Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1792 - George Vancouver
Burrard Inlet, heute Vancouver

 

Den 12. Junius reiste ich mit einem Vorrath auf acht Tage in einem Boote ab. Der nördliche Arm, den ich zuerst untersuchte, hielt uns wenig auf, weil er sich bald in zwei offene Bays endigte. Der erste breitete sich rund nach Osten aus, und hat einen guten Ankerplatz, der andere ist viel größer, erstreckt sich nach Nordwest, und hat viele Untiefen; seine Südwestspitze nannte ich Point Roberts.
   Nachdem wir einige Tage unsere Untersuchungen fortgesetzt hatten, fanden wir, daß die ganze Küste aus sandigen Felsen und Untiefen bestand, auch hie und da sich Inseln bildeten. Es begegneten uns ungefähr 50 Indianer in Kanots, die sich sehr höflich bezeigten, und uns gekochte Fische, den Stinten ähnlich, anboten; da wir ihre Geschenke erwiderten, zeigten sie Verstand genug, das Eisen dem Kupfer vorzuziehen: Sie schifften vor uns her, beratschlagten sich miteinander, doch nicht zu unserem Nachtheil, denn sie kehrten mit Zeichen noch größerer Achtung zu uns zurück. Solche Beratschlagungen fallen allezeit unter diesen Völkern vor, ihre Anzahl mag groß oder klein sein, und wenn sie gleich jetzt nicht allezeit feindselige Absichten haben, so hat man doch immer Ursach, auf seiner Huth zu sein. Nach und nach zerstreuten sich diese Einwohner, und nur einige Kanots begleiteten uns bis da, wo wir landeten, eine halbe große Seemeile vor einer Einfahrth. Sie blieben bei uns, bis wir ihnen durch Zeichen zu verstehen gaben, daß wir uns zur Ruhe begeben wollten; und da wir unsere Netze beim Aufziehen leer fanden, versprachen sie uns, am folgenden Tage einen großen Vorrath Fische zu bringen. Sie ließen es sich angelegen sein, alles, was wir thaten, nachzuahmen; wie erlaubten einem derselben eine Flinte abzufeuern, welches er aber mit Furcht und Zittern that. Sie waren auf alles, was wir vornahmen, äußerst aufmerksam, und betrachteten die Farbe unserer Haut mit der größten Aufmerksamkeit. Übrigens waren sie nicht besonders von dem größeren Theil der Eingeborenen, die wir gesehen hatten, verschieden. Sie besaßen keine europäischen Werkzeuge oder Spielwaren, ausgenommen einige grobe Zierrathen, die aus Kupferblech gemacht waren. Wir hatten Ursach zu glauben, daß wir die ersten Menschen aus einem kultivirten Lande sind, die sie bis jetzt gesehen hatten.
   Die Ufer in dieser Gegend bestanden aus steilen Felsenklippen, auf welchen kein bequemer Platz für unsere Zelte zu finden war, wir mußten daher in den Booten schlafen. Einige der jungen Offiziere zogen die Steinbucht zu ihrem Nachtlager vor; da sie aber auf die Wassermarke nicht genau Achtung gegeben hatten, so wurden sie durch die ankommende Fluth in ihrer Ruhe gestört, die sie nicht eher wahrnahmen, als bis einige von ihnen beinahe schon flott waren.
   Morgens den 14. nahmen wir unseren Weg zurück. Wir kamen vor der Stelle vorbei, wo uns die Indianer Tags vorher besucht hatten, erwarteten aber ihre Wiederkunft vergeblich, denn es war zu früh am Tage. Die mehrsten der Kähne waren in die kleinen Buchten, welche sich am Ufer befanden, hereingezogen, und von den Bewohnern erblickten wir nur zwei oder drei. Von ihren Wohnungen sahen wir keine Spur; dies brachte uns auf den Gedanken, daß das Dorf im Walde liegen müsse.
   Das Ufer diese Kanals, den ich Burrard Inlet nannte, ist an der südlichen Seite mäßig hoch und obgleich felsicht, doch mit hohen Bäumen, vorzüglich Fichten, besetzt. An der Nordseite stieg die rauhe Schneebergkette sehr steil empor, und war von dem Anspühlen der See nur durch einen sehr schmalen Strich Landes beschützt. Um sieben Uhr erreichten wir die nordwestliche Spitze des Kanals, die auch die südliche Spitze des Hauptarmes des Sundes ausmacht. Ich nannte sie Atkinsonspitze. Die niedrigen fruchtbaren Ufer, welche wir zu sehen gewohnt waren, hörten hier gänzlich auf. Statt ihrer befand sich hier die Grundfläche der ungeheuren Schneegebirge, die sich gleich aus der See zu den Wolken emporheben, und nur dünn mit Holz bewachsen sind. Von den Gipfeln stürzt sich der schmelzende Schnee in rauschenden Strömen herab, welches dem Auge einen erhebenden aber traurigen Anblick gewährt; die lebende Schöpfung schien diesen Aufenthalt gänzlich verlassen zu haben, nicht einmal ein Vogel war zu sehen, und wäre er auch da gewesen, so würden wir doch seine Stimme wegen der von allen Seiten sich herabstürzenden Wasserfälle schwerlich gehört haben.
   
Vancouver, George
Reisen nach dem nördlichen Theile der Südsee während der Jahre 1790 bis 1795
1. Band, Berlin 1799

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