Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1843 - Richard Lepsius
Heuschreckenplage bei den Pyramiden

 

Ich war in einen Mumienschacht gestiegen, um einige aufgefundene Sarkophage zu öffnen, und war nicht wenig erstaunt, mich beim Heraussteigen in einem wahren Schneegestöber von Heuschrecken zu finden, die, fast den Himmel verfinsternd, über unseren Köpfen von Südwest aus der Wüste nach dem Tale zu Hunderttausenden zogen. Ich hielt es für einen einzigen Zug, und rief in Eile die anderen, daß sie das ägyptische Wunder auch schauen möchten, ehe es vorüber war. Aber der Zug dauerte fort, ja die Arbeiter sagten, er hätte schon vor einer Stunde begonnen. Nun bemerkten wir erst, daß die ganze Gegend weit und breit mit Heuschrecken bedeckt war. Ich schickte einen Diener in die Wüste hinein, die Breite des Zuges kennen zu lernen. Er lief wohl eine Viertelstunde weit, kam dann zurück und sagte, so weit er habe sehen können, sei kein Ende zu entdecken. Ich ritt nach Hause, immer inmitten des Heuschreckenwetters. Am Rande der fruchtbaren Ebene fielen sie in Scharen nieder; so dauerte es den ganzen Tag fort bis zum Abend, und so den anderen vom Morgen bis zum Abend, und den dritten, ja bis zum sechsten Tag, in schwächeren Zügen noch länger. Erst vorgestern scheint ein Gewitterregen die Nachzügler niedergeschlagen und in der Wüste vernichtet zu haben.
   Die Araber machen nun große Rauchfeuer auf ihren Feldern an, klappern und schreien den ganzen Tag, um ihre Saaten gegen den unerwarteten Überfall zu schützen. Es wird ihnen aber wohl wenig helfen. Wie eine neue lebendige Vegetation bedecken diese Millionen geflügelter Grünfresser selbst die angrenzenden Flächen dergestalt, daß vom Boden fast nichts zu sehen ist, und wenn sie von einem Punkte aufsteuben, fallen sie rundum auf die nächste Umgebung wieder nieder; sie sind matt von der langen Reise, und scheinen vor Begier ihre hohen Bäuche zu füllen und im Gefühl ihrer ungeheuren Überzahl selbst alle Furcht vor ihren natürlichen Feinden, vor Menschen, Tieren, Rauch und Lärm verloren zu haben. Am wunderbarsten aber bleibt mir ihre Herkunft aus der nackten Wüste und der Instinkt, der sie aus irgend einer Oase über die unwirtlichen Sandmeere zu den fetten Triften des Niltales geführt hat. Vor vierzehn Jahren soll sich diese ägyptische Landplage zum letzten Male in ähnlichem Umfang gezeigt haben. Die Leute sagen, sie werde von dem Kometen geschickt, den wir schon seit zwölf Tagen im Südwesten beobachtet haben, und der jetzt in den Abendstunden, seitdem er nicht mehr vom Monde überstrahlt wird, wieder seinen stattlichen Feuerschweif über den Himmel streckt.

 

Lepsius, Richard
Briefe aus Ägypten, Aethiopien und der Halbinsel Sinai 1842-1845
Berlin 1852; Nachdruck Osnabrück 1975

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!