1891 - Gustav Stutzer
Vom Roden und Pflanzen
Ribeirao Pires, Santos
Ribérion Pire – oder, wie wir es kurz nennen wollen, Pires – ist unsere zweite Heimat geworden. An keinem andern Ort auf der Erde haben wir so lange gewohnt; fast 18 Jahre!
Ein kleines Dorf zwischen Hügeln. Ein ansehnlicher Bach. Eine kurze Straße mit buntbemalten Häusern, darunter sogar ein zweistöckiges. Eine Sägemühle am Bach. Ein schuppenähnliches Stationsgebäude. Kein Baum, viel hochaufgeschossenes Unkraut. So sah es damals auf der einen Seite aus. Auf der anderen, von Santos herauf rechts, unser Sitio. Lauter Hügel, im Hintergrunde ein Berg, der das Tal um 100 Meter überragt, alles mit Urwald und nachgewachsenem Wald dicht bestanden. Die Gegend, am Rande der viele hundert Meilen weiten Hochebene der Staaten San Paulo und Goyas, 900 bis 1000 Meter über dem nahen Ozean, hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Thüringer Walde. Runde Hügel und Berge, zuweilen mit einem Spitzkopf. Freundliche Seitentäler, von eingewanderten Italienern bewohnt.
Wenige Minuten von der Station entfernt, aber von der Bahn nicht sichtbar, stand auf der Sitio das einfache, nette Wohnhaus des Vorbesitzers. Es hatte sogar Glasfenster (statt Luken) und Fußböden.
Da lebten wir ein halbes Jahr, dankbar, wieder ein Heim zu haben; pflanzten Palmen und Rosen, Bambus und Bananen.
In der Zeit baute ich etwas weiter zurück und mit italienischen Maurern und zwei deutschen Zimmerleuten ein stattliches Familienhaus für Richers und uns nach unserem Geschmack, ein Nebengebäude dazu und legte davor einen Blumengarten an, der unter der Pflege meiner Frau und Tochter prächtig gedieh. Das Haus war ganz deutsch eingerichtet, und die Dienstmädchen waren Deutsche aus den Kolonien im Süden.
Zugleich mit dem Hausbau begann die Arbeit im Walde, Schritt für Schritt vom Hause anfangend, damit es möglichst frei zu stehen kam. Denn man kann den Zutritt von Luft und Sonne nirgends weniger entbehren als in den Tropen. Es war ein Fehler, unser Haus mit einer breiten Veranda ganz zu umgeben.
Das Urbarmachen von Waldland ist eine unglaublich mühsame Arbeit. Das leichte, unbrauchbare Holz ist zwar unschwer zusammengeschlagen mit allem Gestrüpp, mit allen Lianen, Palmiten, Baumfarnen, Parasiten. Das Fällen der großen Bäume ist jedoch gefährlich, weil die weithin ausliegenden Äste der oft riesenhohen Gewächse nicht immer in der Richtung, wohin man sie haben will, weil sie in den Kronen durch armdicke Lianen mit andern Baumkronen verkettet sind.
Das Fällen der Bäume, welche zu Bau- oder Möbelholz dienen, geschieht bei abnehmendem Monde oder im sogenannten Winter. (Der Vers im 121. Psalm: „Daß Dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts“ – ist wörtlich zu verstehen. Man bleibt um die Zeit des Vollmondes in den Tropen abends nicht ohne Kopfbedeckung draußen, um sich gegen den mit bösen Folgen - Kopfweh und dergl.- verbundenen ‚Mondstich‘ zu schützen.) Bei Verträgen für Lieferungen von Bauholz oder Eisenbahnschwellen wurde es zur Bedingung gemacht, daß die Bäume nicht bei zunehmendem Monde geschlagen werden dürften. Dabei wird der Ausdruck gebraucht: bei aufsteigendem Safte. Die Erfahrung lehrt, daß das bei abnehmendem Monde geschlagene Holz nicht von den Bohrwürmern zu leiden hat.
Es ist zugleich sehr mühsam, weil das Holz mancher Sorten so hart ist, daß die schärfste Schrotsäge nicht eindringt und die beste Solinger Axt bei Hauen zurückspringt.
Liegt nun ein Stück Wald glücklich am Boden, und sind alle Äste abgeschlagen, so läßt man den undurchdringlichen Haufen antrocknen. Je nach dem Wetter genügen einige oder mehrere Wochen dazu. Wenn die Sonne im Zenit steht und ein günstiger Wind weht, wird Feuer angelegt. Je heftiger die Glut, desto besser. Ich habe es an Bergen erlebt, daß die Lohe turmhoch aufschlug. Der stehengebliebene Wald in der Umgebung ist so feucht, daß das Feuer kaum eindringt. Nur durch die Gewalt des Feuers kann der schlimmste Teil der Aufgabe vereinfacht werden, der darin besteht, das unendliche Gewirr der Wurzeln und Quecken wenigstens auf der Oberfläche zu zerstören, samt den Unkrautsamen. Freilich ersetzt die Asche nicht die mitverbrannte Fruchterde. Die nutzbaren Holzarten verbrennen nicht, wie sie auch mit wenigen Ausnahmen im Wasser nicht schwimmen, sondern darin untergehen wie Blei.
Ich erinnere mich deutlich eines der ersten Holzgeschäfte, das ich abschloß. Ein Holzhändler kam zu mir mit der Frage: „Haben sie Bäume von den und den Sorten, die ganz gerade Balken von 18 Meter Länge bei 50 Zentimeter Durchschnitt, scharfkantig behauen, hergeben?“
„Wie viele brauchen Sie?“
„Drei Stück zum Oberbau einer Brücke.“
„Die können sie bekommen“, antwortete ich, „aber nur wie sie stehen oder liegen. Auf das Hauen und Beschlagen lasse ich mich nicht ein; auch auf den Transport zur Bahn nicht.“
Die passenden Bäume fanden wir nach einigem Suchen.
„Was bieten Sie?“
„50 Milreis für das Stück.“ (Nach damaligem Kurs: 75 Mark.)
„Nein! Zahlen Sie das Doppelte und überlassen Sie mir Krone und Abfall für Brennholz.“
Er zahlte, und ich ließ aus den Ästen noch acht Eisenbahnwagen Brennholz für eine Brauerei in San Paulo herstellen.
Dies war eine seltene Ausnahme.
Dies alles zusammen gibt dem Leser eine Vorstellung von Urwaldsarbeit.
Eine schwere Zugabe bleibt dann noch das Roden der Wurzeln, das Ausheben der Stubben und das Herausschaffen allen Wurzelwerks. Das Roden gab ich immer im Akkord ab. Die Italiener lieben diese Art, Geld zu verdienen, mehr als Tagelohn. Für einen einzigen Stubben, mit allen Wurzeln zu roden und fürs Brennen aufzuhäufen, bot ich einmal 20 Mark, Zwei kräftige Leute nahmen den Akkord an und haben einen schlechten Verdienst dabei gehabt.
Selbstverständlich ist es ausgeschlossen, auf solche Weise ein großes Ackerfeld herzurichten. Da läßt man die Stubben einfach stehen und entfernt nur die Wurzeln auf 1/2 Meter Tiefe. Nach und nach findet sich immer einmal Zeit die Klötze auszuroden, und so hatte ich nach 17 Jahren ziemliche Flächen ganz rein.
Wir wollten aber vor allen Dingen einen Gemüsegarten haben, nicht nur zum eigenen Gebrauch (da irgendwelches Gemüse in Pires oder Umgegend nicht zu bekommen war), sondern auch und hauptsächlich zum Verkauf in Santos. Und zu dem Zwecke wurde zunächst etwa ein Morgen Land völlig gereinigt. Dabei machte ich wieder eine neue Erfahrung.
Der Boden, der von der Schöpfung her unter dem finstern, feuchten Schatten des Waldes gelegen, war trotz der Kraft der tropischen Sonne so kalt und bei seiner lehmigen Beschaffenheit so frei von Nährsalzen, Bakterien und Regenwürmern (den unersetzlichen Fabrikanten des Humus, also den eigentlichen „Kulturträgern“), daß die zarten Gemüsepflanzen verkümmerten. Da half denn alles nichts, das Land mußte grob umgebrochen, so der Sonne, dem Regen und der Luft ausgesetzt, mit der nach den Verbrennungen aufgehäuften Asche vermischt werden. Dann stellte ich mächtige Komposthaufen her, und später gab es Stalldünger in Menge. Geduld und Ausdauer bei allen Arbeiten – nun, daran fehlte es mir in dem stillen Waldwinkel nicht.
Stutzer, Gustav
Aus Deutschland und Brasilien
21. Auflage Konstanz 1921