1897 - Mark Twain
Die Diamanten von Kimberley
Der Kimberley-Krater hat einen solchen Umfang, daß das römische Kolosseum Platz darin fände; wie weit sich die Einsenkung in die Tiefe erstreckt, weiß niemand, denn man ist noch nicht bis zum Boden des Kraters gekommen. Ursprünglich war das ganze senkrechte Loch mit einer festen, bläulichen Masse von vulkanischem Tuffstein angefüllt, in welcher sich die Diamanten verteilten gleich den Rosinen in einem Pudding. So tief sich das blaue Gestein in das Erdinnere erstreckt, wird man auch Diamanten darin finden.
In der Nähe gibt es noch drei oder vier berühmte Krater, alle in einem Umkreis von kaum drei Meilen Durchmesser. Sie gehören der De Beers-Gesellschaft, die vor zwölf oder vierzehn Jahren von Mr. Rhodes gegründet wurde. Auch noch andere Krater, die zur Zeit das Gras bedeckt, sind Eigentum der De Beers, welche genau wissen, wo sie liegen und sie eines schönen Tages öffnen werden, wenn die Gelegenheit günstig ist.
Anfänglich waren die Diamantenlager im Besitz des Oranje-Freistaats; aber durch eine wohlüberlegte ‚Berichtigung‘ der Grenzlinie wurden sie der Kapkolonie einverleibt und kamen unter britische Herrschaft. Ein hoher Beamter des Freistaats sagte mir, man habe der Republik 400.000 Dollars Entschädigung, Schmerzensgeld, oder wie man es nennen will, ausgezahlt, und nach seiner Meinung hätte die Regierung gut daran getan, die Summe anzunehmen und jeden Streit zu vermeiden, da alle Macht auf der einen und alle Schwäche auf der anderen war. Jetzt gräbt die De Beers-Gesellschaft wöchentlich Diamanten im Wert von 400.000 Dollars aus. Das Kapland hat zwar den Grund und Boden erhalten, aber nicht den Gewinn, denn die Gruben sind, wie gesagt, Eigentum von Mr. Rhodes, den Rothschilds und anderen De Beers-Leuten, die keine Abgaben bezahlen.
Heutzutage stehen die Gruben unter Leitung der fähigsten amerikanischen Bergingenieure und werden nach wissenschaftlichen Grundsätzen ausgebeutet. Großartige Maschinen sind in Tätigkeit, um das blaue Gestein zu zerkleinern, aufzuweichen und solange zu bearbeiten, bis jeder Diamant, den es enthält, aufgefunden und in Sicherheit gebracht worden ist. Ich sah den ‚Konzentratoren‘ bei ihrer Arbeit zu; sie standen vor großen Behältern voll Schlamm, Wasser und unsichtbaren Diamanten, und man sagte mir, daß ein Mann täglich dreihundert Wagenladungen aufgeweichtes Gestein - zu 1.600 Pfund die Ladung - durchrühren, auspumpen, zubereiten und in drei Wagenladungen Schlamm umwandeln könne. Man brachte in meinem Beisein die drei Wagenladungen Schlamm auf die Siebsetzmaschine, welche sie auf eine Viertelladung reinen, dunkelfarbigen Sandes reduzierte. Dann ging es zu den Sortiertischen, wo ich sah, wie die Arbeiter den Sand rasch und geschickt ausbreiteten, ihn hin- und herfegten und jeden Diamanten herausnahmen, den sie aufblitzen sahen. Ich beteiligte mich eine Weile daran und fand einen Diamanten, der halb so groß war wie eine Mandel. Dies Fischen ist sehr aufregend; mich durchbebte jedesmal ein Freudenschauer, wenn ich einen der funkelnden Steine aus dem dunklen Sand hervorglänzen sah. Könnte ich mir doch dann und wann zum Festtagsspaß diesen Zeitvertreib machen!
Natürlich fehlt es dabei auch nicht an Enttäuschungen. Zuweilen findet man einen Diamanten, der keiner ist, sondern nur ein Stück Bergkristall oder ein ähnlich wertloses Ding. Der Sachverständige unterscheidet es meist leicht von dem Edelstein, den es nachäffen will. Im Zweifelsfall legt er es auf eine Eisenplatte und schlägt mit dem Schmiedehammer darauf. Ist es ein Diamant, so bleibt es hell und ganz, alles andere wird zu Pulver zermalmt. Diese Probe gefiel mir so sehr, daß ich immer wieder mit Vergnügen zusah, wie oft sie auch vorgenommen wurde. Man setzt dabei nichts aufs Spiel, und die Spannung ist ein großer Genuß.
Die De Beers-Gesellschaft läßt täglich 8.000 Wagenladungen - etwa 6.000 Tonnen - blaues Gestein bearbeiten und gewinnt daraus drei Pfund Diamanten, die in rohem Zustand einen Wert von 50.000 bis 70.000 Dollars haben. Nachdem sie geschliffen sind, wiegen sie weniger als ein Pfund, ihr Wert ist aber vier- bis fünfmal größer als vorher.
Die ganze Ebene in jener Gegend ist einen Fuß hoch mit dem blauen Gestein bedeckt, so daß sie aussieht wie ein gepflügtes Feld. Die Gesellschaft läßt die Stücke ausbreiten um sie längere Zeit der Luft auszusetzen, weil sie dann leichter zu bearbeiten sind, als wenn sie unmittelbar aus der Grube kommen. Würde der Betrieb jetzt eingestellt, so könnte man von dem Gestein, das dort auf dem Feld liegt, noch drei Jahre lang täglich 8.000 Wagenladungen nach den Sortierwerken bringen. Die Felder sind eingezäunt, sie werden bewacht und nachts durch hohe elektrische Scheinwerfer beleuchtet, was sehr zweckmäßig ist, da dort Diamanten im Wert von fünfzig bis sechzig Millionen Dollars liegen und an unternehmungslustigen Dieben kein Mangel herrscht.
Auch im Schmutz der Straßen von Kimberley sind Reichtümer verborgen. Vor einiger Zeit erteilte man den Bewohnern unbeschränkte Erlaubnis sie auszuwaschen. Von allen Seiten strömten Leute herbei, die Arbeit wurde sehr gründlich verrichtet und eine reichliche Diamantenernte gehalten.
Die Grubenarbeiter sind Eingeborene, die zu vielen Hunderten in Hütten wohnen, welche innerhalb eines großen, umzäunten Hofes stehen. Es ist ein lustiges, gutmütiges Volk und sehr gefällig; der Kriegstanz, den sie aufführten, war das wildeste Schauspiel, das ich je gesehen habe. Während ihrer Dienstzeit, welche, wenn ich nicht irre, in der Regel drei Monate dauert, dürfen sie den Hof nicht verlassen. Sie steigen in den Schacht hinunter, tun ihre Arbeit, kommen wieder herauf, werden durchsucht, und gehen zu Bett oder machen sich irgend einen Kurzweil auf dem Hofe. Das ist ihr Lebenslauf tagaus, tagein.
Twain, Mark
Reise um die Welt
Stuttgart 1898