Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1924 - Emil Trinkler
Auf Prospektion im Hindukusch
Siah-Gird, Afghanistan

 

Am anderen Tage brachen wir früh auf, galt es doch wieder über den Schibarpaß nach Kasi Besé zu kommen. Es war ein klarer, kalter Wintertag, und wir waren gezwungen, den ganzen Weg größtenteils zu Fuß zurückzulegen, da wir sonst vor Kälte in dem scharfen Winde auf dem Pferde erstarrt wären. Schnee, Schnee und wieder Schnee! An den Mähnen und Schwänzen der Tiere hängen Eiszapfen. Ein lebhafter Karawanenverkehr findet im Winter hier statt, da der direkte Weg von Bamian nach Kabul über den Hajigakpaß dann infolge des Schnees gesperrt ist. Ein kleiner, schwarzer Esel war unter seiner Last zusammengebrochen und blickte uns traurig aus seinen großen dunklen Augen an, als wir vorbeiritten. Ein paar Reiter sausten im vollen gestreckten Galopp über die Schneefelder dahin; Kamelkarawanen zogen langsamen Schrittes durch die weiße Bergwelt. Auf der Paßhöhe befinden sich einige Unterkunftshütten. Im Freien wurde ein großes Feuer angezündet, Tee getrunken und gefrühstückt. Herrlich war die uns umgebende Bergwelt! Die weißen Schneefelder strahlten ein solch helles Licht aus, daß man fast geblendet wurde. Der Weg hinunter nach Kasi Besé war an vielen Stellen stark vereist, so daß wir auch hier die Tiere immer führen mußten. Aber auf der Straße wurde tüchtig gearbeitet. Die vereisten Stellen wurden mit Sand und Kies bestreut. In Kasi Besé erwartete uns das Auto, das uns noch am selben Tage nach Siah-Gird brachte.
   Wir blieben nun zwei volle Tage in diesem Dorf, denn es handelte sich darum, einige Kohlevorkommen in der Umgegend zu begutachten. Zu dem einen Vorkommen, das nicht sehr weit entfernt lag, gingen wir zu Fuß, denn es waren am ersten Tage keine Pferde aufzutreiben. Das ganze Tal zwischen der Paghman-Hindukuschkette muß in früheren Zeiten einmal von einem See bzw. Sumpf ausgefüllt gewesen sein, denn überall treffen wir Sandsteine, Mergel, Tone mit eingeschalteten dünnen Kohlebändern. Später, also in ziemlich junger Zeit, hat das ganze Gebiet starke Störungen erfahren. Auf diesen mehr oder weniger eintönig grau gefärbten Ablagerungen liegen die tiefdunkelroten Sandsteine und Konglomerate des Jungtertiärs. An einer Stelle erhoben sich die Ruinen einer alten Lehmfeste, die ebenfalls aus tiefrotem Gestein aufgeführt war. Alle Bäche und Rinnsale, die wir antrafen, führten tiefrotes Wasser. Die rote Farbe rührte zweifellos von dem Eisengehalt der alten Kalksteine her, die sich an den Südhängen des Hindukusch hinziehen. Im Tale selbst befinden sich einige große, junge Terrassen, auf denen verfallenes Gemäuer steht.
   Interessanter war der Besuch von Gaoparan, das in der Paghmankette liegt. Wir ritten wieder in das kleine Tal ein, in dem wir tags zuvor schon gewesen waren, und wandten uns dann langsam, immer höher ansteigend, gen Süden. Die Gegend ist außerordentlich fruchtbar; überall längs der kleinen Bäche, die von der Paghmankette herabkommen, dehnen sich Gärten und Anpflanzungen aus. Die Abhänge sind kunstvoll bewässert; Aprikosen, Äpfel und Weintrauben aus dem Ghorbendtal sind wegen ihrer Güte weit und breit bekannt. In Gaoparan statteten wir dem Distriktschef einen Besuch ab. Wir wurden mit herrlichem Obst bewirtet und «erhielten den nie fehlenden grünen Tee, der immer aus kleinen Schalen getrunken wird. Sowohl die Tassen wie die Teekannen sind russisches Fabrikat. Der hohe Beamte war nicht sehr freundlich im Gespräch. Es dauerte auch geraume Zeit, bis man uns Pferde stellte. Dann zogen wir tiefer in die Bergwelt hinein und kamen in große Schneefelder. Das Wetter war schön, sonnig, und wir hatten nach allen Seiten einen herrlichen Ausblick auf die hohen Berge. Hinter Gaoparan trafen wir keine Menschenseele mehr.
   Wir waren allein inmitten der Schneefelder; kein Windzug rührte sich, und es war warm wie im Sommer. Je höher wir kamen, um so umfassender wurde der Blick. Die Kohlevorkommen waren recht kläglich und bestanden aus kleinen, dünnen, stark gestörten Bändern, Wir blieben lange in diesem Gebiet und kehrten dann am Nachmittage nach Gaoparan zurück. Dieses kleine Dorf liegt wie ein Räubernest in den Bergen; die Häuser sind an die Hänge angelehnt. Unter der Bevölkerung sah ich sehr hübsche Menschen: besonders die kleinen Mädchen sahen - trotz des Schmutzes - ganz reizend aus. Wir hielten uns hier wieder einige Zeit auf und traten dann am Spätnachmittag den Heimweg an.
Als die Sonne unterging, wurden die Schneefelder des Hindukusch mit einem Hauch von Rosa übergossen, so fein und duftig, daß man die Schneegipfel fast mit den rosa Abendwolken verwechseln konnte. Dann rückten die blauen Schatten höher und höher und die Nacht hüllte das Tal ein. Es war sehr dunkel, als wir endlich wieder in unserem Quartier in Siah Gird eintrafen.

 

Trinkler, Emil
Quer durch Afghanistan nach Indien
Berlin 1927

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