, daß dies sogar niemals verabsäumt oder unterlassen werden darf, auch wenn unser Resident oder Führer keine Lust dazu hätte.
   Nach der Mittagsmahlzeit also begaben wir uns mit Norimons [Prachtsänften] auf den Weg. Zuerst mußten wir eine Straße, wo wir hereingekommen, wieder zurück bis über die Brücke, von da eine Meile rechts und bald darauf ostwärts des Gebirges durch sehr gleiche, saubere, lustige, mit kleinen Häusern, Buden, Kramläden und. Werkstätten besetzte Gassen, wo wir eine lange, breite Allee oder Platz, der noch im gleichen und ebenen Grund und Boden der Stadt lag, an dem Fuß des Berges aber über 1000 Schritte fortlief, betraten. Mithin gelangten wir
   1. zu dem kaiserlichen vortrefflichen Tempel Tsugannin oder vielmehr Tschuganin. Das Tor war prächtig, groß und mit einem erhabenen doppelten Dach, wie das hierzulande an den Schloßtürmen und Tempeln zu sein pflegt. Wir stiegen aus den Norimons, um die Erde mit Füßen zu berühren, was eine Art von Ehrerbietung ist und außer dem Kaiser von allen Bewohnern des Reiches geschieht. Am Ende der mit kleinen Steinen und Grand gepflasterten Allee, an deren Seitenhöhe Häuser für die Tempelbedienten standen, ging man weiter, bald links, bald rechts, auf eine erhöhte, mit feinem Sand belegte, auch mit Bäumen und allerhand Gesträuchen besetzte Ebene; und nach Passierung zweier mehr zur Pracht als Gebrauch von Holz errichteter schöner Gebäude trat man einige saubere Treppen hinauf in ein großes, weites und fast gegen die japanische Bauart hohes hölzernes Haus, dessen Vorderteil ebenfalls viel höher und schöner als am kaiserlichen Schloß selbst war. Die Galerie war gefirnißt, die inwendigen Kammern mit feinen Matten belegt. In der Mitte des ersten äußeren und großen Saales befand sich eine Kapelle mit einem krausköpfigen, mit allerlei Auszierungen, lackierten Sachen und kleinen Götzen prangenden großen Götzenbild, zu den beiden Seiten hingegen die eine oder, andere kleinere Kapelle von minderem Ausputz und Ansehen. Wir wurden von da zu zwei abgesonderten Gemächern geführt, wo nämlich der Kaiser seinen Sitzplatz hat und die um zwei Matten höher als die Vorkammern waren. Durch zwei Türen konnte man aus diesen in die vorerwähnte Kapelle, sehen. Zunächst diesen beiden Gemächern an dem Fuß des mit Buschwerk besetzten hohen Berges (an welchem im Aufsteigen verschiedene kleine, anmutige Tempel im Grünen verborgen blieben und der über eine Klafter hoch regelmäßig mit Felssteinen aufgeführt war) lief ein schmaler japanischer Lust- oder Ziergarten her, ein enger, mit kleinem Flußsand oder Steinen belegter Platz, nämlich in dem die Kunst durch gemachte kleine, artige, bewachsene Klippen, rare Steine, gehörig angebrachte Bäume, seine schon von Natur ordentliche Lage verschönte, wozu noch kam, daß ein durch jene Klippen krumm und unordentlich laufendes flaches und mit verschiedenen steinernen Brücken zur Zierde versehenes Wasser, das eine wilde See in einem so engen Räume vorstellte, einen erfreulichen Anblick bot.
Linkerseits durch ein Tor kamen wir von hier in einen etwa 30 Schritte am Berge höher gelegenen kleinen Götzentempel, in welchem die Namen der verstorbenen Könige in einer geschriebenen Tabelle aufgehoben und verwahrt wurden. Inwendig ringsumher sowie vorn und zu beiden Seiten des Götzenstandbildes waren niedrige Stühle gesetzt; auf jedem derselben lagen drei große und ein kleines Stück von Handschriften als ein Formular zur Fürbitte für die Seele Genjosin. Einige mit groben Gittern bedeckte Almosenkästen zum Einwurf der Putjes [kleinen Münzen] hatte man vor dem Tempel und vor diese Kästen einen kleinen erhöhten Stuhl zum Predigen hingesetzt. Die uns beigegebenen jungen, starken und wohlaussehenden Pfaffen (die von keiner schlechten Erziehung zu sein schienen) führten uns hierauf über einen besonderen Platz in einen anderen, sehr ansehnlichen, auf dreißig Säulen (jede anderthalb Klafter dick) ruhenden Tempel, dessen äußere Zierde vornehmlich in den mit Steinen belegten gedoppelten Dächern bestand, welche über den Tempel und über die auswendige Galerie weit hervorragten, mit viermal übereinander erhabenen roten Querbalken, Pfosten und Leisten, auch vierfach untereinander herausliegenden Balken, deren Rand mit gelber Farbe angestrichen war. Inwendig war der Tempel mit Matten belegt, sonst aber bis unter das Dach leer; zur Rechten in einem Winkel ein großer und zur Linken ein anderer Platz, in der Mitte aber eine Art von Kapelle, wo viele Götzenbilder in schwarzlackierten und zugemachten Behältern standen; das mittelste derselben schien mit einer Decke behangen zu sein, davor war ein runder Spiegel und ein mit Gittern bedeckter Almosenkasten angebracht.
Von hier gingen die Pfaffen mit uns in eine andere, von außen zwar schlechter aussehende, von innen jedoch nicht minder zierliche Behausung, in welcher man das mittlere Gemach zu einer Götzenverehrung bestimmt und aufgeputzt, auch für uns zugleich ein Traktament bereitet hatte, das aus Champignons, gebratenen Bohnen, Kuchen, Atscharfrüchten, Wurzeln und Erdgewächsen und einem Sakitrunk bestand und wobei wir von sechs Pfaffen, von denen der älteste 26, der jüngste etwa 16 Jahre alt sein mochte, bedient wurden. Nach Verlauf von anderthalb Stunden begleiteten uns zwei Pfaffen bis an die Grenze der Allee oder den großen Vorplatz dieses kostbaren kaiserlichen Klosters, das überhaupt noch 27 andere Tempel in seinem Umfang haben soll. Einige tausend Schritte durch einen wilden Lustwald lag nun
   2. der Tempel Gibon oder der Blumentempel genannt, wohin einige von uns zu Fuße gingen, andere sich aber tragen ließen. Es war derselbe von vielen, etwa 30 bis 40, kleinen Kapellen in regelmäßiger Form umgeben, auch an verschiedenen Orten mit Krambuden ringsumher besetzt sowie mit durch Bäume artig eingefaßten Plätzen zum Pfeilschießen versehen, gleich als ob es nur zur Lust der jungen Leute sein sollte. Der Tempel an und für sich machte ein langes, enges Gebäude aus, wobei der in der Mitte durch eine Galerie abgesonderte Ort einen großen und ihm zu den Seiten viele kleine Abgötter nebst anderen Auszierungen in sehr großer Menge enthielt. So sah man unter anderem ein gefirnißtes, ziemlich großes Jungfernbild von ungefähr zwei bis drei Klafter Länge; Teufel, Helden und dergleichen Figuren hin und wieder in nicht geringer Anzahl, ein holländisches Schiff, einige Säbel und mehrere solcher ungereimter Sachen durcheinander. Eine halbe Meile von da durch einen Bergweg, Ziwaon Jasakki (sprich Sjiwon Jasakki), d. i. die Bettler- und Hurengasse, ließen wir uns
   3. zu dem merkwürdigen Tempel Kiamitz forttragen. Erst kamen wir an einen hohen Turm von sieben Dächern, in dessen unterstem, einige Stufen von der Erde erhöhtem Altar ein großer und einige kleine goldene Götzen standen; sodann etwas weiter nach dem Gebirge hin zu dem Tempel selbst, an einem seitlichen Abfall des Berges gelegen, der die eine Seite unterstützte, wogegen die andere Seite durch hohe, bis auf die Tiefe des Grundes reichende Pfähle von 8 1/1 Ikin [Klafter, Mattenlängen] gesichert war. Wir trafen hierselbst ein Gewimmel von Menschen an. In der Mitte des mit einem Gitter verschlossenen Platzes befand sich ein großer runder Spiegel, zwei Almosenkästen und einige Gumgum [Glocken], die derjenige, der etwas in den Kasten legte, mit dem daran hängenden dicken Stricke anzog und in den Ton brachte. Unweit davon lief eine steinerne Treppe von 85 Stufen hinab zu einem aus dem Gebirge fließenden Springbrunnen von drei Strahlen, Otowan takki genannt, einem Wasser, welches die Kraft haben soll, daß alle, die davon trinken, weise und klug werden. Ich fand es sehr klar und im Geschmack von allem übrigen miacoschen Wasser gar nicht unterschieden. Man ging hier an einer an der Bergseite aufgemauerten Ebene an einigen in einer krummen Linie gebauten Kapellen und kleineren Tempeln vorbei bis zu einem noch in diesen Bezirk gehörigen größeren, ebenfalls senkrecht an der Seite des Berges heraufragenden Tempel von gleicher inwendiger Beschaffenheit wie der erste und einer sehr schönen Aussicht. Die vornehmsten Götzen darin saßen mit zusammengefalteten Händen, so daß sie mit dem Zeigefinger den Daumen berührten. Danach ließen wir uns tragen
   4. zu dem großen Daibotstempel, nicht weit von der Heerstraße unseres Weges nach Fizimi entfernt, wo wir erst in ein kleines Wirtshaus eintraten und das Abschiedstraktament unseres Wirtes einnahmen, das wir aber mit einem Cobang und also vierdoppelt bezahlen mußten.
Der Daibotstempel befand sich auf einem an dem Wege gelegenen hohen Ort, der vorderste Platz wurde mit beinahe zwei Klafter im Quadrat großen Steinen im Verhältnis zur Höhe abgeschlossen; auch war er mit einer auswärts unsichtbaren, innen aber offenen Galerie umgeben, deren etwa drei Klafter hohes Dach von jeder Seite auf 25 runden hölzernen Säulen der Länge nach, jedesmal drei nebeneinander in der Breite gesetzt, ruhte. Ein schmales, mit hohen Pfeilern und zur Pracht mit einem doppelten Dachwerk versehenes Gebäude machte die Eingangspforte aus, allwo zu beiden Seiten auf einem ein Klafter hohen Fußgestell die vier Klafter hohe Statue eines schwarzen, dicken, nackten und nur mit einem fliegenden Tuche umgürteten, löwenmäßig gebildeten Helden zu sehen; jede derselben hatte ihre besondere Bedeutung, der Meister aber hatte das Verhältnis der Teile sehr wohl getroffen.
Dieser Pforte gegenüber in der Mitte des Platzes stand das Gebäude des Tempels selbst, ein Gebäude, das alle anderen in der Stadt Miaco an Höhe übertrifft, ja sogar das höchste ist, das ich in Japan gefunden. Es hat ein doppeltes Dach und ruht auf achtmal 12 oder 92 Pfeilern (wenn nämlich vier, die in der Mitte weniger sind, davon abgezogen werden); lange, unter das erste Dach laufende schmale Türen verschaffen fast überall einen Eingang. Inwendig ist alles bis unter das äußerste Dach offen, das durch viele wunderlich ineinandergefügte und rot angestrichene Balken befestigt wird; da wegen der Höhe kein Licht oben hinkommen kann, so ist es daselbst ganz finster. Der Fußboden des Tempels war wider die sonst gewöhnliche Manier mit Quadersteinen belegt, die Pfeiler hingegen von Holz, aus verschiedenen Balken zusammengefügt, 2 1/2 Klafter dick und wie alles übrige Holzwerk rot gefärbt.
Wir sahen keine anderen Zierate als ein ganz vergoldetes Götzenbild von unglaublicher Größe, so daß sich drei Matten in dessen flacher Hand hätten ausbreiten lassen. Es hatte lange Kuhohren, krause Haare, vor der Stirn einen vergoldeten Flecken und eine güldene Krone auf dem Haupte, was durch das obere Fenster über dem ersten Dach gesehen werden konnte. Die Schultern waren bloß, Brust und Leib mit einem fliegenden Tuch geschnitzt, die rechte Hand etwas erhaben, und die linke vor sich offen. Es saß auf indianisch in einer Tarateblume, die noch von einer anderen, mit ihren Blättern von der Erde sich erhebenden Blume von Gipsarbeit umgeben war, beide über den ordentlichen Fußboden etwa zwei Klafter erhöht. Der Rücken war mit einem hohen, länglichen, runden Blätterwerk in der Breite von vier Säulen bedeckt und mit kleineren, in einer Tarateblume sitzenden Götzen von menschlicher Figur besetzt, das Götzenbild für sich aber so breit, daß es von einer Säule bis zu der andern, welches nach unserer Ausmessung fünf Klafter betrug, mit den Schultern rührte. Ein achteckiges hölzernes Gitter umgab zugleich mit der Tarateblume seinen Sitzplatz, weshalb man in der Mitte vier Säulen weggelassen hatte. Eine andere, nur mit einem Dache errichtete Pforte führte uns danach auf einen nebenan zur Seite gelegenen Platz, wo man uns ein Gumgum oder eine Glocke nach hiesiger Landesart von wunderbarer Größe zeigte. Sie hing in einem niederen hölzernen Turm, war eine gute Spanne dick und beinahe eine Benjosenpike tief, im Umkreise aber von 21 Fuß. Weiterhin auf demselben Platze stand
   5. noch ein langes Tempelgebäude; in dessen Mitte saß ein mit ungefähr 46 Armen versehenes großes Götzenbild; es war von sechs stehenden schwarzen Helden in Mannsgröße umgeben. Zu beiden Seiten sah man in einer stufenweise geraden Linie Reihen vergoldeter, ebenfalls stehender Götzen von gleicher Gestalt mit etwa 20 Armen. Die vordersten hielten einen schmalen, langen Hirtenstab, die übrigen aber Hauben, Rosenkränze, Beile und allerlei Arten von Instrumenten und Zieraten. Über dem Haupt des großen Götzen (das hinten ein strahlender Zirkel bekrönte) saßen sieben kleine, von denen der mittelste kleiner war als die anderen; ihnen waren die Brüste mit mancherlei Zeichen und zierenden Sachen behangen. Alle die übrigen Götzen sind einer wie der andere in Lebensgröße gestaltet und stehen neben- und in 10 bis 12 Reihen hintereinander, so daß allemal die hinterstem eine Kopfhöhe voraushaben. Die ganze Anzahl derselben erstreckt sich auf 33.333, daher auch der Tempel San man, San sjin, San biak, San sju, San tai, d. i. 33.333-Bildertempel, genannt wird.
Nachdem wir denn also diese Tempel besichtigt, traten wir außen vor der Pforte wieder in unsere Norimons und wurden eine große Meile geraden Weges bis zu der Stadt Fizimi oder Fusimi und dort auf den nach der Lage des Ortes hindurchgehenden krummen Gassen bis zur Herberge getragen.

 

Kämpfer, Engelbert
Geschichte und Beschreibung von Japan
Hrg. von C. W. von Dohm
2. Band, Lemgo 1779

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