1774 - George Bogle, 1. Britischer Gesandter auf dem Weg nach Tibet
In Tassisudon [Tashi Cho Dzong]
Thimphu, Bhutan
Wir wurden in einem guten Hause nahe beim Palast untergebracht, aber ich fand es bald so kalt, daß ich zufrieden war, mein Zimmer, das eine Art hölzerner Balkon war, mit Bhutan-Decken aushängen zu können. Das Fenster sah auf den Fluß und gab uns die beste Aussicht.
Der Palast von Tassisudon liegt in einem Tal, das 5 Meilen lang und 1 Meile breit und ganz umgeben von hohen Bergen ist. Der Fluß Chinchu galoppiert durch dasselbe, der niedrige Grund in seiner Nähe ist mit Reis bepflanzt und gut bevölkert. Dörfer sind an den Abhängen der Berge hin verstreut. Die weniger steilen Abhänge bringen Weizen hervor. Unmittelbar hinter Tassisudon ist ein sehr hoher Berg, der in zwei turmartigen Spitzen ausläuft, dir mit Wald beinahe bis zur Spitze bedeckt sind, und einige vereinzelte Hütten, die Zufluchtsörter von Derwischen (geistlichen Einsiedlern) liegen hier und dort darauf, als wären sie aus den Wolken gefallen. In diesen luftigen Stätten bringen sie ihre Tage mit dem Zählen ihrer Rosenkranzkugeln zu und sehen mit Gleichgültigkeit auf die Geschäfte und das Treiben der Welt herab, von denen sie ganz ausgeschlossen sind.
Der Charakter eines Fakirs wird in diesem Lande hoch geachtet; er ist indessen nicht auf diese selbstverleugnenden Söhne der Enthaltsamkeit beschränkt. Die Staatsmänner und die die Provinzgouverneure, wenn sie amtsmüde sind, oder aus ihrem Amte entlassen werden, nehme den Namen und die Tracht eines Fakirs an. Sie ziehen sich in ihre Häuser oder Schlösser zurück, die sie auf die Spitze eines Berges gebaut haben. Aber statt der Armut und der Kasteiungen, welche das Lben eines wirklichen Einsiedlers charakterisieren, sind sie von ihrer Familie und von ihren Dienern umgeben. Sie gestatten sich den Genuß der schmackhaftesten Speisen mit dem Vorbehalt, daß sie kein lebendiges Geschöpf töten und keine animalische Nahrung an dem Tage zu sich nehmen, an dem das Tier getötet worden ist; und da ihnen im allgemeinen gestattet wird, ihr Eigentum mit sich zu nehmen, kann man sie unter die wohlhabendste Klasse der Einwohner rechnen. Deb Seklu ernannte nach einer glücklichen Regierung von 18 Jahren seinen Nachfolger und brachte den Rest seiner Tage in dieser friedlichen Zurückgezogenheit zu.
Eines Tages bestiegen wir einen hohen Berg. Wir brachen früh am Morgen auf und erreichten den Gipfel gegen 3 Uhr. Der Palast von Tassisudon mit seinen vergoldeten Türmen, die Windungen des Chinchu mit seinen hölzernen Brücken, die mit Reis und Dörfern bedeckten Felder, die Gipfel der entfernten Berge und die hohen Schlösser der Fakire bildeten das Bild, das sich uns darbot. Wir fanden einige wilde Kirschen und einen Johannisbeerbusch und kamen unten an, nachdem es dunkel war.
Der Deb Rajah war abwesend, als in wir in Tassisudon ankamen. Seine Rückkehr dorthin ging in der folgenden Weise vor sich: gegen 10 Uhr waren die Balkone des Palastes mit Priestern angefüllt, die alle in rotes Tuch gekleidet waren, das in Bhutan angefertigt wird. Vier lange Messingtrompeten, 6 Kastagnetten, 4 Pauken und 4 Pfeifen wurden in Zwischenräumen gespielt. Um 11 Uhr wurden 30 Luntenflinten auf dem Wege abgefeuert, über den er kommen mußte, und der Salut wurde erneuert, als er bei ihnen vorbeikam. Die Prozession bestand aus 12 geführten Pferden, 120 Mann in roten Kleidern mit blauen Knöpfen, 30 Mann, die Luntenflinten trugen, 30 Bogenschützen, 30 Pferden, beladen mit Tuch und anderen Gegenständen, 40 Reitern, einige von ihnen mit buschigen Mützen, der erste Beamte mit einer buschigen, zum Teil bunten Standarte, 6 Musiker. Der Deb Rajah zu Pferde in einem scharlachenen Mantel, mit einem gelben Hute wie der eines Kardinals. Ein Chura-burda (ein Mann, der einen aus dem Schwanz eines Yak gefertigten Fliegenwedel trägt) auf jeder Seite von ihm und hinter ihm ein Mann, der einen kleinen weißen, seidenen Schirm mit verschiedenen bunten Fransen trug. Als sie in die Nähe des Palastes kamen, stiegen alle mit Ausnahme des Rajah ab. Die Leute mit den buschigen Mützen nahmen sie ab und gingen ans Tor. An verschiedenen Stellen des Weges, über den der Rajah zu gehen hatte, waren Feuer angesteckt, und das Volk warf sich vor ihm zur Erde. In der ganzen Kavalkade waren ungefähr 400 Personen.
Zwei Tage später schickte der Deb Rajah nach mir. Wenn irgendeine Befriedigung darin liegt, angesehen zu werden, so genoß ich nun genug davon. Ich glaube, es waren mindestens 2000 bis 3000 Zuschauer da. Ich wurde durch 3 Höfe geführt, und nachdem ich 2 mit Eisen beschlagene Leitern heraufgeklettert war, die in diesem Teil der Welt als Treppen gebraucht werden, kam ich in ein Vorzimmer, das rings mit Waffen verhängt war. Hier wartete ich einige Zeit, ehe ich in das Audienzzimmer geführt wurde. Ich mußte durch einen dunklen Eingang und zwei Stufen herunter. Der Rajah saß auf seinem Thron oder seiner Kanzel, denn eines solches sah es ähnlich, ungefähr zwei Fuß hoch über dem Boden. Er trug das Feierkleid eines Gylong oder Priesters; er war mit einem scharlachenen seidenen Rock bekleidet und hatte einen vergoldeten Hut auf dem Kopfe. Ein Mann drehte fortwährend einen Schirm über ihm. Die Kanzel war vergoldet und umgeben mit silbernen Kannen und Vasen, der Boden war mit Teppichen bedeckt. Seine Beamten, 12 an der Zahl, saßen auf Kissen dicht an der Mauer. Nachdem ich meine Verbeugungen gemacht, die nach dem Zeremoniell dieses Landes eigentlich Niederwerfungen hätten sein müssen, und meine Geschenke vor ihm niedergelagt hatte, wurde ich zu einem Kissen geführt, das für mich in die Mitte des Zimmers gebreitet worden war. Mehrere kupferne Schüsseln mit Reis, Butter, Syrup, Tee, Wallnüssen, Datteln von Kaschmir, Aprikosen und anderen Früchten wurden vor mir niedergesetzt zusammen mit einem kleinen hölzernen Sessel. Alles dies geschah schweigend. Dann kam ein Mann herein mit einem silbernen Kessel voll Tee, der mit Butter vermischt war, und nachdem er etwas davon auf seine Handfläche ausgegossen und getrunken hatte, füllte er eine Schale für den Rajah und mchte die Runde bei allen Beamten. Jeder Bhutaner trägt für solche Gelegenheiten eine kleine hölzerne, innen schwarz lackierte Schale bei sich, die in ein Stück Zeug gewickelt ist und unter seinem Kleide über dem Herzen auf der Haut untergebracht ist; aber da ich nicht so gut versehen war, erhielt ich eine Porzellanschale. Nachdem alle Schalen gefüllt waren, sprach der Deb Rajah ein Gebet, in welches die ganze Gesellschaft einstimmte, und dann machte er seinen Mund auf und sprach zu mir. Nachdem wir unseren Tee ausgetrunken und jedermann seine Schale gut ausgeleckt und wieder in seinen Busen gesteckt hatte, wurde mir ein geblümter seidener Rock gebracht. Ich wurde mit ihm als mit einem Khilat (Ehrenkleid) bekleidet. Ein rotes Schnupftuch wurde mir als Gürtel umgebunden, ich wurde vor den Rajah geführt, derm meinen Kopf mit einem anderen umwand, und, indem er meine Schläfe drückte, etwas auf meinen Kopf setzte, das ich nachher als ein Bild des Gottes Skya (Buddha) erkannte. Er sprach auch einige Gebete über mich. Dann band er zwei seidene Taschentücher zusammen und warf sie über meine Schultern. Ich wurde zu meinem Kissen zurückgebracht, wir hatten 2 oder 3 Tassen Tee mehr, ebensoviele Gebete, 1 oder 2 Schalen Branntwein und Betelnuß. Dann zog ich mich zurück. Die Wände des Audienzzimmers waren rundum mit chinesischen Landschaften und ihen Gottheiten, die auf Seide gemalt waren, behängt. Die Decke und die Pfeiler waren ähnlich bekleidet, und an dem unteren Ende des Raumes hinter meinem Platze waren 3 oder 4 Statuen in Nischen aufgestellt. Vor ihnen standen Räuchergefäße, in denen Weihrauch brannte, und Lampen, die mit Butter gefüllt waren, kleine silberne Pagoden und Urnen, Elephantenzähne, Blumen usw., das Ganze mit Seidenstoffen, Bändern und anderem Tand ausgeschmückt. Ich darf nicht vergessen, zu erzählen, daß sich unter diesen Sachen ein einzelner Kupferstich befand, der Lady Walgrave darstellte, die ich glücklich genug war, aus den Händen dieser Götterbilder zu retten. Einer von dem Haushalt kam auf die Idee, daß sie ein hübsches Gegenstück zu einem Spiegel abgeben würde, den ich dem Deb Rahaj gegeben hatte, und so würde sie an einem der Pfeiler neben dem Thoren aufgehängt und der Spiegel an dem andern.
Der Palast ist ein sehr großes Gebäude und enthält beinahe 3000 Männer und nicht ein Weib. Von diesen sind ungefähr 1000 Priester, andere sind Änhänger des führeren Häuptlings und werden in einer Art von Gefangenschaft gehalten., und der Rest sind Beamte des Rajah und des Lama und ihre ganze Dienerschaft. Ein ungefähr 5 oder 6 Stockwerke hoher Turm ragt in der Mitte empor und wird von dem Lama Rimpoche bewohnt, der seinen Aufenthalt nahe der Spitze hat. Seine Zimmer sind ausgestattet wie die es Rajah, aber besser.
In der Zeit des führeren Häuptlings konnte ihn niemand sehen, aber die Zeiten haben sich geändert. Er empfing mich wie der Rajah, nur bekam ich kein Ehrenkleid und keinen Branntwein. Bei meiner Ankunft lebte er in einem Schloß auf einem kleinen Berge hinter dem Palast. Seine Zimmer wurden fertig gemacht, während wir da waren, eine große Bildsäule von Sakya wurde vergoldet und in einem Audienzzimmer aufgestellt. Als er ankam, ging der Rajah heraus, um ihn zu empfangen. Nach dem ersten Besuch empfing er uns ohne Umstände, er schien neugieriger als irgendein Mann, den ich dem Lande gesehen hatte. Eines Tages zeigte Herr Hamilton ihm ein Mikroskop und wollte dazu eine Fliege fangen. Das ganze Zimmer geriet in Verwirrung und der Lama in große Aufregung, weil er dachte, sie könnte umgebracht werden.
Wir aßen häuig bei ihm gekochten Reise mit Zucker und Butter und ein Gericht aus geschmorten Stücken von Ziegenfleisch und Schnitten von Gurken; stark mit rotem Pfeffer gewürzt. Man nennt es Giagu. Der Lama aß nur vom Dessert, das aus Früchten und saurem Quark bestand, der wie Leder in Stücke geschnitten und in Butter und Honig gebacken war.
Er hatte einen kleinen Schoßhund und einen Mungos, die er sehr liebte. Er ist ein magerer, kränklich aussehender Mann von ungefähr 35 Jahren.
Der Palast ist in Höfe geteilt, um die von hölzernen Pfeilern getragene Galerien laufen, wie in den Wirtshäusern in England. Die verschiedenen Beamten haben jeder seine Wohnung. Die Prister haben eine sehr große Kirche (Vihar, Kloster mit dem eigentlichen Tempelraum), in der sie wohnen, neben der sich eine kleinere befindet, in der sie den Gottesdienst verrichten und wo die größeren Götzenbilder stehen. Diese Bilder sind meistens dezente und gut proportionierte Figuren, die mit untergeschlagenen Beinen sitzend dargestellt sind. Über der Kirche ist eine große Galerie, in der Festons von Schädeln und Knochen gemalt sind, in die die Leute gehen, um den Zeremonien beizuwohnen. Ich ging ein- oder zweimal dorthin, und der Rajah, der glaubte, daß mich das interessierte, pflegte bei Tagesanbruch und zu allen Stunden nach mir zu senden, um in die Kirche zu kommen, und beglückwünschte mich sehr, daß ich gerade zur Zeit der großen Festlichkeiten in Tassisudon sei. Alle die Gouverneure der Provinzen waren dort, und jeden Tag wurden in einem der Höfe des Palastes Tänze aufgeführt.
Ungefähr 20 Priester, in verschiedenartige seidene Gewänder und vergoldete Mitren gekleidet, saßen auf einer Bank, jeder mit einer großen Pauke oder Trommel, die an einem Stock befestigt war, den sie in der Hand hielten, während sie in der anderen einen gebogenen Stock von Eisen hatten mit einem Knopf am Ende, mit dem sie den Takt für einen Priester schlugen, der sich in ihrer Mitte befand und zwei silberne Schalen gegeneinander schlug. Ein gelbseidener Vorhang hing vor dem Tor der kleineren Kirche, hinter dem von Zeit zu Zeit 6,8,10 und manchmal 20 Priester in Maskenanzügen hervorrannten, mit Masken wie Pferdeköpfe, Vogelschnäbel oder anderen grotesken Figuren. Sie tanzten und sprangen herum mit wunderlichen Gebärden, die hauptsächlich darin bestanden, ihre Köpfe weit vornüber zu beugen, daß die rote Haarlocke den Boden berührte, und sie dann plötzlich wieder zurückzuwerfen. Während der einzelnen Akte dieser Vorstellung sangen die Bauern und spielten 2 oder 3 Hanswürste ihre Stücke.
Die Mauern des Palastes sind 2 bis 3 Stock hoch und wie alle Wälle in diesem Land so gebaut, daß sie sich nach innen lehnen. Für die Treppen, Pfeiler, Galerien und Dächer ist eine ungeheure Menge Holz verbraucht; für den Bau hat man verschiedene Berge abgeholzt. Die Dächer bestehen aus Brettern, 2 oder 3 übereinandergelegt und durch Steine niedergehalten, und die Masse von Balken und offenem Holzwerk, das gebraucht wird, um sie zu tragen, gibt dem oberen Teil des Palastes das Aussehen der Blackfriars Brücke (in London). Das Dach des Turmes des Lamas ist ganz vergoldet und mit Drachen usw. geschmückt und sieht ganz dem Dach eines chinesischen Tempels ähnlich.
Bei einbrechender Dunkelheit werden die Tore des Palastes geschlossen, und niemand kann hinein oder hinaus. Die Bewohner verlassen ihn überhaupt selten, nur ziehen sie alle 8 oder 10 Tage in Scharen von 5-600 hinaus, um im Chinchu zu baden. Sie schienen ein freudenloses und, wie ich glaube, ein faules Leben zu führen, denn in die Hände der Gouverneure der Provinzen ist so viel Autorität gelegt, daß wenig im Sardar, d. h. bei Hofe, geschieht. Sie haben wenig Beziehungen zu fremden Staaten, den Teshu Lama ausgenommen, und noch weniger Verkehr mit Fremden. In einem Volke, das keinen Vorzug der Geburt und keine feinen Kleider kennt, kann nicht viel Hochmut bestehen. Die Bhutaner schienen gar keinen zu haben und leben mit ihren Dienern und den von ihnen abhängigen Personen auf dem familiärsten Fuß.
Markham, Clements R. (Hrg.); Brandt, M. von (Übersetzer)
Aus dem Lande der lebenden Buddhas. Die Erzählungen von der Mission George Bogle’s nach Tibet und Thomas Mannings‘ Reise nach Lhasa (1774 und 1812)
Hamburg 1909