1687 - Anonymus („Hannoverischer Offizier“ in venezianischen Diensten)
Der Parthenon wird zerstört
Athen, Griechenland
15. September: Diesen Morgen fingen wir an, mit den vier Stücken dem Feind einen guten Morgen zu bieten, welche so gegen die Türme und Mauern brummten, daß die Steine häufig herunter flogen, auch wurden unterschiedliche Bomben hinein geworfen, welche guten Effekt taten, indem unterschiedliche auf die Bollwerke gefallen sind und großen Schaden getan haben. Jedoch schossen die Belagerten heute mehr als jemals geschehen; die Nacht über suchte man, wie von seiten der Stadt her ein bequemer Ort zur Mine zu finden wäre, auf die mit vielen Geschossen und mit Steinen geworfen wurde.
16. September: Frühmorgens wurde wieder angefangen mit Kanonen und Bomben zu werfen, doch wurden viele fehlgeworfen; gegen Abend fiel eine in den schönen Tempel der Göttin Minerva, welche das Pulver und die Munition, die sie [die Türken] dort gehabt, trafen, so dass alles angegangen, dergestalt, daß durch einen gewaltigen Schlag das schöne Gebäude ganz ruiniert worden ist. Die Approchen wurden diesen Abend angefangen, auch einige Kessel für die Feuermörser verfertigt. Es wurden auch etliche Mauerbrecher auf die Batterie gebracht. Die Nacht über war es in der Stadt ganz stille, man hörte nicht den geringsten Schuß. Es waren nicht mehr als zwei Mann blessiert von den Hessen.
17. September: Die ganze Nacht hat es in der Festung sehr gebrannt, da besonders der Minervatempel ganz ausbrannte, so daß nichts als die beiden Mauern stehen blieben; was denn wohl zu bedauern war, da es noch von den ältesten und raresten Gebäuden der Welt gewesen.
[…]
6. Oktober: Wir besahen die Festung Athene, welche vor Zeiten Acropolis, auch Cecropia genannt; selbige Festung liegt an der Stadt auf einem hohen marmorsteinernen Felsen, so von Natur fest und unersteiglich außer an dem Ort, wo der richtige Aufgang ist, der Felsen ist nicht so hoch, aber mit starken, wohlerbauten Mauern desto besser verwahrt. Man muß fünf Tore passieren, ehe man auf den Schloßplatz kommt, welche alle mit Orten und Riegeln wohl versehen sind. Am dritten Tor ist eine Batterie von drei Stücken, und darüber beim fünften Tor eine andere mit vier Stücken, die aber wohl mit acht besetzt werden könnte. Zwischen den vierten und dem fünften Tor steht eine herrlicher Palast, worauf ehemals die Commenden ihre Wohnung gehabt haben; er ist ganz von weißem Marmor aufgeführt und hat ein herrliches Ansehen, ist aber vor etlichen vierzig Jahren (richtig wäre: 31 Jahre, 1656) durch einiges Pulver, das darunter in einem Gewölbe stand, und an das unversehens Feuer gekommen ist solchergestalt, daß man nichts mehr als die äußersten Mauern, den vorderen Giebel nebst etlichen marmornen Säulen sehen kann, woraus man aber die Herrlichkeit sattsam ablesen kann. In der Mitte des Schlosses steht der Göttin Minerva berühmter Tempel, welcher wegen seiner Schönheit und Herrlichkeit nicht genug beschrieben werden kann. Man sieht da so viele Wundersachen, daß man fast seinen Augen nicht glauben kann; das ganze Gebäude ist von lauter weißem Marmor ausgebaut, die Steine, die zu der Mauer gehören, sind alle gleich und von wunderbarer Größe. Der Tempel hat in der Länge 218 Fuß, in der Breite 98 Fuß, die Höhe der Mauer ist 100 Fuß. Der Umkreis des Tempels ist mit einer schönen Galerie von 46 Säulen geziert, acht vorn, ebenso viele hinten und 15 auf jeder Seite. Sie sind von schönem weißen Marmor in geriffelter Arbeit, 42 Fuß hoch und 17 ½ Fuß im Umkreis dick. Die Tür des Tempels ist 30 Fuß hoch, die Galerie 10 ½ Fuß breit, der Vordergiebel präsentiert die allerschönsten Stücke von Menschen und Tieren, alle in Lebensgröße, worunter zwei Pferde mit solcher Kunst verfertigt, daß ihnen nichts als das Leben fehlt. Alles übrige Bilderwerk präsentiert einige Götter und Göttinnen wie Jupiter, Neptunus, Minerva und andere, auch werden unterschiedliche Victoire und Triumph vorgestellt. Was sonst an Zierraten sowohl ein- wie auswendig zu sehen gewesen, findet sich in einer anderen Beschreibung des Tempels, von de dach so mosaiche [?].Von einer unglücklichen Bombe, wie vorher gemeldet, und dem Pulver, das darin in Verwahrung war, angezündet, ist dies überaus herrliche Gebäude in einem Augenblick gänzlich ruiniert worden, indem daß des Pulvers Gewalt die Wände an beiden Seiten und das Dach auf die an der Seite stehenden Pfeiler hat fallen lassen, das liegt zum meisten auf der Erde und stellt nichts weiter als einen großen Steinhaufen vor. Das Obergebäude, so von fern her stand, nebst dem Turm, den die Türken daran gebaut, als sie eine Moschee aus dem Tempel gemacht, brannte auch in unterschiedlichen Tagen ganz aus. In summa ist fast nichts mehr übrig als der Vordergiebel und die hintere Wand mit ihren Spaziergängen. Was dieser Tempel in seinem Fall für Schäden verursacht, indem er von Männern, Frauen und Kindern angefüllt gewesen ist, welche sich vor den Bomben dahin retiriert hatten, ist leicht zu ermessen, weil wir draußen nichts anderes meinten, als dass das ganze Kastell über den Haufen gefallen wäre.
Dietrichson, L.
Zum zweihundertjährigen Gedächtnis der Zerstörung des Parthenon
In: Zeitschrift für Bildende Kunst, 22. Jahrgang, Leipzig 1887