Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1774-75 - George Bogle, erster britischer Gesandter nach Tibet
In Tashilhunpo

 

Wir kamen am Fuß der Stadt Teshu Lumbo vorbei, die auf dem unteren Abhange eines steilen Hügels erbaut ist. Das Dach des großen Palastes ist ganz aus vergoldetem Kupfer. Der Bau selbst besteht aus dunkel gefärbten Ziegelsteinen. Die Häuser der Stadt steigen eins über dem anderen empor; vier Tempel mit vergoldeten Verzierungen stehen zwischen ihnen, und das Ganze machte einen fürstlichen Eindruck. Viele der mit Steinen gepflasterten Höfe sind geräumig und haben Galerien, die um sie herumlaufen. Die ebenfalls gepflasterten Gassen sind eng. Der Palast wird nur von dem Lama [dem 6. Panchen Lama] und seinen Beamten und zu Tempeln, Getreidespeichern, Warenhäusern usw. benutzt. Der Rest der Stadt ist ausschließlich von Priestern bewohnt, deren Zahl ungefähr 4000 beträgt. Die Ansichten der Stadt, die mir der Lama später gab, werden einen besseren Begriff von ihr geben als irgendeine Beschreibung, die ich von ihm machen könnte, denn es ist nicht möglich, einen Platz so zu beschreiben, daß man einen richtigen Begriff von ihm geben kann.
   Ich begleitete den Lama in seine Räume, und sobald ich mich zurückgezogen hatte, wurde ich in mein eigenes Quartier geführt. Die Zimmer sind neu, da sie erst während des Lama Abwesenheit in Desheripgay vom Chanzo Cusho gebaut und beendigt worden sind. Ich hatte ein Zimmer für mich und ein anderes war für Dr. Hamilton bestimmt. Ich glaube nicht, daß das mir angewiesene Zimmer schlechter war als irgendein anderes in Teshu Lumbo, und obgleich ich wenig Erfolg mit dieser Art von Beschreibung habe, muß ich doch versuchen, eine zu geben.
   Man kommt durch eine Tür herein, die aus einem Stück Holz besteht und rot angestrichen ist. Die Türangeln sind aus Eisen und hübsch vergoldet; sie hat einen großen Ring von derselben Arbeit in der Mitte, an den ein weißseidenes Schnupftuch gebunden ist, um die Vergoldung nicht zu beschädigen, wenn man die Türe an sich zieht. Sie dreht sich auf zwei Zapfen, die aus der Planke geschnitten sind und in zwei Löcher oben und untern passen, sie wird durch einen eisernen Drücker und Krampe geschlossen und hat ein Schloß von chinesischer Konstruktion, das ungefähr einen Fuß lang ist. Der Raum ist ungefähr 50 Fuß lang und 30 breit, unterbrochen durch 9 viereckige hölzerne Pfeiler, die rot mit weißen Streifen bemalt sind, so daß sie wie gekehlt aussehen. Er hat am westlichen Ende zwei kleine Fenster mit hölzernen Fensterläden, die ich aber nie aufmache, denn ich habe genug Licht von oben. Auf dem Dache ist nämlich eine ungefähr 30 Fuß lange und 15 Fuß breite Öffnung, und da der südliche Teil derselben nur mit losen Brettern bedeckt ist, die schräg übereinander gelegt sind, so kann man während des Tage so viele davon fortnehmen, wie man will, und sie dann bei Nacht wieder schließen. Sie ruhen auf einem Balken, der von den beiden mittelsten der 9 Pfeiler getragen wird, die viel höher sind als die andern. Die Mauern, die einen Überzug von Stuck haben, sind grün bemalt und mit einigen Bändern von Blau und Gelb verziert. Die Kapitäle der Pfeiler und Balken, welche die vier Seiten der Öffnung, die ich erwähnt habe, bilden, sind merkwürdig geschnitzt, vergoldet und mit Girlanden von Drachen und Blumen verziert. Der Boden besteht aus einem kalkhaltigen Ton, der mit kleinen Kieseln vermischt ist und einen glatten und sehr schönen Traß [Konglomeratgestein] bildet, der durch die Arbeit eines jungen Mönchs, der jeden Morgen seine Füße auf zwei wollene Tücher setzt und mit ihnen während drei oder vier Stunden auf dem Boden Schlittschuh läuft, in 15 bis 20 Jahren eine ähnliche Politur annehmen wird, wie die anderen Fußböden im Palast, die dem feinsten Marmor nicht nachstehen. Dr. Hamiltons Zimmer war viel kleiner und wärmer als das meinige.
   Von dem Tage unserer Ankunft in Teshu Lumbo bis zum 18. Januar 1775 war der Lama damit beschäftigt, Besuche und Geschenke zu empfangen. Unter seinen übrigen Verehrern befand sich eine zahlreiche Karawane von Kalmücken, die ihm Silber-Talente, Pelzwerk, Stücke von Seide und Dromedare darbrachten. Sie blieben ungefähr einen Monat in Teshu Lumbo und zogen dann nach Lhasa, von wo sie, nachdem sie dort ungefähr 10 Tage zugebracht, in ihr eigenes Land zurückkehrten, das ungefähr eine Dreimonatsreise nach Norden liegt.
   Ich war bei keiner dieser Gelegenheiten zugegen, sondern blieb zu Hause, wo ich genug eigene Besuche hatte, denn Mengen von Mönchen pflegten zu allen Zeiten in mein Zimmer zu kommen, oder stiegen auf die Dächer und sahen von da auf mich herab. Unter meinen Besuchern befanden sich auch die Shigatzé Killardars in ihrem Weiberanzug. Ich lehnte nie einen Besuch ab, und nachdem ich ihnen das Vergnügen gemacht hatte, meine Stühle usw. anzusehen, was jedesmal ein bewunderndes „Pah-pah-pah, tze-tze-tze“ hervorrief, pflegten sie sich zurückzuziehen und andern Platz zu machen. Dies setzte sich mehr oder weniger während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes in Teshu Lumbo fort.
   Der Lama kam in die große Halle herunter, die an mein Zimmer stieß, um das Volk zu segnen. Sie ist ungefähr 60 Fuß lang und 50 breit, die Decke wird durch eine Anzahl von hohen Pfeilern getragen, und die Mauern sind mit mythologischen Gemälden verziert. Der Lama saß auf einem hohen Thron, auf dem Kissen lagen, in einer Nische des Saales. Ein anderer Thron, nicht so hoch, stand an seiner Rechten, er war für den Chanzo Cusho bestimmt, der indessen auf einem niedrigen Kissen am Fuß des Thrones des Lama saß; der Sopon Chumbo stand neben dem Thron. Unmittelbar außerhalb der Nische befanden sich die vier niedrigeren Lamas. Ich wurde auf ein Kissen neben sie gesetzt, und mir gegenüber saß ein kalmückischer Lama, der kürzlich von dem Khalka Lama gekommen war, den die Hindus Taranath nennen, und dicht bei ihm der Agent des Dalai Lama. Cheyt Sing’s Agent saß unter mir, und Dr. Hamilton kam dann näher der Türe, und hinter ihm saßen ein Agent von Kashmiri Mull und andere Hindus. Ich kam herein, sobald sich der Lama gesetzt hatte, und nachdem ich drei tiefe Verbeugungen gemacht hatte, überreichte ich ihm mein Taschentuch, das er stets mit eigenen Händen empfängt. Er sprach zu mir vielleicht zwei Minuten, erkundigte sich nach meiner Gesundheit, wie mir Teshu Lubo gefiele und wie ich mit meiner Wohnung zufrieden sei. Nachher kamen Massen von Leuten, Mönche, Nonnen, Kampas, Kalmücken, Gouverneure all der benachbarten Schlösser, Männer, Weiber und Kinder, um ihre Gaben darzubringen und dem Lama ihre Verehrung zu zeigen. Sie brachten Beutel mit Gold, Silber-Talente, Stücke chinesischen Atlasses, Pakete mit Tee oder Früchten, getrocknete Körper von Schafen, Säcke mit Mehl oder Reis, kleine Statuetten, um die ein Stückchen gelber Seide wie ein Mantel gewickelt war, Stäbchen, die Pares genannt werden, Glocken und eine Menge anderer Gegenstände. Die geringeren Leute überreichten nur ein weißes Schnupftuch. Sie alle näherten sich der Reihe nach dem Thron des Lama, der ihre Häupter in der Art und Weise berührte, wie ich sie früher beschrieben habe. Die jungen Mönche zogen sich unmittelbar nachdem ihnen die Hand aufgelegt worden war zurück, aber ich bemerkte mit Vergnügen die Aufmerksamkeit, die der Lama einigen alten Mönchen erwies, indem er mit ihnen für eine oder zwei Minuten in der liebenswürdigen und freundlichen Weise sprach, die das Herz der Menschen gewinnt. Während dies vorging, tranken der Lama und alle diejenigen, die saßen, eine Schale Tee. Ich bekam meinen aus dem goldenen Teetopf des Lama, eine Ehre, der sonst nur der Chanzo Cusho, die niedrigeren Lamas und die Agenten des Dalai Lama und Taranath teilhaftig wurden. Auch eine Gesellschaft von 15 Knaben, zwischen 7 und 12 Jahren alt, war zugegen; sie waren in verschieden gefärbte Kattune und Goldbrokat gekleidet, hatten weiße Turbane auf und trugen kleine Äxte in der rechten Hand. Von Zeit zu Zeit tanzten sie vor dem Lama zu der Musik von Oboen, Flöten, Kesselpauken und Glocken, indem sie den Takt mit ihren Äxten, ihren Sprüngen, Umdrehungen und anderen Bewegungen angaben, die zu beschreiben ich nicht unternehmen will. Mir wurde gesagt, daß es die Nachahmung eines Sadak-Tanzes sei. Ein anderer Teil der Unterhaltung bestand aus öffentlichen Disputationen, die von je zwei und zwei Mönchen geführt wurden. Religion war der Gegenstand derselben, vielleicht die Unsterblichkeit der Seele oder die nicht zu ändernde Natur von Recht und Unrecht. Aber meine Unkenntnis der Sprache machte sie ganz unverständlich für mich. Sie wurden mit viel Geschrei und anscheinender Hitze vorgetragen, und mit viel Gestikulationen wie Händeklatschen, Kopfschütteln usw. begleitet. Diese Gesten sind unzweifelhaft sehr ungehörig und lächerlich, weil sie ganz verschieden von denen sind, die von europäischen Rednern gebraucht werden, die ja maßgebend für das sind, was richtig und taktvoll ist.
   Nachher wurde das Diner serviert. Sechs große niedrige Tafeln, bedeckt mit hölzernen bemalten Schüsseln, gefüllt mit chinesischen und in Kashmir getrockneten Früchten , Zucker, Syrupkuchen und Süßigkeiten, Haufen von Biskuits, getrockneten Körpern von Schafen wurden vor den Lama hingestellt. Zwei in derselben Weise ausgestatte Tische wurden vor den Chanzo Cusho gestellt und etwas Brot, Stücke von getrocknetem Hammelfleisch und Schüsseln mit Früchten und Süßigkeiten vor mich und jeden der anderen Gäste. Nachdem wir eine Schale Tee getrunken hatten, wurden Becher mit gehacktem Hammelfleisch und einem aus zerstoßenem Reis und Hammel gekochten Gelée vor uns gesetzt, von dem ich viel aß. Dann kam eine gekochte Hammelkeule und eine andere gebratene in ebensolchen Schüsseln und wurde jedem von uns serviert. Das Fleisch war hart und zäh, aber der Lama schickte mir eine Keule von ausgezeichnetem gekochten Hammel von seiner eigenen Schüssel und winkte mir lächelnd zu, davon zu essen. Nachdem wir unsere Mahlzeit beendigt hatten, verteilte der Sopon Chumbo die Früchte, Süßigkeiten usw. nach einer Liste, die er in der Hand hielt, indem er einiges an Leute, die außerhalb des Palastes waren, schickte und den Rest an die Gäste. Was ich bekam, lag alles auf silbernen Schüsseln. Darauf zog sich jedermann zurück.
   Der Lama kam eine Hintertreppe herauf, um die neuen Gemächer zu besichtigen, und nahm mich mit sich. Er begab sich zuerst in die Galerie, die auf demselben Flur mit meinem Zimmer liegt, ging an die Bildsäule des Gottes Sakya heran, die in der Mitte steht, und warf sich dreimal vor ihr nieder. Ich kann ebenso gut jetzt den Tempel beschreiben, weil ich einmal dabei bin.
   Er enthält 13 gigantische Figuren, die, wenn sie ständen, ungefähr 8 Fuß hoch sein würden, aber mit Ausnahme der Statue des Kriegsgottes und einer anderen alle sitzend mit gekreuzten Beinen dargestellt sind. Sie bestehen aus vergoldetem Kupfer und halten einen Topf mit Blumen oder Früchten in ihrem Schoße. Sie sind bedeckt mit Mänteln und Kronen oder Mitren auf ihren Köpfen dargestellt und weit entfernt davon, namentlich was die Gewänder anbetrifft, schlecht ausgeführt zu sein, Die Throne, auf denen sie sitzen, sind auch aus vergoldetem Kupfer, geschmückt mit Türkisen, Karneolen und anderen Steinen von geringem Wert. Die Formen und Ornamente der Throne sind in gutem Stil; hinter jeder Figur ist die Mauer mit einem Stück geschnitzter Arbeit bedeckt, wie die schweren vergoldeten Rahmen der Porträts unserer Vorfahren oder der Spiegel. Hinter ihnen stehen Porzellanvasen, von denen einzelne sehr schön sind. Massen von Porzellan und Glas, die letzteren zum Teil chinesischen, zum Teil europäischen Ursprungs, mit Getreide, Früchten oder Blumen gefüllt, eine Menge kleiner Muscheln, große Muscheln als Trompeten in Silber gefaßt, einige Straußeneier, Kokosnüsse, Becken und eine Menge anderer Artikel, die eine sehr verschiedenartige Masse bildeten. Um den Hals der Statuen hingen Ketten von Korallen, schlecht geformten Perlen, Karneol, Achat und anderen Steinen, und ihre Kronen hatten gleiche Verzierungen. Die Decke der Galerie ist mit Atlas in verschiedenen Mustern bedeckt, chinesischem, kalmückischem und auch europäischem, der durch Rußland über Land gekommen ist. Die Galerie wird an der Südseite durch 5 Fenster erhellt, zwischen denen die Mauer mit Gemälden, die die verschiedenen Gottheiten und Ansichten des Himmels (Pardieses?) darstellen, behängt war. Die entgegengesetzte Seite, wo die Statuen stehen, ist in der ganzen Länge der Galerie mit einem aus Eisen gefertigten Netz abgeschlossen. Der Lama ging hinein und bewarf die Bilder mit Reis, es war das eine Art von Weihe.
   Nachdem er herausgekommen war, setzten wir uns nieder, um Tee zu trinken, und der Lama erklärte mir einige der Bilder und gab die verschiedenen Länder an, aus denen die Seidenstoffe über unseren Köpfen gekommen waren. An jedem Ende der Galerie befand sich eine große Sammlung von Büchern, die in kleinen Nischen oder richtiger Fächern niedergelegt waren. Nachdem wir unseren Tee getrunken hatten, kamen wir über eine Hintertreppe in mein Zimmer, das der Lama auch mit Reis bestreute. Nachdem er die Möbel angesehen hatte, unter denen sich ein Tisch befand, auf dem ein Schachbrett mit Schachfiguren fertig zum Spiel aufgestellt war, gingen wir in Dr. Hamiltons Zimmer, und nachdem er dort dieselben Einweihungsriten vollzogen hatte, verabschiedete ich mich von ihm, und der Lama kehrte in seinen eigenen Teil des Palastes zurück.
   Am nächsten Morgen kam der Lama wieder in die Halle, wohin wir alle ihn begleiteten. Aber warum soll ich über die Zeremonien das wiederholen, was ich bereits so ausführlich berichtet habe.
    
Markham, Clements R. (Hrg.)
Aus dem Lande der lebenden Buddhas. Die Erzählungen von der Mission George Bogle’s nach Tibet und Thomas Mannings‘ Reise nach Lhasa (1774 und 1812)
Hamburg 1909

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